Preis der Ökumenischen Jury, achtung berlin 2017
Dieser dokumentarische Abschlussfilm einer jungen Filmemacherin hat uns in der Ökumenischen Jury sehr beeindruckt: In einer Kammerspiel-Ästhetik des privaten Wohnraums wird die Geschichte der Beziehung zweier Menschen zueinander rekonstruiert - nicht als Liebesgeschichte, sondern als Geschichte ihrer divergierenden Wahrnehmung. Anlass der Erzählung: ihre gemeinsame Tochter, die Filmemacherin selbst. Die beiden Protagonisten, Vater und Mutter, begegnen sich in diesem Film nicht persönlich, nur im klug inszenierten und montierten filmästhetischen Raum führen sie einen regen Dialog miteinander, in dem sie sich erstmals wirklich zuhören, lächelnd ergänzen, verärgert korrigieren, wütend widersprechen, anklagen, rechtfertigen und manchmal fassungslos kopfschüttelnd abwenden, um bei der für das Publikum unsichtbaren Interviewerin Verständnis zu suchen. Wir Zuschauer*innen gehen mit: als Zeug*innen einer mutigen und den Protagonisten wie der Filmemacherin selbst viel zumutenden systemischen Familienaufstellung, aber auch selbst als Töchter und Söhne und als Partnerinnen und Partner in der außerfilmischen Sphäre. ER SIE ICH verdient den Preis der Ökumenischen Jury nicht nur dafür, dass er eine Beziehung, die vielleicht niemals eine war, filmisch erst entstehen lässt; sondern auch, weil er bei aller Unversöhnlichkeit der Eltern ein Dokument dessen ist, was sie bleibend schmerzlich verbindet und für dieses ungewöhnliche Filmprojekt um die Wahrheit ihrer Biografien und Gefühle ringen lässt: der echten und aufrichtigen Liebe zu ihrer Tochter. ER SIE ICH erzählt keine Liebesgeschichte - aber es ist ein Liebesfilm. (Foto: Carola Knittel)