Aladins Wunderlampe

18. Arnoldshainer Filmgespräche: Über das Staunen im Kino
Matrix (Wachoski Brothers)

Matrix (Wachowski Brothers; © GEP Archiv)


Vom akrobatischen Slapstick zur eindrucksvollen Monumentalfilmkulisse, dem weltumspannenden Abenteuer, halsbrecherischer Action oder phantastischen Special Effects erfindet das Kino immer wieder Bilder und Geschichten, die uns zum Staunen bringen. Um so bemerkenswerter, dass dieser elementare Affekt in der kritischen Auseinandersetzung mit dem Kino nur marginal Beachtung findet. Er wird als Produkt einer rein technischen Könnerschaft meist einer ästhetisch minderwertigen Kategorie zugeordnet. Die Geringschätzung der James Bond-Filme der sechziger, des Spielberg-Kinos der achtziger oder der apokalyptischen Science-Fiction-Szenarien der neunziger Jahren bezeugt diese Vorbehalte. Die 18. Arnoldshainer Filmgespräche vom 26.-28.5. 2000 stellten jetzt unter demTitel "Zeichen und Wunder" das Kino-Staunen in den Mittelpunkt. In einer Welt hypertrophen Wissens und Könnens wird das Kino zum Ort, an dem das sonst nur den Kindern zugestandene Staunen Ausdruck finden kann und das Unerwartete möglich wird.

Wie der Medienwissenschaftler Klaus Kreimeier an den ersten Jahrzehnten des Films nachwies, hat das Staunen des Publikums das Staunen der Produzenten zur Voraussetzung. Es entdeckt in den technischen Möglichkeiten der Kinomaschinerie, im Filmschnitt und im Kameraillusionismus die Mittel, den Wünschen unserer Phantasie Gestalt zu verleihen. An den literarischen Reaktionen auf das frühe Kino und an dem Montagebegriff der Philosophie Ernst Blochs, den der Philosoph der konkreten Utopie an den Märchen aus tausendundeiner Nacht entwickelte, erläuterte Kreimeier, wie sich in der Kinoerfahrung Technik, ästhetische Imagination und Erkenntnis verbünden. Im Kino, so ließe sich nach Bloch sagen, besitzen wir Aladins Wunderlampe neu. Spielbergs Held Indiana Jones, der Abenteuerer und Wissenschaftler, oder das zum Kultfilm der Cyberspace-Generation avancierte philosophische Kinomärchen der Brüder Wachowski, "Matrix", brachten in Arnoldshain diese denkwürdige Synthese zur Anschauung. Werner Schneider, der Filmbeauftragte des Rates der EKD, erinnerte daran, dass die religionskritisch belächelten Wundergeschichten der Evangelien Zeichen einer den Alltag überschreitenden Glaubensüberzeugung waren, die - im Licht des Kinos – auch einer erneuerten theologischen Reflexion bedürfen. Das Kino, so ließ sich seine theologische Meditation verstehen, vermag uns Hinweise auf die Spannung zwischen gläubigem und ungläubigem Staunen zu geben.


Vielleicht am vertrautesten, und doch immer wieder überraschend, tritt uns das Staunen in der Begegnung mit dem kulturell Fremden entgegen. Es konfrontiert uns mit einem Blick, der uns lehrt, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Der Film "Yeelen – Das Licht" des Regisseurs Souleymane Cissé aus dem afrikanischen Mali, eine Geschichte über eine Initiationsreise und einen zerstörerischen Generationenkonflikt, vertrat auf den Filmgesprächen diese Variante des staunenerregenden Kinozaubers. Als Autor der Kinomoderne hat sich Cissé die Welt der afrikanischen Magie angeeignet. Er folgt einer Grundfigur des Kinos, die das Elementare und das Artifizielle vereinigt – und uns versichert, dass wir das Staunen nicht verlernt haben.