"Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen", verkündeten mit Überzeugung 26 Filmschaffende vor fünfzig Jahren bei den 8. Westdeutschen Kurzfilmtagen. Sie setzten damit einen Meilenstein in der Entwicklung des deutschen Kinos. Im Rahmen der 58. Internationalen Kurzfilmtage wurden nun die Unterzeichner des "Oberhausener Manifests" besonders gewürdigt.
So lief am Eröffnungsabend unter anderen Walter Krüttners Film Es muss ein Stück vom Hitler sein. Busladungen von Damen und Herren im Sonntagsstaat, ganze Familien unterwegs zur Besichtigung am "Uppersaltmountain" – frei übersetzt vom mehrsprachigen Fremdenführer. Normaler Nachkriegstourismus. Nur dass es eigentlich am Ziel offiziell nichts zu sehen gibt. Hitlers Domizil am Obersalzberg wurde während und nach dem Krieg weitgehend zerstört. Trotzdem florierte das Geschäft. Zwölf Minuten deutsche Nachkriegswirklichkeit. Beim Internationalen Filmfestival Mannheim bekam der Film 1963 damals neben dem FIPRESCI-Preis auch den Katholischen Kurzfilmpreis.
Direkt im Anschluss ging es für das Oberhausener Publikum in die originelle grafische Welt Wolfgang Urchs’, der zu den wichtigsten Gestaltern von Filmanimation im Deutschland der sechziger Jahre gehört. In seinem Film Das Unkraut (1962) schlängelt sich eine Pflanze durch die Straßen, dringt unaufhaltsam in Häuser ein, überwuchert sekundenschnell alles, was sich nicht bewegt. Die Menschen sind empört – "Da ist ein Kraut. Das muss weg", ertönt es immer wieder. Eigeninitiative bei der Problemlösung wird jedoch sofort im Keim erstickt. Die Obrigkeit soll’s richten.
Traditionelle Sehgewohnheiten brechen, innovative Wege gehen oder ungewöhnliche Perspektiven sind heute noch ein Merkmal der Kurzfilmtage. Ob "absurd-poetische Diskussion", "strukturelle Beobachtung", klassischer Dokumentarfilm - auch in diesem Jahr zeigte sich in Oberhausen die große Vielfalt der kurzen Form. Von den 4595 Einreichungen aus 98 Ländern hatten es 57 Beiträge aus 35 Ländern in den Internationalen Wettbewerb geschafft. Es ging um Verantwortung, Grenzüberschreitung, Gesellschaftskritik, um nur einige der Themen zu nennen, mit denen sich die Filmemacherinnen und Filmemacher auf ihre je eigene Weise auseinandergesetzt hatten.
Die niederländische Produktion Unser Leben ging weiter (Daya Cahen) erzählt zum Beispiel vom Bürgerkrieg und seinen Folgen. Auszüge aus Schuldbekenntnissen vor dem internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verbinden sich mit Kindheitserinnerungen an die Belagerung Sarajevos.
Der große Preis der Stadt Oberhausen ging an Snow Tapes von Mich’ael Zupraner, Israel/Palästinensische Gebiete 2011. "Für diese Arbeit, die ein besonderes Gespür für politische Dringlichkeit und Komplexität zeigt, hat der Künstler einer palästinensischen Fami-lie in der spannungsgeladenen Stadt Hebron eine Kamera gegeben … Das Resultat ist rau und unfertig, ebenso subtil wie anspielungsreich, und verortet das Kino neu als aktiven Akteur jenseits der Trennung zwischen subjektiv und objektiv, statt sich mit einer passiven politischen Rolle zufrieden zu geben", erklärte die Internationale Jury. Mit den beiden Hauptpreisen wurden Reframing the Artist, Sascha Pohle, Niederlande 2010 und Ten Five in the Grass, Kevin Jerome Everson, USA 2012 ausgezeichnet. Die Ökumenische Jury entschied sich für den Film Odete von Clarissa Campolina, Ivo Lopes Araújo und Luiz Pretti, Brasilien 2012. "Leben ohne Beziehungen reduziert sich auf reine Existenz. Clarissa Campolina, Ivo Lopes Araújo und Luiz Pretti deuten in ihrem Film eine komplexe Mutter-Tochter-Geschichte an. Die Regisseure lassen mit sorgfältig komponierten Bildern die inneren Begrenzungen von Odete und ihrer Mutter sichtbar werden", heißt es in der Begründung.
Welche Filme sie selbst auswählen und präsentieren würden, zeigten Kinder im Rahmen des Kinder- und Jugendfilmprogramms im Filmblock "Kinder haben die Wahl". Im Vorfeld hatten sich Mädchen und Jungen der dritten Klasse aus der Oberhausener Katharinenschule eine Woche lang kreativ mit Experimentalfilmen beschäftigt und daraus ein Programm für Kinder ab sechs Jahre zusammengestellt. Tanzende Fische in farbigen Fantasiewelten bereiteten kleinen wie großen Zuschauern viel Vergnügen.