Mehr als ein schwarzer Raum mit zwei Öffnungen

Rede zum Ökumenischen Empfang beim IFFMH 2024. Von Markus Leniger

© Hans Juergen Landes

Ich möchte mit Ihnen gemeinsam über etwas nachdenken, das für alle von uns wichtig ist, über das wir uns aber – weil es vielleicht zu selbstverständlich scheint - zu wenig Gedanken machen. Über etwas, das wir lieben, dem wir unsere Zeit und Energie schenken und das uns hilft, diese wunderbare und zugleich schreckliche Welt besser zu verstehen. Etwas, das uns zugleich motiviert, diese Welt zu einem besseren Ort zu machen. Etwas, das uns auch einen Raum eröffnet, um Abstand zum hektischen Dauerfeuer tagesaktueller medialer Reizüberflutung zu gewinnen und zugleich tiefer, gründlicher in die Welt, ihre Schönheit und ihren Schrecken einzutauchen, einen Raum gemeinsamer Rezeption und Diskussion.

Sie ahnen es vielleicht: ich möchte mit Ihnen über die schöne, „segensreiche“ Einrichtung eines Filmfestivals nachdenken.

Natürlich: am wichtigsten sind die Filme. Ohne sie keine Filmfestivals. Auch keines wie das wunderbare Internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg, dem die kirchliche Filmarbeit seit über 60 Jahren verbunden ist. Aber die meisten von uns denken bei aller Begeisterung für Filme vielleicht zu wenig darüber nach, wie entscheidend Filmfestivals für den Film, für dessen Sichtbarkeit, für dessen Wirksamkeit und für unsere zerrissene Gesellschaft sind. Daher erlauben Sie bitte, dass wir uns für einen Moment dümmer stellen als wir sind und in Anlehnung an Lehrer Bömmel in der „Feuerzangenbowle“ die Frage stellen: „Also, wat is en Filmfestival? Da stelle mehr uns janz dumm. Und da sage mer so: En Filmfestival, dat is ene jroße schwarze Raum, der hat hinten un vorn e Loch. Dat eine Loch, dat is de Feuerung. Und dat andere Loch, dat krieje mer später.“ Beim Lehrer Bömmel erfahren die Schüler nichts über den „großen schwarzen Raum“, in den die Filme hineinkommen. Aber wie bei der Dampfmaschine geht es auch bei Filmfestivals darum, dass es einen „großen schwarzen Raum“ gibt, der für die Entwicklung von Kraft unerlässlich ist.

In diesem Jahr hat sich – nach einem längeren Vorlauf - die AG Filmfestival gegründet, ein Zusammenschluss der Filmfestivals in Deutschland. Vor dem Hintergrund der Neuauflage des Filmförderungsgesetzes (und der damit verbundenen Verteilungskämpfe) setzt sich die AG dafür ein, Filmfestivals als unverzichtbaren Teil der Filmkultur besser sichtbar zu machen und ihnen Gehör zu verschaffen. Vor allem bei denjenigen, die über die finanziellen Grundlagen zu entscheiden haben. Da es auch in der Kultur immer auch um Geld geht, weist die AG deutlich darauf hin, dass Filmfestivals nicht einfach nur unverzichtbarer Teil der „Kultur“ sind (die angesichts knapper Kassen gerne in die zweite Reihe gestellt wird), sondern auch wichtige Akteure in der Kreativwirtschaft und bedeutende Faktoren in der kulturellen und ökonomischen Förderung der Regionen unseres Landes. Sie stehen für die kulturelle Praxis des Kinos und deren Vermittlung. Sie spielen vor dem Hintergrund zurückgehender Kinobesuch aber eben auch eine immer größere Rolle bei der Auswertung deutscher und internationale Filme.

In Zeiten wie diesen – und nach einer Woche wie der letzten mit noch größerer Dringlichkeit – braucht unsere Gesellschaft Räume wie sie die Filmfestivals bieten. Orte, an denen unserer Gesellschaft zu den kulturellen Kraftquellen kommen kann, um sich für die Gegenwart und Zukunft zu stärken: mit Hilfe starker Geschichten, bewegender Bilder und im menschenfreundlichen, toleranten Austausch, im gemeinsamen Sehen, Hören – auch Aufeinanderhören. Ohne Orte wie die Filmfestivals wird es nicht gelingen, die Zukunft des Films, aber auch die Zukunft einer offenen, toleranten Welt zu meistern. Natürlich sind Filmfestivals nicht – wie Lehrer Bömmel meint – einfach nur ein großer schwarzer Raum. Sie werden erst zu Kraftquellen und Transmissionsräumen durch die Menschen. Durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, durch die Filmemacher*innen und durch die vielen Festivalbesucher*innen, die im Miteinander Energie freisetzen. SIGNIS – und INTERFILM – sind ein kleiner Mitschöpfer dieser – um Joseph Beuys zu bemühen - „sozialen Plastik“, die jedes Filmfestival ist und an der nicht weniger als die Zukunft hängt.

Ich wünsche uns allen, dass das Internationale Filmfestival Mannheim Heidelberg in diesem Jahr wieder ein Kraftraum für die Kunst, für den Film und für unsere Gesellschaft ist und auch in der Zukunft bleibt. Dem Festivalteam und Direktor Sascha Keilholz danke ich ganz besonders für die wunderbare Arbeit, für den Einsatz mit Herz und Verstand und für die sehr gute Zusammenarbeit mit der Ökumenischen Jury und den kirchlichen Filmverbänden INTERFILM und SIGNIS. Und auch den beiden Kirchen in Mannheim danke ich recht herzlich für ihren Einsatz für das Filmfestival.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.