Cannes 2023: Perspektivwechsel
Monster (© Suenaga Makoto)
Der Japaner Kore-eda Hirokazu beschäftigt sich in seinen Filmen immer wieder mit der Frage: Was macht eine Familie aus? In „Shoplifters“, mit dem er 2018 in Cannes die Goldene Palme gewann, ist die ‚Familie‘ ein zusammengewürfelter Haufen von sozialen Außenseitern, Erwachsenen und Kindern, die von Ladendiebstahl leben, dabei aber liebevoll miteinander umgehen.
In seinem neuen Film „Monster“ ist es eine alleinerziehende Mutter, die ihren 11jährigen Sohn Minato nicht mehr versteht. Er verhält sich merkwürdig, kommt mit Blutergüssen und einem blutigen Ohr aus der Schule. Das habe ihm sein Lehrer, Herr Hori, angetan, behauptet Minato. Empört konfrontiert die Mutter die Direktorin mit den Vorfällen und verlangt eine Entschuldigung.
Auftakt des Films ist der Brand in einem Hochhaus, in dem ein sogenannter Hostessen-Club untergebracht ist. Wie der Brand entstanden ist, erfahren wir nicht. Angeblich soll besagter Lehrer Hori den Club frequentiert haben. Nach einiger Zeit taucht der Hochhausbrand wieder auf und der Film wechselt die Perspektive. Wir sind wieder am Ausgangspunkt und die Ereignisse werden aus der Sicht des Lehrers erzählt. Auf einmal stellt sich alles ganz anders dar. Der Lehrer entpuppt sich als engagierter und verständnisvoller Pädagoge, die angebliche ‚Gewalt‘ resultiert aus einem Missverständnis.
Etwas später gibt es einen dritten Perspektivwechsel, diesmal ist es die Sicht der Direktorin, der wir folgen. Umstände, die vorher eindeutig schienen, erscheinen plötzlich in einem anderen Licht. Offensichtlich liefert die Freundschaft mit einem anderen Jungen aus der Klasse eine Erklärung für Minatos Verhalten. Kore-eda verzichtet auf demonstrative Hinweise, sondern verknüpft die unterschiedlichen Perspektiven mit beiläufiger Eleganz. Daraus ergibt sich keine Auflösung, vielmehr werden die Reaktionen des Jungen bis zuletzt rätselhaft bleiben. Ein Rätsel, das die Zuschauer auch nach dem Ende des Films noch begleitet.