Grenzen überwinden
Das Aufrichten und Überwinden von Grenzen erwies sich als ein Thema, das in manchen der herausragenden Filme am 24. Filmfestival von Fribourg zum Ausdruck kam. Am eindrücklichsten in The Other Bank (L’autre rive) von George Ovashvili (Georgien 2009), der den Regard d’Or der internationalen Jury erhalten hat. Der Georgier erzählt in seinem Langfilmdebüt die Geschichte des 12jährigen Tedo, der zusammen mit seiner Mutter als Flüchtling in Tiflis lebt. Als Tedo entdeckt, dass sich seine Mutter aus Geldnot prostituiert, begibt er sich ins gefährliche Krisengebiet Abchasiens, um seinen kranken Vater zu suchen, der dort zurückgeblieben war. Auf seiner Reise durch das kriegsversehrte Land erlebt er den Hass der „andern Seite“, aber auch die Solidarität, die ihm, dem Georgier, von Abchasen zu teil wird. Aus dem Blickwinkel eines Kindes, das die Welt des Erwachsenwerdens entdeckt, fasst Ovashvili das Drama seines Landes in starke Bilder und wenige Worte. (The Other Bank hatte zuvor bereits den Preis der Ökumenischen Jury bei Festival "Golden Apricot" in Yerevan gewonnen.)
Still aus "Gagma napiri" ("The Other Bank")In El Vuelco del Cangrejo (Krabbenfalle) von Oscar Ruíz Navia (Kolumbien/Frankreich 2009) macht Daniel, ein junger Weisser, die Erfahrung, wie Grenzen zwischen Einheimischen und Fremden in einem afrokolumbianischen Dorf gezogen werden. Auf der Flucht vor seiner Vergangenheit gelangt er in ein Dorf an der Pazifikküste Kolumbiens. Ein Entrinnen ist unmöglich, solange die Fischerboote nicht zurückkehren. Angewiesen auf die Gastfreundschaft der Dorfgemeinschaft erlebt Daniel, wie diese sich gegen die Gefahren aus der Aussenwelt zur Wehr setzt. Mit einer poetischen Bildsprache von aussergewöhnlicher Dichtheit zeigt der Film, wie in einem bedrohten Mikrokosmos Beziehungen notwendig sind, um das Überleben zu sichern.
Im Film Lola des philippinischen Regisseurs Brillante Mendoza (Philippinen 2009) sind es andere Grenzen, die Menschen schmerzhaft trennen. Hier kreuzen sich die Lebenswege zweier Großmütter („Lola“) in Manila: der Enkel der einen hat den der anderen ermordet. Während die Großmutter des Opfers nach Gerechtigkeit strebt und versucht, das Geld für seine Beerdigung zusammen zu bekommen, sucht die des Täters durch eine außergerichtliche finanzielle Einigung seine Freilassung zu bewirken. Auch wenn die Grenze zwischen Gut und Böse, Opfer und Täter klar abgesteckt sind, begegnen sich beide Großmütter in ihrem Kampf ums tagtägliche Überleben ihrer Familien. Mit dokumentarischer Genauigkeit versetzt uns Mendoza in einen Alltag, der die Realitäten von Tod, Gerechtigkeit, Armut und die Suche nach Würde umfasst. Dieser Film hat in Fribourg den Preis der Ökumenischen Jury erhalten, den Preis der FICC-Jury und eine lobende Erwähnung der internationalen Jury erhalten. Er wird bereits Ende April durch trigon-film in die Deutschschweizer Kinos gebracht werden.
Beeindruckt haben am Festival aber auch Filme aus dem Iran wie Tehroun von Nader T. Homayoun (Talent Tape Preis) oder Border, ein Werk des Armeniers Harutyoun Khachatryan, das die verheerenden Folgen der Grenzkonflikte zwischen Armenien und Aserbeidschan ganz ohne Dialog und Erklärung aus der Perspektive einer Büffelkuh zu zeigen vermag (Preis der Fipresci-Jury). Das FIFF hat in seiner diesjährigen Ausgabe – auch dank der Sektion mit russischen Filmen, einer Rückschau auf Jean Rouch, den Pionier des ethnografischen Filmschaffens, und einer ganzen Reihe hervorragender lateinamerikanischer Streifen (darunter solche von Carlos Reichenbach und Jorge Furtado) – die Vielfalt der Weltsichten der siebten Kunst in großartiger Weise erleben lassen.