Bericht der Jurymitglieder Phil Rieger und Alxandra pavlovic

Die Mitglieder der Ökumenischen Jury im Internationalen Wettbewerb der Kurzfilmtage Oberhausen 2024, v.l.: Alexandra Palkowitsch, Phil Rieger und Krisztián Tajti (© INTERFILM)


Et de hart of dis jiars winner of de preis of de ikumenikl tschüri wos en eidia dat riali impresst as*: Es war Xue Mengzhus Einfall, englischen Text in chinesische Lautschrift zu übersetzen und von der Großmutter der Protagonistin ihres Films vorlesen zu lassen. Damit brachte sie für uns als Ökumenische Jury das Paradox, Sprache gleichzeitig als Barriere und als Befreiung zu erleben, auf beeindruckende Weise ins Bild. Ihr Film "O ma" (Before Then) löst die traditionellen Kategorien von Sprechenden und Zuhörenden auf, wodurch auch das zum Ausdruck kommt, was nicht gesagt werden kann. Ein Brief in einer fremden Sprache wird zum Medium der Verständigung, der zwar unverstanden bleibt und doch ist das Unaussprechliche nun in der Welt.


Der Film verhandelt unser Verhältnis zu den Menschen, die wir lieben, die wir nicht gehen lassen wollen und denen wir am liebsten alles sagen würden. Aber er zeigt auch, dass der Graben zwischen unterschiedlichen Generationen, Gesellschaftsordnungen und Orten uns daran hindern kann, einander ganz zu verstehen. Mit seinem kreativen Umgang mit dem Unaussprechlichen und dem Plädoyer für eine intensive Beziehung zwischen uns und unseren Nächsten im Hier und Jetzt zeichneten wir ihn mit dem mit 2.000 Euro dotierten Preis der Ökumenischen Jury bei den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen aus.

Von einer Sehnsucht erzählt auch der von uns mit einer lobenden Erwähnung ausgezeichnete israelische Film "Hitbasrut" (Decryption) der Filmemacherin Maya Zack. Der Film erzählt von dem Versuch, einem Menschen zu begegnen, der zwar Teil des eigenen Selbst ist und doch so weit entfernt bleibt. Zack erzählt von Erinnerungen an ihre verstorbene Mutter und erkundet diese auf haptische, poetische wie visuell unkonventionell beeindruckende Weise.


 

Am Ende des Films setzt sich die Filmemacherin gar selbst ins Bild und schafft es trotz der Trennung durch den Tod eine Verbindung in der Gegenwart aufzubauen. Die Erinnerung scheint der Schlüssel, sich selbst im Anderen zu erkennen. Und doch wird klar: Ihrer vollständigen Entschlüsselung muss die Erinnerung immer ein Stück weit entzogen bleiben – das ist ihrem Wesen eingeschrieben, worüber der Film nicht hinwegtäuscht.

Die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen wurden 1954 gegründet. Mit seiner 70. Ausgabe feierte das Festival dieses Jahr somit von 1. bis 6. Mai 2024 ein Jubiläum. Teil dieser langen Geschichte – es gilt als das älteste Kurzfilmfestival der Welt – waren sehr früh auch eine katholische (seit 1963) und eine protestantische Jury (seit 1964). Als gemeinsame Ökumenische Jury nehmen Signis und Interfilm seit 2000 am Festival teil. Seit dem letzten Jahr sogar mit zwei Jurys: einer für den Internationalen Wettbewerb, und einer weiteren für den Kinder- und Jugendfilmwettbewerb.

Als Teil der Ökumenischen Jury für den internationalen Wettbewerb war dieses Jubiläum für uns aber nur am Rande wahrnehmbar: Weder in den großen gemeinsamen Programmpunkten der Eröffnung und der Preisverleihung, noch während der Filmvorführungen entschied sich das Festivalteam dafür, dem 70. Geburtstag viel Platz einzuräumen. Sehr präsent war in der Eröffnung dagegen die Frage nach der Rolle, die Kulturinstitutionen in der politischen Debatte im Allgemeinen und in der zum Nahost-Konflikt im Besonderen spielen. Es gab viele Solidaritätsbekundungen für das Festival und seinen Leiter Lars Henrik Gass. Sein Facebook-Posting zur Solidarität mit Israel nach dem Hamas-Überfall am 7. Oktober 2023 hatte zahlreiche Reaktionen ausgelöst. In einer eigenen Gesprächsreihe wurden diese Diskussionen in den anschließenden Festivaltagen fortgeführt. Im Wettbewerbsprogramm und der Preisverleihung rückten sie aber hinter die Filme zurück.

Die Mehrheit der Filme im internationalen Programm spielte sich inhaltlich unserem Eindruck nach, wenn dann nur am Rande großer weltpolitischer Fragen und Konflikte ab. Immer wieder setzten sich die Filmemacher*innen mit eigenen persönlichen Erinnerungen an Familie und Heimat auseinander, was sich auch in der Auswahl der Preisträgerinnen zeigt. Aber auch dokumentarische Stoffe, die auf teils vergessene oder unbeachtete historische Ereignisse aufmerksam machten, waren Teil des Programms. Daneben waren auch Filmschaffende mit experimentellen Werken vertreten, die das Medium Film auf den Kopf stellten, es invertierten oder die Leinwand als flackerndes assoziatives Spielfeld verstanden. Von dieser Fülle und dem Mut zur Andersartigkeit waren wir als Jury sehr beeindruckt.

* At the heart of this year’s winner of the Prize of the Ecumenical Jury was an idea that really impressed us.