Grußwort zum Ökumenischen Empfang der Kirchen in Mannheim 2015
© Martin Black


In seinem Grußwort zum Ökumenischen Empfang der Kirchen beim 64. Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg pointiert Dr. Peter Hasenberg, Filmreferent der Deutschen Bischofskonferenz, die "Offline"-Qualitäten der Filmerfahrung im Kino.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

POPC ist die Formel, die den „neuen Lebensmodus“ kennzeichnet. So habe ich unlängst in einem Aufsatz des Medienwissenschaftlers Peter Vorderer von der Universität Mannheim gelesen, der sich der „Phänomenologie des mediatisierten Lebenswandels im Sinne von POPC“ widmet.[1] POPC – „permanently online, permanently connected.“ Der moderne Mensch hat die Bilokation zur Norm gemacht. Er steht in der realen Umgebung, ist aber gleichzeitig in der digitalen Welt unterwegs und unterhält sich mit Freunden über WhatsApp. Und in der neuen digitalen Welt schwirren nicht nur Textnachrichten umher, sondern vor allem auch Bilder. Ein interessantes Urlaubserlebnis, die Geburtstagsfeier, ein Popkonzert, Kapriolen der Katze – über das Smartphone werden die Bilder gleich an Freunde geschickt, die live teilnehmen können. Das gilt nicht nur für eine neue Generation von technikaffinen Nerds. Wir haben erlebt, wie wichtig das Smartphone als Kommunikationsmittel für die Flüchtlinge ist, die eine sichere Bleibe in Europa suchen. Bilder vom herzlichen Empfang am Münchner Hauptbahnhof wurden massenhaft an Familie und Freunde geschickt. die noch in den Krisengebieten festsitzen. Peter Vorderer resümiert: „Eine wesentliche Funktion von interpersonaler Kommunikation – das Erzählen von Erfahrungen und Eigenzuständen, verlagert sich auf die mobilen Endgeräte, die oberflächlich betrachtet viel reichere Zeugnisse des Erlebten zu sein scheinen als die einfache Rede.“ Und es gibt weitere Veränderungen. Langeweile ist passé. Wartezeiten an der Bushaltestelle, lange Zugfahrten lassen sich kurzweilig gestalten durch die über Smartphone abrufbaren unterhaltsamen Medienangebote wie Youtube-Clips. Bilder über Bilder, für den schnellen Gebrauch: Films to go. Schnell geschaut, schnell geteilt, schnell vergessen.

Es geht mir nicht darum, Schreckensszenarien aufzumachen, vielmehr ist mir beim Blick auf die schöne neue Medienwelt bewusst geworden, wie sehr das, was wir bei einem Filmfestival erleben, aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Das Kino ist einer der wenigen Orte – Theater, Konzertsaal und Kirche gehören vielleicht noch dazu -, wo man explizit aufgefordert wird, offline zu gehen. Handys bitte ausschalten! „Temporarily disconnected“ statt „permanently connected“. Zumindest ist das noch der vorherrschende Modus der Filmrezeption im Kino, auch wenn fleißig am interaktiven Kino gebastelt wird, wo die Zuschauer durch ihr Voting den Handlungsverlauf mitbestimmen können oder parallel zum Bild die Kommentare von Zuschauern auf einem second screen sichtbar gemacht werden. Keine verlockende Vorstellung: Bleiben uns dann erschütternde Tragödien auf der Leinwand erspart, weil  sie nicht von einer Mehrheit geliket werden? Und die Qualität der Kommentare im Netz weckt nicht gerade den Wunsch, das permanent zu haben.

Nein, das Kino hat seine Stärke da, wo man sich im Dunkel des Kinosaals für zwei Stunden ganz der Geschichte überlässt. Wo die Charaktere auf der Leinwand die ganze ungeteilte Aufmerksamkeit erfordern. Wo es noch traditionelles Erzählen gibt, das nicht Optionen anbietet, die Mehrheiten gefallen, sondern die Handlung Wege nimmt, die verstören, erschüttern, Impulse geben, Vertrautes vielleicht neu und anders zu sehen. Wo die Figuren sich nicht so verhalten, wie viele es erwarten oder wünschen, sondern wo es Brüche gibt, ein rätselhaftes Verhalten Fragen aufwirft, die man nicht einfach wegklicken kann. Film liefert das beste Gegenmittel gegen die flüchtigen Bilder auf You-Tube, die geliket werden wollen. Kino ist ein Sich-Einlassen auf Menschen und Geschichten, die man noch nicht kennt, ein Sich-Berühren lassen von Figuren, die nur auf der Leinwand existieren, aber so stark sind, dass sie uns zum Lachen oder Weinen bringen.

Wenn Kino eine Daseinsberechtigung hat, dann vor allem auch als ein Ort der Begegnung mit dem Anderen. Kino ist ein Ort der Reisen in andere Länder und Kulturen, in Lebensbereiche, die man im so genannten ‚wirklichen‘ Leben nicht kennt oder nie erreichen würde. Im Kino haben wir die ganze Welt bereist, im realen Leben nur einen vergleichsweise bescheidenen Ausschnitt davon. Kino als Ort des interkulturellen Dialogs ist gerade auch bei Festivals immer sehr stark gepflegt worden: Die Berlinale als Begegnung von Ost und West in Zeiten der Mauer, Oberhausen mit dem programmatischen Anspruch, den „Weg zum Nachbarn“ zu eröffnen, Mannheim mit der Tradition der Workshops mit Filmemachern aus der Dritten Welt, mit dem türkischen Festival, das nun integrativer Bestandteil des Festivals geworden ist. Auch die Kirchen haben ihren Anteil daran, die den interkulturellen Dialog auf der Ebene der Juryarbeit pflegen und immer wieder Filme ausgezeichnet haben, die diesem Anspruch gerecht werden, zu einer differenzierten Wahrnehmung fremder Kulturen anzuregen. Nicht zu vergessen auch die Filme, die über kirchliche Firmen für die Bildungsarbeit zur Verfügung gestellt werden, insbesondere möchte ich hier die verdienstvolle Arbeit des Evangelischen Zentrums für entwicklungsbezogene Filmarbeit (EZEF) erwähnen, das von der Produktion bis zur Kinoauswertung und DVD-Vertrieb Filme aus dem Süden unterstützt.

Gerade in einer Zeit, in der der Umgang mit kulturellen Unterschieden eine Frage von existenzieller Bedeutung geworden ist, sollte man mehr auf den Film setzen. Natürlich ist die Begegnung mit dem Anderen im Kino nur ein über Bilder vermittelter Kontakt, aber dennoch nicht unwichtig. Der Philosoph Wolfgang Welsch hat schon vor mehr als 20 Jahren darauf hingewiesen, dass politische Kultur auf ästhetische Kultur angewiesen ist. Und er hat dies am Beispiel der Toleranz deutlich gemacht:

Man stelle sich nur einmal einen Menschen vor, der sich die Maxime der Toleranz perfekt zu eigen gemacht hätte, dem aber die Sensibilität fehlte, um im alltäglichen Leben überhaupt zu bemerken, daß er es bei den Anschauungen eines anderen Menschen mit einer prinzipiellen Differenz und nicht bloß mit einer beliebigen Abweichung zu tun hat und daß also nicht ein Defizit, sondern ein kultureller Unterschied vorliegt. Ein solcher Mensch käme niemals in die Verlegenheit, von seiner schönen Maxime der Toleranz überhaupt Gebrauch zu machen, er würde vielmehr andauernd seine Imperialismen und Unterdrückungen praktizieren – aber besten Gewissens und im sicheren Glauben, ein toleranter Mensch zu sein. Sensibilität für Differenzen ist also eine Realbedingung von Toleranz. – Vielleicht leben wir in einer Gesellschaft, die zu viel von Toleranz redet und über zu wenig Sensibilisierung verfügt.“ [2]

Wenn die Sensibilisierungseffekte eine gesellschaftliche Relevanz für die Wahrnehmung kultureller Eigenarten haben, sollte man mehr auf den Film setzen. Gerade Filme mit einem Anspruch, die Welt intensiver wahrzunehmen, sollten ihren Platz im Hauptabendprogramm des Fernsehens haben, wohin es noch nicht einmal ein Film wie „Von Menschen und Göttern“ geschafft hat. der in Cannes 2010 mit dem Großen Preis der Jury und dem Preis der Ökumenischen Jury ausgezeichnet worden ist. Vielleicht sind Filme nicht nur wichtig für uns, sondern auch für die Menschen, die zu uns kommen, denen man nicht nur über Handzettel, die deutsche Traditionen wie Mülltrennung und Toilettenhygiene vermitteln, sondern Filme in der entsprechenden Sprachfassung zur Verfügung stellen sollte, die von Deutschland erzählen.

Ich danke Ihnen für ihre Aufmerksamkeit.


[1] Peter Vorderer: Der mediatisierte Lebenswandel. Permanently online, permanently connected, Publizistik (2016), 60: 259 – 276, hier: 277.

[2] Wolfgang Welsch: Das Ästhetische – eine Schlüsselkategorie unserer Zeit?, in: W. Welsch (Hg.): Zur Aktualität des Ästhetischen, München 1993, 13 – 47, hier 46f.

 

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