Filme in Krisenzeiten

Eindrücke vom 45. Internationalen „Molodist“-Filmfestival in Kyjiw
Die Wurzeln des Internationalen „Molodist“-Filmfestival von Kyjiw gehen bis in die Sowjetzeit zurück und in dieser langen Zeit hat es sich ein gutes Prestige erworben. Dennoch konnte das diesjährige 45. Festival nur dank eines findigen Sponsorings stattfinden: Der Krieg in der Ostukraine, Korruption und Oligarchenherrschaft haben in der Ukraine eine Wirtschaftskrise provoziert, die auch im ansonsten ruhigen Kyjiw allgegenwärtig ist. In seiner Begrüßungsmappe bat das Festival sogar um Spenden für die Frontsoldaten. An Erinnerungen an den Krieg fehlte es auch sonst nicht: Das ukrainische Mitglied der internationalen Jury, Jaroslav Pilunsky, ließ sich im Festivalkatalog mit Stahlhelm und kugelfester Weste abbilden. Viktor Juschtschenko, der abgewählte Präsident der „orangenen Revolution“, hielt als Ehrenpräsident des Festivals bei dessen Eröffnung eine militante Rede gegen die „russische Aggression“, die mit dem auch sonst häufig wiederholten Slogan „Ruhm der Ukraine! Ruhm den Helden!“ endete, wozu sich der Saal von den Plätzen erhob. Gut, dass im Kurzfilm-Wettbewerb der französische Film „Unsere gefallenen Helden“ („À ses enfants la patrie reconnaisante“) zu sehen war, den Stéphane Landowski gegen das verlogene und Deserteure ausgrenzende Heldenpathos nach dem 1. Weltkrieg gedreht hat. 


Der Grand Prix des Festivals ging ausgerechnet an einen Film aus Israel – an den Langspielfilm „Prinzessin“ von Tali Shalom-Ezer über einen kontrovers diskutierten Inzestfall. Für Filip Iljenko, den Chef des Staatlichen Filmkomittees war das sicher eine Überraschung besonderer Art, weil er Aktivist der neofaschistischen „Svoboda“-Partei ist und seinerzeit in der okkupierten Ukraine gegen den „jüdischen Bolschewismus“ gedrehte Nazi-Propagandafilme in den Verleih bringen wollte. Mut zur Unabhängigkeit zeigte der langjährige Festivaldirektor Andrij Khalpakhchi mit der Programmierung einer schwul-lesbischen Wettbewerbssektion „Sunny Bunny“. Immerhin hatten ja im letzten Jahr homophobe Protestler ein Festivalkino angesteckt.

Russische Filme gab es allerdings keine im Programm, was damit zusammen hängen mag, dass seit 2014 keinerlei russische Filme, noch nicht einmal harmlose Melodramen im ukrainischen Verleih gezeigt werden dürfen. Auch russische Festivalgäste sah man keine. Vor jedem Festivalprogramm lief aber ein Trailer, der Freiheit für den aus Simferopol auf der Krim stammenden Filmemacher Oleg Sentsov, der unter Terrorismusverdacht schon über ein Jahr und drei Monate ohne Gerichtsurteil in einem Moskauer Gefängnis eingesperrt ist.  


Besondere Aufmerksamkeit verdiente der spanische Beitrag „Picadero“ on Ben Sharrock, der vom Auseinanderbrechen einer Beziehung durch die spanische Wirtschaftskrise mit einer guten Mischung aus Humor und Sentimentalität erzählt. Vor allem aber auch „Ixcanul“ von Jayro Bustamante aus Guatemala, wo das soziale Elend der Kaqchikel-Mayas, aber auch die Solidarität der Familienverbände in einer Weise geschildert wird, die man auch in hiesigen Kinos zeigen sollte.

In den letzten Jahren hatte das ukrainische Kino vor allem mit Dokumentarfilmen über den Majdan punkten können. In diesem Jahr sah die Lage erheblich trister aus: Der im Spielfilmwettbewerb gezeigte ukrainische Beitrag „Auf jener Seite“ von Oleksandr Litvinenko war mit seiner verworrenen Story und Dramaturgie, mit uninspiriert spielenden Darstellern und einer vernebelten Bildtechnik eine einzige Katastrophe. Um den ukrainischen Film ist es aber auch sonst nicht gut bestellt. Die renommierte Regisseurin Kira Muratova erklärte, dass sie künftig keine Filme mehr drehen werde. Und auch der ebenfalls international anerkannte Roman Balajan will nicht mehr drehen, da es in der Ukraine eh kein funktionierendes Verleihsystem gibt. Von der mit einem Minietat vor sich hindümpelnden Filmförderung ganz zu schweigen.

Der von Sergej Trymbatsch geleitete ukrainische Filmverband ist eine wichtige und aktive Organisation. Allerdings ist seine Arbeit bedroht: Spekulanten haben es auf seine im Kyjiwer Stadtzentrum gelegene Immobilie abgesehen. Das „Budinok kino“, das „Haus des Films“, möchten sie in ein profitables Geschäftshaus verwandeln und dem Filmverband so seine Büros und Veranstaltungsbasis entziehen. Das erinnert an Moskauer Verhältnisse, wo der russische Filmzar Nikita Michalkov das traditionsreiche „Dom kino“ (Haus des Fims) ebenfalls in ein Geschäftszentrum verwandeln will.
 
Erstmals erschienen in der Wochenzeitung "der Freitag" (Link: https://www.freitag.de/). Mit freundlicher Genehmigung