Das Schlingel-Festival in Chemnitz ist nach der Sektion Generation der Berlinale längst zum wichtigsten internationalen Filmfestival und Kinder und junges Publikum in Deutschland geworden. Allein die Zahlen sprechen für sich. Binnen einer Festivalwoche gaben mehr als 230 Filme aus 51 Ländern Einblicke in ferne Länder und andere Kulturen und informierten zu gesellschaftlichen Entwicklungen und Besonderheiten. Knapp 400 akkreditierte Fachbesucher*innen aus aller Welt haben das Festival besucht, das mit 25.000 Kinobesucher*innen auch einen neuen Rekord verbuchen konnte. Nicht zuletzt in Würdigung der kontinuierlichen Aufbauarbeit über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg gibt es seit einigen Jahren neben neun weiteren Jurys auch eine Ökumenische Jury. Diese hatte zwölf vom Festival ausgewählte Filme aus mehreren Sektionen zu beurteilen. Ihr gehörten 2018 die beiden SIGNIS-Mitglieder Mara Feßmann aus Deutschland) und Théo Péporté aus Luxemburg sowie Holger Twele aus Deutschland als Vertreter von INTERFILM und turnusgemäßer Jurypräsident an.
Ihren undotierten Preis vergab die Ökumenische Jury in der einstimmigen Überzeugung der in inhaltlicher wie in ästhetischer Hinsicht herausragenden Qualität an den Animationsfilm „The Breadwinner“ (Der Brotverdiener) von Nora Twomey. Die Koproduktion zwischen Irland, Kanada und Luxemburg aus dem Jahr 2017 spielt im Jahr 2001 und schildert den Überlebenskampf einer Familie aus der Sicht der elfjährigen Parvana im von den Taliban kontrollierten Afghanistan. Besonders hervorgehoben wurde die stimmige Verbindung der realen Ereignisse mit einer zeitlosen Märchengeschichte. Auf diese Weise spricht der Film ein junges wie auch ein erwachsenes Publikum an. Mit ihrer Preisvergabe setzte die Jury zugleich ein Zeichen gegen jede Form von Ausgrenzung, Diskriminierung und Unterdrückung sowie für den Wert des familiären Zusammenhalts und den bewundernswerten Mut und das eigenständige Handeln von Kindern sogar in existenziell bedrohlichen Situationen.
Die Jury vergab außerdem eine Lobende Erwähnung an den südafrikanischen Film „Meerkat Mantuig“ (Erdmännchen und Mondrakete) von Hanneke Schutte aus dem Jahr 2017. Der besonders für ältere Kinder geeignete Film versteht es in filmästhetisch sehr gelungener Weise, die Ängste einer 13-Jährigen zu visualisieren, die sich von einem vermeintlichen Familienfluch bedroht fühlt, dem der Vater bereits zum Opfer gefallen ist. Diese von der Festivalleitung fast durch Zufall entdeckte kleine Produktion erhielt zugleich den Hauptpreis der Sächsischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien und den Preis der FIPRESCI. Mit ihrer Lobenden Erwähnung wollte die Ökumenische Jury darüber hinaus zum Ausdruck bringen, dass es fast unmöglich ist, Filme für ein junges Publikum, aber für verschiedene Altersgruppen unmittelbar miteinander zu vergleichen.
Besonders hinweisen möchte die Jury wenigstens noch auf zwei weitere Kinderfilme, die bei der ohnehin bemerkenswerten Qualität des Programms besondere Beachtung verdienen: Der von der Europäischen Kinderjury ausgezeichnete indische Kinderfilm „Pahuna – Zuhause im Wald“ von Paaki A. Tyrewala erzählt die Geschichte zweier nepalesischer Kinder, die nach einem Überfall auf ihr Dorf über die Grenze nach Indien fliehen, von den Erwachsenen getrennt werden und es schaffen, zusammen mit einem kleinen Baby mehrere Wochen allein im Wald zu überleben – aus unbegründeter Angst übrigens vor absurden Schauergeschichten über christliche Mönche, die Kinder fressen sollen. Es gelingt ihnen, sich wie eine Kleinfamilie zu organisieren und auch Konflikte zu lösen, die bei der Arbeitsteilung von Mann und Frau entstehen, wenn überkommene Traditionen nicht mehr tauglich sind.
Auch dem serbisch-mazedonischen Film „Zlogonje“ (Die kleinen Hexenjäger) von Raško Miljković gelingt es fast beiläufig und ohne pädagogische Überfrachtung, gängige Vorurteile und Rollenklischees zu überwinden und für gegenseitige Akzeptanz und insbesondere für Inklusion zu werben. Ein zehnjähriger Junge, von Geburt an gehbehindert, flüchtet sich in seinen Träumen in die Rolle eines Supermans. Er freundet sich mit seiner neuen Mitschülerin an, die in der Klasse ebenfalls zur Außenseiterin wird. Sie leidet sehr unter der Trennung ihrer Eltern und kann sich das nur damit erklären, dass ihr Vater von der neuen Geliebten verhext worden sein müsse. Damit beginnt eine hindernisreiche Hexenjagd, die zum Glück nicht wie im Grimmschen Märchen endet.
Mit dem Schlingel-Festival und dem internationalen Programm an beeindruckenden Filmen jenseits des gängigen Mainstream, die Empathie weckten, für die bessere Verständigung zwischen Jung und Alt plädierten und für Toleranz und die Überwindung von Vorurteilen eintraten, konnte auch die erst kürzlich in die negativen Schlagzeilen gerückte Stadt Chemnitz ein sehr einseitiges Bild zurechtrücken. So beeindruckte neben den zahlreichen filmischen Entdeckungen nicht zuletzt die große Gastfreundschaft, bei der für die Jury auch für das leibliche Wohl gesorgt war.