Festivalbericht von Luzia Sutter Rehmann, Mitglied der Ökumenischen Jury


Das Internationale Film Festival Fribourg (FIFF) hat seinen Ursprung als Drittwelt-Filmfestival in einer Initiative des Entwicklungshilfswerks „Helvetas“, deren Westschweizer Sekretariate anfangs der 80er-Jahre in Pfarreisälen einiger Westschweizer Städte zusammen mit anderen Hilfswerken (unter anderen Fastenopfer und Brot für Alle) Filme aus Afrika, Asien und Lateinamerika vorführten. 1986 liess sich das kleine „Festival“ in Fribourg nieder, wo die Veranstaltung die grösste Aufmerksamkeit gefunden hatte, und wechselte in die Kinosäle. Zugleich fand der erste offizielle Wettbewerb um den Verleihförderpreis statt. Der erste Preis ging an „Wend Kûuni“ von Gaston Kabore (Burkina Faso), die 16mm-Kopie des Films wurde vom katholischen Verleih Selecta-Film verliehen. Seit 1992 wird das Festival jährlich durchgeführt und immer professioneller organisiert, so dass es sich neben einem wachsenden Publikumserfolg auch international zunehmend Anerkennung erworben hat. Es geniesst u.a. die Unterstützung von Stadt und Kanton Fribourg, der Lotterie Romande und der DEZA (Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit ).1998 wurde auch eine Ökumenische Jury von INTERFILM und SIGNIS eingerichtet, bestehend aus je zwei evangelischen und katholischen VertreterInnen , die sich gelegentlich auch aus dem Umfeld der kirchlichen Hilfswerke rekrutieren. Das Preisgeld von Fr. 5‘000 für den Preis der Ökumenischen Jury wird von Brot für Alle und Fastenopfer (zuständig deren Sekretariate in der Romandie) gestiftet. (HH)


I.

Fribourg ist von meinem Arbeitsort in Biel aus gesehen nur um die Ecke. Aber die 32. Ausgabe des Internationalen Filmfestivals lässt Fribourg weit über sich hinausstrahlen, Menschen aus aller Welt sind gekommen und haben Filme mitgebracht, die bewegend sind. Es geht um Filme, die man bei uns im Kino nicht so schnell zu sehen bekommt, z.B. MAKALA (2017), ein Dokumentarfilm aus dem Kongo, der überraschend schön, sinnlich und, ohne die Moralkeule zu schwingen, höchst politisch wirkt. Er eröffnete das Festival.

Im Zentrum standen dieses Jahr Filme aus der Mongolei und aus Brasilien. Einen Höhepunkt stellte die Filmauswahl von Ken Loach dar. Der Regisseur hat Filme ausgesucht, die ihn beeinflusst haben. Sie zeigen die Kehrseite der Gesellschaft, Ungerechtigkeiten und menschliche Dramen. Und die passionierte Berner Kinobetreiberin und international bekannte Filmexpertin Beki Probst präsentierte in der Sektion „Diaspora“ herausragende türkische Filme.                                                      

Fribourg zeigte sich wiederum außerordentlich gastfreundlich. Im Ancienne Gare bekommt man Atmosphäre und gutes Essen, unkompliziert und freundlich. Die Kinos liegen nahe beieinander, so dass man im Regen kaum den Schirm aufspannen muss, schon ist man da. Zwischendurch ist es erholsam, durch die Altstadt zu streifen, die Geschäfte zu betrachten und einen Kaffee zu schnappen oder ein Fondue im Café du midi.

Was aus der Initiative von „Helvetas“, unterstützt von „Brot für alle“ und „Fastenopfer“, anfangs der 80er Jahre gewachsen ist, hat nationale Ausstrahlung und internationales Flair erreicht. So viele Filme dokumentieren das kreative Schaffen und Ringen um Gerechtigkeit und Menschlichkeit (s. oben).


II.

Filme aus aller Welt kommen in Fribourg zusammen und spannen ihr Universum auf.  Sie bringen ihre eigene Sprache mit, ihre Sicht auf die Welt. In Fribourg waren neun verschiedene Jurys am Schauen und Diskutieren, allen voran das Publikum mit seinem Votum, dann die offizielle Jury für Langfilme, die den Preis von Stadt und Kanton Fribourg vergibt sowie einen „Spezialpreis suissimage/ssa“, ferner die Jurys für Kurzfilme, die den Preis von „Groupe E“ und des Netzwerks Cinema CH vergeben,  sowie den Prix Visa Etranger („Auslandvisum“); die Jury der Filmkritiker vergibt den Critic’s Choice Award, eine Jury denjenigen der Filmclubs FICC, die Jugendjury den von „Comundo“  gestifteten Preis und die seit 1998 von INTERFILM und SIGNIS nominierte Jury.

Die filmästhetische und theologisch-gesellschaftliche Relevanz der Filme soll die ökumenische Jury beurteilen und bei ihrer Preisfindung gleichermaßen berücksichtigen. Es geht darum, die aktuellen Filme wahrzunehmen als Ausdruck der Zeit, in der wir leben. Als Mitglied frage ich natürlich auch ganz praktisch: Welchen Film kann ich zeigen, wenn wir im „Arbeitskreis für Zeitfragen“ einen Abend zur Konzernverantwortungs-Initiative machen wollen? Aber auch: Welche Geschichten werden von jungen Regisseuren erzählt? Welche religiösen Fragestellungen sind in diesen Filmen auszumachen?


Ein Highlight war das Rencontre mit dem britischen Regisseur Ken Loach. Der riesige Saal war bis zum letzten Platz besetzt. Ein großartiger Filmemacher stand Rede und Antwort. Wenn er seine Perspektive zusammenfassen müsste, so sagte er, würden drei Worte reichen: clarity, simplicity and solidarity. Er stellt die einfachen Menschen in den Mittelpunkt, ihre Nöte und die Behinderungen, die ihnen in den Weg gelegt werden.

Die Fragen aus dem Publikum zielten sofort auf den Brexit, auf Jeremy Corbyn und die Frage nach der Wut: Kann man heute in die Welt schauen, ohne wütend zu sein? Ich war begeistert von den humorvollen, klaren, menschlichen Antworten des Regisseurs. Leider war keiner seiner Filme im Wettbewerb. Er hätte sofort meine Stimme bekommen.


III.

Acht Tage und 12 Filme später mussten sich die Jurys entscheiden. Den Internationalen Grand Prix erhielt der ukrainische Regisseur Valentin Vasjanovich für BLACK LEVEL – ein Film ohne Dialoge mit eigenwilligen, starken Bildern.

Die Ökumenische Jury war von diesem Film stark beeindruckt und gab ihm eine spezielle Erwähnung. Ihre Aufgabe war es, den von Fastenopfer und Brot für alle gesponserten Preis dem Film zu verleihen, der dem Engagement der beiden Organisationen für Gerechtigkeit und Zusammenarbeit zwischen Norden und Süden am besten entspricht. Die Jury war sich hundertprozentig einig, dass dieses Jahr ein Film preisgekrönt werden soll, der uns an den Checkpoint zwischen Israel und Palästina führte. Samuel Maoz gelang es, eine Tragikomödie mit Charme, Humor und unendlichem Tiefgang zu schaffen: FOXTROT (Israel, Schweiz, Deutschland, Frankreich, 2017).

Im Film wird eine altehrwürdige Familienbibel für ein erotisches Magazin getauscht, es geht um Schuld und Trauer, Lebensfreude und Witz, und die Frage steht im Raum: Was geben wir weiter? Können wir den Kindern das weitergeben, was uns wichtig ist? Wieso spielt die Jakob-Josef-Geschichte eine Rolle, wenn die Bibel keine Rolle mehr spielt? Oder geht es um die Praxis des Weitergebens, um die Liebe und die ungelösten Konflikte, die wir weiterreichen? Die Jury liess sich vom Film in Bann ziehen und wünscht dem Film ein Publikum, das sich hineinnehmen und verwickeln lässt. Derselbe Film wurde mit dem Don Quijote Preis des internationalen Film Clubs (FICC) ausgezeichnet.

Der Film des südkoreanischen Regisseur Kim Ui-seok AFTER MY DEATH (2017) erhielt den Preis der Internationalen Jury und den der Jugendjury Comundo. Das Drama um einen Jugendselbstmord ist aufwühlend, spannend, verstörend in Szene gesetzt.

Den Publikumspreis errang WHAT WILL PEOPLE SAY von Iram Haq, einer norwegisch-pakistanischen Regisseurin. Eine junge Frau steht im Zentrum der Geschichte. Die eingewanderte Familie mauert gegenüber der liberalen norwegischen Jugendkultur und zwingt ihre Tochter in immer härtere Maßnahmen. Dass der Film die Gunst des Publikums gewann, spricht für ihn und gegen ihn.

Gegenüber diesen packenden Dramen wirkten andere Filme zarter und leiser, wie zum Beispiel WALKING WITH THE WIND, eine indische Hommage von Praveen Morchhale an Abbas Kiarostamis Film „Wo ist das Haus meines Freundes“, der zu verzaubern vermochte, wie auch THE SEEN AND THE UNSEEN (Kamila Andini). Die junge Regisseurin ging neue Wege und öffnete für mich Fenster in eine weit entfernte Kultur, die genau besehen, Halt und Inspirationen auch für uns hier bereithält.

Festivals

"Foxtrot" by Israeli director Samuel Maoz has won the Prize of the Ecumenical Jury at the International Film Festival Fribourg 2018.