Nach dem großen Wirbel von 2010 um das Jubiläum des Internationalen Festivals für Kinder- und Jugendfilm im tschechischen Zlin, das im Vorjahr seinen fünfzigsten Geburtstag mit einem Riesenprogramm begangen und sich selbst als ältesten Wettbewerb dieses Genres in der Welt gefeiert hatte, ist Zlin in 2011 wieder zu etwas mehr „Normalität“ zurückgekehrt. Obwohl das Programm auch in diesem Jahr wiederum mehr als zweihundertundvierzig Filme umfasste! Diese Vielzahl lag – neben den üblichen Informations- und Panoramaprogrammen - vor allem an den zahlreichen Sondersektionen wie „Hungarian Film Forum“, „Days of Italian Cinema“, „The Kingdom of Walt Disney“ und „New Czech Films and TV Production“. Der Tisch war also reich gedeckt, und das Publikum strömte. Zum Abschluss konnte Festivaldirektor Petr Koliha mit berechtigtem Stolz verkünden, dass mehr als einhunderttausend Zuschauer die Filme gesehen hätten, darunter natürlich viele Kinder. Denn allmorgendlich zogen sie schulklassenweise in das mehr als 2ooo Zuschauer fassende große „Velké kino“ (Großes Kino) und in die sechs Säle des Kinokomplexes „Golden Apple Cinema“, während die – etwas weniger besuchten – Nachmittags- und Abendvorstellungen sich vornehmlich an ein jugendliches Publikum richteten.
Inmitten dieses Riesentrubels verloren sich geradezu die wenigen Wettbewerbsbeträge. Es waren insgesamt sechzehn Filme aus zwölf Ländern, säuberlich aufgeteilt in acht für Kinder und acht für Jugendliche. Daneben gab es allerdings noch einen besonderen Wettbewerb für die fünfzig kurzen Animationsfilme aus fünfzehn Ländern. Das kindliche Publikum war von der Wettbewerbsauswahl angetan und applaudierte meist begeistert. Das mag auch an der Programmpolitik des Festivals gelegen haben, die auf den Zuschauergeschmack eingehen wollte. Jedenfalls warnte Festivaldirektor Koliha davor, „intellektuelle“ Maßstäbe an die Filme anzulegen. Das konnte man auch nicht bei den meisten Beiträgen, die deshalb hier unerwähnt bleiben sollen, mit Ausnahme der ungewöhnlichen tschechischen Dokumentation „One Way Ticket“ (Piko) von Tomás Rehorek, die die Tschechoslowakei als sozialistisches Drogenparadies nachzeichnet (dank der heimischen Erfindung des Pervitins). Auch die beiden deutschen Wettbewerbsfilme, Peter Gersinas „Tiger Team – Der Berg der 1ooo Drachen“ und Christian Ditters „Vorstadtkrokodile 2“, waren nur Zählkandidaten.
Als diskussionswürdig blieben ganze fünf Filme, die zu Recht alle einen Preis erhielten: Das waren der norwegische Kinderfilm „Liverpools Torwart“ (Keeper’n til Liverpool) von Arild Andresen (Goldener Pantoffel der Internationalen Jury, Don Quijote Preis der FICC-Jury und Kinderfilmpreis der Ökumenischen Jury), der dänische Jugendfilm „Halt mich fest“ (Hold om mig) von Kaspar Munk (Goldener Pantoffel der Internationalen Jury und Jugendfilmpreis der Ökumenischen Jury), die französischen Jugendfilme „I Love You (So) Very Much“ (Je vous aime trés beaucoup) von Philippe Locquet (Großer Preis der Internationalen Kinderjury) und „Tomboy“ von Céline Sciamma (Milos Macourek Award und Special Award der FICC) sowie der belgische Kinderfilm „On the Sly“ (A pas de loup) von Olivier Ringer (Großer Preis International Kinderjury). Wer nun wissen wollte, weshalb diese Filme Auszeichnungen erhielten, wurde bei der Preisverleihung enttäuscht. Denn diese lag (wie schon das fast ganze Festival) in den Händen der Sponsorfirmen und des Fernsehens (das die Zeremonie live übertrug). Nicht die Jurys übergaben die Preise, sondern Firmenvertreter, politische Prominenz oder Fernsehstars. Sie wussten zu den Filmen natürlich nichts zu sagen. Nur die Ökumenische und die FICC-Jury durften (nach Sendeschluss) ihre Preise selber übergeben – aber ohne Begründung. Auch die Pressemitteilung am folgenden Tag kommunizierte diese leider nicht.
Hauke Lange-Fuchs
(Quelle: Kinder- und Jugendfilm-Korrespondenz Nr. 127-3/2011)