Das 27. Filmfestival Max Ophüls Preis für den deutschsprachigen Nachwuchsfilm präsentierte sich mit Birgit Johnson nicht nur unter neuer Leitung, sondern auch mit formal wichtige Neuerungen: Erstmals wurde das Festival für digitale Wettbewerbsfilme geöffnet, wodurch einige visuell einfallsreiche Produktionen in den Wettbewerb gelangen konnten, die sonst wohl nicht das Licht der großen Festivalleinwand erblickt hätten, andererseits wurden erstmals auch Dokumentarfilme für den Langfilm-Wettbewerb freigegeben.
Das stellte alle Jurys vor eine nicht zu unterschätzende Entscheidung: „Spielfilm oder Dokumentarfilm?“ - was letztlich immer bedeutete „Äpfel mit Birnen“ zu vergleichen. Für die Drehbuch-Jury und die Festival-Jury bedeutete dies in manchen Kategorien eine empfindliche Einschränkung ihrer Auswahlmöglichkeiten, der INTERFILM-Jury ermöglichte es hingegen eine große Entscheidungsvielfalt, da sie lediglich „einen Film aus dem Wettbewerb“ auszuwählen hatte, der „existentielle und gesellschaftliche Fragen und Probleme artikuliert und diese filmästhetisch anspruchsvoll umsetzt“. Nicht gesagt war also, ob es sich dabei um einen Langspielfilm, Dokumentarfilm oder anderes handeln sollte.
In Zeiten allgemeiner Umstellung hat sich die INTERFILM-Jury selbst für eine Innovation entschieden: den Preis erstmals für einen Kurzfilm zu vergeben. Der INTERFILM-Preis, dotiert mit 2000 Euro durch die Firma Bacto Control GmbH Saarbrücken ging an den Kurzfilm 37 ohne Zwiebeln von André Erkau (35 mm, 14 min) - eine Entscheidung, die uns auch aus den anderen Jurys großen Respekt eingebracht hat. „Die [gemeint: die INTERFILM-Jury] klauen uns ja die ganze Show“, hat es Lars Jessen aus der Festival-Jury formuliert, und mit seiner Bitte, die Dramaturgie der Preisverleihung daraufhin abzuändern, den verantwortlichen Regisseur in Panik versetzt. Kaum Zufall also, dass die zwei flexibelsten Jurys - Schüler-Jury und INTERFILM-Jury - für die besten Überraschungen bei der Preisverleihung gut waren.
Dem gingen eingehende Diskussionen über die Langspielfilme Prinzessin (Geschichte eines russisch-deutschen Mädchens, das sich mit fatalen Folgen aus ihrer Gang zurückziehen will; Regie: Birgit Grosskopf) und Futschicato (eine linke WG zerbricht an einem weiblichen Neuzuzug, der die Zehn Gebote ihres bisherigen Zusammenlebens in Frage stellt; Regie: Olav Wehling). Die Dokumentation Mañana al mar (Ines Thomsen, Deutschland, Spanien 2006) und der letztliche Hauptpreisträger Schläfer (Benjamin Heisenberg, Deutschland 2005) lagen in unsrer Bewertung - trotz jeweils interessanter und für einen INTERFILM-Preis relevanter Thematik - letztlich doch deutlich zurück.
„Leichtfüßig und visuell pointiert gelingt es dem Film verloren gegangene Zusammenhänge des modernen Lebens am Thema Zeit in den Blick zu nehmen und die Qualitäten des Klebenbleibens zu würdigen“, so unsere offizielle Laudatio über 37 ohne Zwiebeln.
Regisseur André Erkau erzählt von einem Sales Manager, dem im raschen Filmschnitt seines Lebens die wichtigen Zwischenstationen seines Lebens abhanden kommen und der sich immer mehr fragen muss, wie er in seinem Leben eigentlich von A nach C gekommen ist, ohne B jemals passiert zu haben, und somit sein Recht auf Vergangenheit und Entwicklung einfordert. Der Film hat uns inhaltlich und ästhetisch gleichermaßen überzeugt. „Irgendwann geht dir die Luft aus“, erkennt der Protagonist. Und: „Mir fehlt meine Entwicklung, mir fehlt mein B.“
Der Film ist in Schauspielführung, Timing und Einsatz der gewählten Stilmittel von überschäumender Kreativität, eignet sich aber auch als ernsthafte Diskussionsgrundlage für wichtige existentielle Fragen, sollte unserer Meinung nach in keiner Medienstelle fehlen (bestellbar unter www.bravenewwork.de) und lässt zudem auf André Erkaus kommende Filme gespannt hoffen.