Ein Blick, der sich nicht täuschen lässt. Um den Mund ein Weltzweifel, durch den es wie Lächeln schimmert. Auf dem Gesicht ein Licht, das den Zügen fast schon entrückte Entschlossenheit verleiht: So könnte die Seligkeit aussehen derer, die reinen Herzens sind. Wie Julia Jentsch als Sophie Scholl auf dem Filmplakat, das von allen Filmplakaten rund um den Berlinale-Palast das Schönste war. Das reine, unbeirrbare Herz strahlt etwas aus, das jedermann anrührt. Auch den Ermittler, der im Film für die Verdorbenheit derer steht, die ihr Gewissen an die Macht verkauft haben. Ein wenig überhöht wirkt diese Sophie Scholl trotz der historischen Genauigkeit des Drehbuchs. Aber was ist daran verkehrt, wenn die Seligkeit ein Gesicht bekommt, das unsere Sehnsucht weckt nach einem reinen Herzen? Zu Recht bekam der Film den Preis der Ökumenischen Jury und Julia Jentsch den Silbernen Bären als beste Darstellerin.
Noch ein anderes Augenpaar wird den Berlinale-Besuchern unvergesslich bleiben: Der Blick des verträumten ungarischen Jungen mit dem gelben Stern auf dem Mantel, der ahnungslos ins KZ gerät und für den das Grauen fortan die einzige Wirklichkeit ist, die gilt. In seinem "Roman eines Schicksallosen" hat Imre Kertész dieses kindliche Ausgesetztsein beschworen und das Entsetzliche so spürbar gemacht wie kein anderer. Wenn es möglich sein soll, dies Buch zu verfilmen, dann ist es mit "Fateless" gelungen. Es gab allerdings Stimmen, die mit der "Ästhetisierung des Schreckens" nicht einverstanden waren. Doch wie sollen wir den Schrecken begreifen ohne die Hilfe derer, die sich quälen, dafür eine Form in Worten und Bildern zu finden?
Die meisten, die aus dem Grauen kommen, können darüber nicht sprechen. Es bleibt in ihren Alpträumen verschlossen, was sie erlitten und was sie getan haben. Die sehr jungen Russen, die im Film "Weiße Raben – Alptraum Tschtschenien" nach ihrem Tun im Krieg befragt werden, sagen bloß: "Wozu über das Schreckliche reden?" Sie haben innerhalb weniger Monate ihre Beine verloren und ihre Seele, das sieht man. Auch die Kinder in dem erschütternden Dokumentarfilm "Lost Children" bringen nur wenig über die Lippen. Sie sind in Uganda von Rebellen entführt, zum Foltern und Töten gezwungen worden. Zahllose Kinder sind auf diese Weise in den Wäldern verschwunden, nur einigen gelingt die Flucht. Ganz kurz zeigt der Film am Ende die Bilder, die diese Kinder jede Nacht im Schlaf verfolgen. Das Schweigen danach, so habe ich in diesem Jahr des Kriegsgedenkens gelernt, ist keine deutsche Eigentümlichkeit. Und noch etwas haben die Filmfestspiele bewusst gemacht: Unser Erinnern ans deutsche Verhängnis darf uns die Aufmerksamkeit nicht rauben für die Schrecken der Gegenwart. Sehr alarmiert sollten wir sein, wenn wieder einmal in einer fernen Region Europäer evakuiert werden. Die beiden Filme über den Völkermord in Ruanda haben gezeigt, was das für die Zurückbleibenden bedeutet. Darum sollte im Religionsunterricht nicht nur "Sophie Scholl" gezeigt werden, sondern auch "Hotel Ruanda".
Es waren ernste Filmfestspiele. Immer wieder nötigte das Gesehene zum Nachdenken über die unfassliche Barbarei der Kriege. Das breite internationale Programm bot genug Gelegenheit zu erkennen, wie menschlich noch der scheinbar unmenschlichste Feind ist. Auch Selbstmordattentäter haben ein Gesicht. Auch sie sind mehr als verblendete Fanatiker. Das hat "Paradise Now" gezeigt, der Film, des palästinensischen Regisseurs Hany Abu-Assad. Er vollbringt das Kunststück, fast heiter den verzweifelten Ernst der palästinensischen Lage zu schildern. Frei von Hass erfasst seine Kamera aber auch das Menschsein der israelischen Besatzer.
Wie es in deren Herzen aussieht, machte dann wieder der keine, kluge Dokumentarfilm "On the objection front" begreiflich, den die ökumenische Jury ebenfalls auszeichnete. Der Film porträtiert einige der israelischen Offiziere, die den Dienst in den besetzten Gebieten verweigert haben. Man erfährt, dass israelische Soldaten, wenn sie bewaffnet in palästinensische Wohnungen eingedrungen sind, sich abends bitter scherzend das Wort "Nazi!" ins Ohr flüstern. Dass sie unter ihrer militärischen Wirklichkeit leiden. Dass sie sich schließlich verweigern, obwohl sie mit diesem Schritt die Liebe ihrer Väter, die Achtung ihrer Freunde verlieren. Widerstand tut weh, auch in einer Demokratie. Das Hinsehen wird mit Hoffnung belohnt: Da sind auf beiden Seiten integre, mutige Menschen, die denken. Es wird in Israel und Palästina nicht bleiben, wie es ist.
Schließlich gab es aus der ganzen weiten Welt auch eine Reihe von Filmen, die sich den heutigen, heiklen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern widmeten. Filme, die das im Alltag Verschwiegene beleuchteten wie "Thumbsucker", der schöne Film mit dem abschreckenden Titel "Daumenlutscher". Auch das Peinliche, die eigene Schwäche, kann im Dunkel des Kinosaals zu Bild und Sprache gebracht werden. Kino muss nicht heißen, der Wirklichkeit zu entfliehen. Im Kino kann man ihr auch begegnen.