Francesca Comencini, die Regisseurin des schönen Dokumentarfilms “Carlo Giuliani, ragazzo” (Carlo Giuliani, ein Junge) schenkt uns einen weiteren Film. Einen Film, der in diesen ersten düsteren und zähflüssigen Jahren des dritten Jahrtausends, in denen die Ideologien, aber auch die Ideale – so scheint es - von der Logik des Marktes, die banal und zugleich brutal ist, begraben worden sind, uns an die engagierten Filme der siebziger Jahre erinnert. Gleichwohl ist die Sprache eine andere: intimer, weiblicher. Wo die Entscheidungen in Ökonomie und Markt sich in einer privaten Sphäre widerspiegeln, die gleichwohl politisch ist, macht er die existenzielle Dimension deutlich, in der wir uns alle, Frauen und Männer, wieder erkennen können. Ein Film gegen den Strom, der den Mut hat anzuklagen – das ist, Verzeihung, im Jahre 2004 nicht wenig.
Die Geschichte ist rasch erzählt: Anna ist eine Frau, die allein lebt mit ihrer Tochter: Morgana. Die Firma, in der sie als Sekretärin dritten Ranges arbeitet, ist von einem multinationalen Konzern aufgekauft worden. Am Tag des Betriebsfestes ist Anna die einzige, die von dem neuen Personalchef nicht spontan begrüßt wird. Ein banaler Unfall oder vielleicht auch nur ein Versäumnis. Dieser geringfügige Vorfall ist das erste Zeichen eines langen Prozesses, der für sie zu einem wahren Passionsweg wird. Langsam, aber unerbittlich wendet die Gruppe sich gegen sie. Die Schikanen beginnen klein, unscheinbar, aber sie wiederholen sich. Anna hält nicht mehr stand, und schließlich platzt sie: eine nervöse Erschöpfung, Krankheit. Sie kümmert sich kaum noch um Morgana, aber es wird gerade ihre Tochter sein, die ihr zur Seite steht und sie rettet. Anna schöpft wieder Mut und entschließt sich, jemandem ihre Geschichte zu erzählen und nicht mehr allein zu bleiben.
Ich habe Francesca Comencini bei einer Matinée – Aufführung des Films getroffen; an sie schloss sich eine lebhafte Debatte und eine erstaunliche Folge von Selbstzeugnissen über Mobbing an; sie wurden unter Qualen und gelegentlich mit äußerster Klarheit vorgetragen.
Aber Francesca hatten wir zuvor schon einmal getroffen: Vor einem Jahr war sie die Protagonistin eines Eröffnungsabends der protestantischen Filmvereinigung „Roberto Sbaffi“; er stand unter dem Titel: „Kunst, Wahrheit und Leben im Film“. Just damals sprach sie von diesem Projekt, das wir jetzt mit andächtiger Stille im Kino „4 Fontane“ in Rom anschauen.
G.U.: Was hat dich dazu gebracht, einen Film über Mobbing zu drehen?
F.C.: Was mir am Mobbing auffällt, ist, dass man aufgrund von Beweggründen, die der Logik der Wirtschaft und des Marktes entsprechen, bis in die Intimsphäre einer Person vordringt, dass man in ihre Psyche eindringt und deren Gleichgewicht erschüttert. Aber das Motiv, einen Film zu machen, hat gezündet, als ich die Menschen getroffen habe, die Opfer von Mobbing geworden sind. Ich hätte mir niemals vorstellen können, wie viel Schmerz, Mühsal und ein wie starkes Gefühl der Unzulänglichkeit Mobbing erzeugen kann. Ich habe Menschen getroffen, deren Würde zerstört war. Beim größten Teil von ihnen hatte sich der Angstzustand körperlich ausgedrückt, auch ihr Aussehen hatte sich verändert. Die Männer schienen wie verrückt, rasend. Die Frauen weinten. Viele von ihnen begannen zu weinen, als sie Probleme in Bezug auf ihre Kinder ansprachen. Zielscheibe des Mobbing sind besonders die Mütter. Mutter zu sein gilt als eine Schuld in italienischen Unternehmen. Das „flexibelste Land der Welt“ hasst die Mütter.
G.U.: Wer hat am Zustandekommen von „Mi piace lavorare“ mitgewirkt?
Dieser Film ist das Ergebnis von wirtschaftlichen Entscheidungen, die im Gleichschritt mit künstlerischen Erwägungen getroffen worden sind. Ich wollte den Film machen und nicht Jahre warten, bis ich starke Investitoren gefunden habe. Ich wollte den Film machen, um Zeugnis abzulegen – und damit basta. Also musste ich die Wahl treffen, einen Film zu geringen Kosten zu realisieren. Wir kannten die Geschichten von –zig Personen, wir verfügten über den Reichtum ihrer Menschlichkeit. Die Gewerkschaft war mein „casting director“. Sie hat mir viele, viele Menschen zugeführt, Angestellte, Arbeiter, Gewerkschafter, die auch ein wenig aus Überzeugung und dem Willen , Zeugnis abzulegen, an diesem Film über das Mobbing mitarbeiten wollten. Zudem ist es uns gelungen, auf die kostenfreie Mitarbeit der Schauspieler und teilweise auch der Techniker zurückgreifen zu können. Ich konnte über die Bereitschaft vieler Menschen verfügen, die gekommen sind, um im Film aufzutreten und sich dafür einige Tage von ihrer Arbeitsstelle frei genommen haben. Ihre Ferien bestanden darin, am Film mitzuwirken.
G.U.: Und Nicoletta Braschi, die Hauptdarstellerin?
F.C.: Auch sie hat in Gemeinschaft mit den anderen gearbeitet. Für die Rolle der Morgana habe ich meine Tochter Camilla gefragt, und sie hat zum Glück zugesagt. Ich hatte für diesen Film die schönste Rollenbesetzung, die ich mir erträumen konnte. Nicoletta war perfekt, tatsächlich perfekt. Wir haben uns verständigt, ohne miteinander reden zu müssen.
G.U.: Wie ist es dir gelungen, so viele Nebendarsteller zu beschäftigen?
F.C.: Es handelte sich nicht um ein Drehbuch mit festgeschriebenen Dialogen. Ich habe vielmehr jeden gebeten, seine eigene Erfahrung einzubringen. Die Gruppe, die sich mehr als alle anderen mit der eigenen Rolle identifiziert hat, waren die Arbeiter. Einigen von ihnen ist etwas Ähnliches passiert, wovon im Film erzählt wird. Einige Gewerkschafter interpretierten die „Gegenseite“ und taten dies mit noch größerer Sachkenntnis. Nicoletta hat sich auf sie eingelassen mit einer erstaunlichen Natürlichkeit und auch mit viel Demut.
G.U.: Würdest du diesen Film als einen fiktionalen Dokumentarfilm (un docu-fiction movie) bezeichnen?
F.C.: Selbstverständlich gibt es in diesem Film eine Perspektive und eine Geschichte, denn er ist ein fiktionales Werk. Gleichwohl glaube ich, dass es auch in einem Dokumentarfilm eine Perspektive und eine Geschichte gibt. Bei den Dreharbeiten war ich es, die den Darstellern sagte, wo es langgehen sollte. Manchmal sagte ich es ihnen nicht und tat so, als würde es sich von selbst ergeben. Für das Gelingen war es nötig, auf die spielenden Personen gut zu achten. Das ist sehr schön und vielleicht das, was ich am besten kann: Die Menschen beobachten und verstehen. Das gefällt mir sehr. Mich an der Grenze zwischen Dokumentarfilm und Fiktion zu bewegen. Dort, wo das Kino sich nicht mehr oder viel zu selten hinbegibt, wo die ganze Bildfabrikation dem Fernsehen überlassen worden ist. Ich bin davon überzeugt, dass die Wirklichkeit reich, intensiv und wunderschön ist. Aber um das wahrzunehmen, muss man sie lange und sehr aufmerksam betrachten.
G.U.: Auf der Berlinale hat dein Film, der in der Sektion „Panorama“ lief, den Preis der ökumenischen Jury bekommen.
F.C.: Die Nachricht hat mich erreicht, als ich bereits zurück in Rom war. Dieser Preis hat mich glücklich gemacht. Das bedeutet, dass die eigentlich menschliche Dimension verstanden worden ist, die für den Film wesentlich ist über die wirtschaftliche Dimension hinaus, die jene bestimmt.
(Übersetzung aus dem Italienischen: Hans Norbert Janowski)