«Han Gong-ju» gewinnt am FIFF den Regard d’Or und den Preis der Ökumenischen Jury
Der Film erzählt die Geschichte der Gymnasiastin Han Gong-ju, die unfreiwillig in eine schmutzige Geschichte verwickelt wird. Von ihren Eltern vernachlässigt, muss sie die Schule wechseln und umziehen. Als Opfer der Umstände unternimmt Gong-ju alles, um jegliche Aufmerksamkeit von sich abzulenken. Dies ändert sich, als ihre neue Klassenkameradin Eun-hee ihr Gesangstalent entdeckt und sie daraufhin für den A-capella-Schulchor vorschlägt. In der Folge gerät sie in den Strudel sexueller Aggressionen der männlichen Umgebung und wird Opfer einer Massenvergewaltigung. Die Ökumenische Jury würdigt in Lee Sujins Film die Anklage einer sexistischen Gesellschaft, und in der Begründung der internationalen Jury für ihre Auszeichnung heißt es: „Wunderbar gespielt, ist diese Geschichte Charakterstudie und soziale Analyse zugleich.»
Mit diesem beim Busan International Film Festival zweifach ausgezeichneten und beim International Film Festival Rotterdam mit dem Tiger Award prämierten Erstling erhält das reiche südkoreanische Kino eine ganz neue Handschrift. Letzten Dezember wurde dem jungen Filmemacher Lee Sujin beim Internationalen Filmfestival Marrakesch ausserdem der Goldene Stern von Jurypräsident Martin Scorsese überreicht.
Weitere Preise
Gleich zwei weitere Filme aus dem zwölf Filme umfassenden Wettbewerb für lange Filme aus Asien, Lateinamerika, Afrika und Osteuropa wurden zweifach ausgezeichnet. Der von der Schweizer Stiftung „Visions Sud-Est“ ko-finanzierte und der internationalen Jury mit dem Spezialpreis ausgezeichnete chilenische Film „To Kill a Man“ von Alejandro Fernández Almendras erhielt auch den Don Quijote-Preis der FICC-Jury. Der von der Fipresci-Jury (Internationaler Verband der Filmkritik) ausgezeichnete iranische Spielfilm „Fish and Cat“ von Shahram Mokri über ein Treffen junger Leute zum Drachenfliegen zur Zeit der Wintersonnenwende, der, in einer einzigen Einstellung gedreht, formal besticht, inhaltlich aber auch verstörend wirkt, hat auch die Jugendjury überzeugt und ihm den E-CHANGER-Preis im Wert von Fr. 5 000 eingetragen. Der Film wird im Herbst von trigon-film in die Kinos gebracht.
Darüber hinaus würdigte die internationale Jury die Produzenten des japanischen Films „Au revoir l’été“ von Koji Fukada mit dem „Talent Tape Award“ für eine komplexe und zugleich poetisch und brillant erzählte Geschichte, und sowohl die FICC-Jury des internationalen Verbands der Filmclubs wie die Ökumenische Jury sorgten mit einer lobenden Erwähnung dafür, dass die Filme „Manuskripts Don’t Burn“ des Iraners Mohammed Rasoulof beziehungsweise „Constructors“ des Kazakhstanen Adilkhan Yerzhanov in der Beurteilung des vielschichtigen Wettbewerbsprogramms nicht vergessen gehen.
Ein Plädoyer für Diversity
Mit einem aus zwölf Filmen zusammen gesetzten Wettbewerb für lange Filme, einem Kurzfilmwettbewerb und sechs Parallelsektionen sowie fünf Sondervorführungen und zahlreichen Diskussionsanlässen hat der künstlerische Leiter Thierry Jobin für die 28. Ausgabe des internationalen Film Festivals Fribourg im Zeichen des Widerstandes wiederum ein reichhaltiges und attraktives Programm von insgesamt 126 Filmen aus 46 Ländern zusammengestellt und mit über 37‘000 Eintritten das Besucherinteresse erneut gesteigert. Dieses galt einerseits vor allem dem Wettbewerbsprogramm und den beliebten, pädagogisch sorgfältigen betreuten Schülervorstellungen. Aber auch die Sektion „Hommage à…“, die fünfzehn Schlüsselwerke iranischen Filmschaffens präsentierte und die demnächst vom Film Festival Edinburgh und der Cinémathèque Toronto übernommen werden, die Sektion „Terra inkognita“, die Filme aus Madagaskar zeigte und die Masterclass mit den renommierten belgischen Filmschaffenden Jean-Pierre und Luc Dardenne weckten die Neugierde des Publikums.
Mit der Wahl des diesjährigen Themas versuchte Thierry Jobin das Festival als Seismografen für Tendenzen in der weltweiten Filmproduktion zu positionieren. In der Sektion „Genrefilme“ wird der Zuschauer mit Katastrophen konfrontiert, in der Sektion „Entschlüsselt“ mit der Wirtschaftskrise, die eigentlich auch katastrophal ist. Sowohl in den einsamen Helden der Katastrophenfilme als auch in den Figuren, die allein gegen das System kämpfen, manifestiert sich die Bereitschaft zum Widerstand. Am Eindrücklichsten haben das die Zuschauer in dem mit dem Publikumspreis ausgezeichneten Dokumentarfilm „The Square“ (Al Madin) erlebt. Die ägyptisch/amerikanische Koproduktion der Ägypterin Jehane Noujaim ist eine eindrucksvolle spannende Hommage an den Tahrir-Platz, die über mehrere Jahre aus der Masse der Demonstranten ausgewählte Protagonisten bei der ägyptischen Revolution begleitet, die mit Hosni Mubaraks Sturz nicht und noch lange nicht zu Ende gegangen ist, ein Film, der 2014 als bester Dokumentarfilm nominiert war.