Am 25. Oktober 2006 wurde Peter von Gunten, der in Mannheim und Berlin von kirchlichen Jurys mehrfach ausgezeichnete Berner Filmemacher, für sein Gesamtwerk von der Jury der Berner Filmförderung mit dem Filmpreis 2006 in der Höhe von CHF 20'000 geehrt. Hans Hodel, ein persönlicher Freund des Geehrten, hielt im Auftrag der Jury die Laudatio, die wir mit einigen Ergänzungen wiedergeben.
Peter von Gunten, der Autorenfilmer, dessen Gesamtwerk sich durch ein kontinuierliches und konsequent politisches Schaffen auszeichnet, der in der Regel auch sein eigener Produzent war, weitgehend mit Berner Filmtechnikern und SchauspielerInnen zusammen gearbeitet, Bern immer treu geblieben ist und das Bernische Kulturschaffen und insbesondere die Filmszene durch ein erfolgreiches Engagement in verschiedenen Kommissionen und in der Politik als Mitglied des Stadtrates und des Grossen Rates des Kantons Bern belebt und ins Gespräch gebracht hat, der bei aller Ernsthaftigkeit kaum je den Schalk in den Augen verloren hat und in einer Diskussion immer wieder auch mit einer zuweilen hintergründig ironischen Zwischenbemerkung neue Denkimpulse zu geben weiss, wird mit dem Filmpreis 2006 ausgezeichnet, und das kurz vor seinem 65. Geburtstag.
Das ist vielleicht überraschend – so wie er selber die Filmszene und seine Freunde auch immer wieder zu überraschen gewusst hat, aber diese Auszeichnung ist verdient und erfolgt im richtigen Moment. Zwar ist älter werden auch für einen Filmemacher an sich noch kein Verdienst, erst recht nicht, wenn „Film“ für ihn nicht die Welt, sondern bloss ein „Nebenprodukt“ seiner Beschäftigung mit gesellschaftlichen Prozessen ist, wie er vor zehn Jahren in einem Interview gesagt hat. Aber es gilt zu würdigen, dass er zwar immer wieder bereit war, sich einzupassen und im Rahmen der gegebenen Strukturen zu engagieren, und trotzdem fähig war, unbequem zu bleiben, herauszufordern, in Frage zu stellen, zu bewegen. Dafür dankt Dir die Jury der Berner Filmförderung, und ich schliesse mich diesem Dank, lieber Peter, herzlich gerne an und gratuliere Dir zu diesem Filmpreis!
Zugegeben, Dein erster, im Jahr 1967 realisierter Kurzfilm Blumengedicht, nach dem gleichnamigen Text des Berner Poeten Rolf Geissbühler, war noch eine wunderbar verspielte Sache, stark vom Gedanken geprägt, mit dem bewegten Bild etwas auszudrücken, was allein mit der statischen Photographie nicht möglich gewesen wäre. Da war vom eben skizzierten Engagement noch nicht viel zu spüren. Aber bereits zwei Jahre später sagtest Du in einem Gespräch an den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen: „Ich finde es verantwortungslos, einfach Filme zu machen. Es geht nicht darum, dass man etwas macht, sondern was man macht. Mir geht es darum, Probleme in meiner unmittelbaren Nähe aufzudecken und vielleicht zu beseitigen“ (Neue Ruhr Zeitung vom 25.3.1969).
Damals hattest Du das Konzept zu Deinem mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilm Bananera Libertad bereits in Arbeit (Preis INTERFILM und Auszeichnung OCIC im Forum des jungen Films an der Berlinale 1971). Mit über hunderttausend ZuschauerInnen allein im nichtgewerblichen Verleih in der Schweiz ist er nicht nur zu Deinem erfolgreichsten Film, sondern zum wohl auch wirkungsvollsten Film geworden. „Formal ungekünstelt, eher schlicht, engagiert sich von Gunten für die Nöte und Zwänge der Südamerikaner. Entgegen den trivialen Schlagwort- und Revolutionsfilmchen berichtet er hier mit sachlicher Information, mit verhaltenem, objektivem, aber gezielt kritischem Kommentar, der Glaubwürdigkeit und nicht Agitation anvisiert. Ich würde sagen, gerade diese Art Film hat revolutionäre, verändernde Kraft...“ schrieb ein Filmkritiker damals (Rolf Mühlemann am 6.2.1971 im „BUND“), und ich zitiere ihn, weil hier eine Grundhaltung von Dir charakterisiert wird, welcher Du trotz aller thematischer Variationen treu geblieben bist. Der Film ist ja zu einem filmpolitischen Schlüsselfilm geworden, der zu Polemiken geführt hat und in Deutschland blieb er vom damaligen Innenminister eine zeitweise sogar verboten. Aber die Polemik ist zur nachhaltigen Analyse geworden und Du bist u.a. weit über die siebziger Jahre hinaus bis in die Gegenwart zu einem versierten Experten in entwicklungspolitischen Debatten geworden.
Den Schrei des Volkes (1977) der unterdrückten, leidgeprüften peruanischen Bauern und Landarbeiter hast Du im Film El grito del pueblo (Preis INTERFILM an der Internationalen Filmwoche Mannheim 1977) sowohl mit einem bewundernswerten Einführungsvermögen als auch mit einer bisher unbekannten Authentizität wiedergegeben und damit den Massstab für einen neuen Dokumentar-Filmstil geprägt, der Raum schafft für Bewusstwerdung, Bewusstseinsbildung und Befreiung.
Im gleichen Kontext sehe ich auch Terra roubada (Geraubte Erde, Preis INTERFILM und Erwähnung OCIC am Agrarfilmfestival Berlin 1983) und Terra prometida (Gelobtes Land, 1993), genauso wie den Film Xunan – The Lady (1980/92) über das Engagement der Bernerin Gertrude Düby-Blom bei den Chiapas im Süden Mexikos (zusammen mit Margrit Keller produziert und realisiert), und Vozes de alma (Stimmen der Seele, 1986), der wohl aus der Sehnsucht entstanden ist, in eine andere Lebensweise als der hier bekannten einzutauchen, ein sehr persönlicher Film, mit dem Du das Wagnis eingegangen bist, Dich vorurteilslos neugierig und ungefiltert einer Kultur und Tradition zu öffnen jenseits unserer erprobten Erfahrungen.
Mit Kleine frieren auch im Sommer (1978) hast Du den Aussenseitern bei uns eine Stimme gegeben und Dich dann folgerichtig während der Jugendunruhen 1980/81 als Präsident der stadträtlichen Gesprächsdelegation vermittelnd zwischen der demonstrierenden Jugend und den Behörden exponiert und verdient gemacht. In dieser Zeit hast Du mit den Dir wichtigen Filmen Bis ds Läbe üs scheidet (1981) und Em Roger si Gschicht (1982/83) auf subtile Weise aber auch persönliche Lebenserfahrungen verarbeitet. Wenn Du uns in Pestalozzis Berg (1988) nach dem gleichnamigen Roman von Lukas Hartmann einen zutiefst enttäuschten und in sich versunkenen Pädagogen zeigst, der sein Leben und Wirken reflektiert, dann ist er ein weiteres Beispiel dafür, dass Du es Dir, wie schon gesagt, nie bequem gemacht hast, noch als bequemer Filmemacher Lorbeeren holen wolltest.
Das machen Deine Filme zur Asylpolitik besonders deutlich. In Deinem Spielfilmdebut Die Auslieferung (1974), in dessen Mittelpunkt die Geschichte des russischen Anarchisten Sergej Njetschajew steht, hast Du erstmals eine asylpolitisch relevante Geschichte aufgegriffen, die ihre Klammer zur aktuellen Debatte im präzis recherchierten Dokumentarfilm They teach us how to be happy (Lernen glücklich zu sein, Preis der Ökumenischen Jury im Forum der Berlinale 1996) hat. Und die Realisierung Deines vorläufig letzten Dokumentarfilms Im Leben und über das Leben hinaus (2005) über die Geschichte der Täufer, die im eigenen Land zu Flüchtlingen geworden sind, folgt nur einer inneren Logik Deines Engagements für die Würde des Menschen und die Respektierung der Menschenrechte bei uns in Bern, in der Schweiz und in der Welt. Dabei hast Du einmal mehr gezeigt, wie respektvoll Du den Menschen begegnest und mit welch subtiler Gestaltungskraft Du Ihre Lebenssituation und Überzeugung ins Bild zu bringen verstehst.
So gesehen ist es nicht einfach, Deine Filme als eine Nebensache Deines Engagements zu verstehen, eher vielleicht als ein Mittel zum Zweck: „Wenn es uns gelingt, Filme herzustellen, die den Zuschauer zu eigenem Nachdenken und zu einer kritischen Beurteilung anregen, wenn unsere Filme neue Bedürfnisse fördern und die alten Bedürfnisse in ihrer Verlogenheit entlarven, erst wenn unsere Filme im ganzen Komplex des neuen Menschen als ein Mittel des prozesshaften Arbeitens werden, haben wir unser Ziel erreicht“, sagtest Du vor 36 Jahren in einem Interview (Zürichsee-Zeitung vom 31.1.1970).
Du weißt noch besser als ich, dass wir nach wie vor solche Filme nötig haben. Ich sage dies bewusst gerade auch deshalb, weil die Zeiten für unabhängige Autorenfilmer wie Du einer bist, leider noch schwieriger geworden sind. Wir möchten diesen Preis also nicht als Beitrag für ein sanftes Ruhekissen verstehen, aber freuen darfst Du Dich darüber schon und warum nicht – auch ein wenig zurücklehnen!