DOK Leipzig 2014
Die Ökumenische Jury Leipzig 2014, v.l.: Angelika Obert, Thomas Bohne, Guido Convents, Peter F. Stucki
Das Festival begann mit dem Eröffnungs- und Wettbewerbsfilm Citizenfour von Laura Poitras (USA/Deutschland 2014), einem im Zeitraum Januar bis Juni 2013 unter grössten Sicherheitsvorkehrungen gedrehten Dokumentarfilm über den ehemaligen NSA-Agenten Edward Snowden kurz vor dem Outing und der Übergabe gewaltiger Datenmengen über völlig menschenrechts- und demokratiewidrige Überwachungspraktiken des amerikanischen und britischen Geheimdienstes an den „Guardian“ und die „Washington Post“. Obwohl der Film eine schwierig in Bilder zu fassende Materie thematisiert, vermochte er uns sehr zu beeindrucken – sowohl durch die denkbar aufschlussreiche und spannende Darstellung der damaligen Faktenlage als auch durch Snowdens Zivilcourage und sein unprätentiöses Auftreten.
Citizenfour erhielt den von der Ökumenischen Jury unterstützten „Leipziger Ring“ der Stiftung Friedliche Revolution, der im Rahmen des Filmfestivals am Mittwochabend in der Nikolaikirche und in Anwesenheit der Regisseurin zum fünften Mal vergeben wurde. Mit dem Leipziger Ring wird laut Satzungen „ein künstlerischer Dokumentarfilm gewürdigt, der bürgerschaftliches Engagement für Demokratie und Menschenrechte beispielhaft aufzeigt und unter grossem persönlichen Einsatz und Mut entstanden ist“. Vom Engagement und der Wahrhaftigkeit her war und blieb der Film eine Wegmarke bei der Suche nach einem Preisträger, der den Kriterien der Ökumenischen Jury entspricht.
Zwölf Filme standen im Internationalen Wettbewerb. Maidan von Sergei Loznitsa (Niederlande/Ukraine 2014) ist eine mit statisch entrückter Kamera gefilmte, weihevolle Materialsammlung über die Proteste in Kyjiw Dezember 2013 bis Februar 2014; In the Basement/Im Keller von Ulrich Seidl (Österreich 2014) ein provozierender, teils grotesker Bilderbogen mit sich exhibitionierenden, kleinbürgerlichen Protagonisten, die sich in ihrer Freizeit mit Leidenschaft in ihren Kellern eingerichtet haben, sei’s mit Blasmusik, Fitness, Nazi-Tand oder Sexspielen. Der Zuschauer wird herausgefordert, sich selber einen Reim zu machen. Schließlich Suddenly My Thoughts Halt/Para-me de repente o pensamento von Jorge Pelicano (Portugal 2014), eine Studie, die sich einfühlend und verständig mit den Menschen in einer psychiatrischen Klinik in Porto auseinandersetzt, ihr zweifellos humanistisches, poetisches und witziges Potential aber dadurch verscherzt, dass sie den Schluss nicht findet.
In die engere Auswahl unserer Jury kamen zuletzt drei Filme: The Shelter/L’abri von Fernand Melgar (Schweiz 2014), ein bemerkenswert sachbezogener Dokumentarfilm über die Menschen und das Geschehen in einer unterirdischen Zivilschutzanlage in Lausanne, die während des Winters nachts als Unterkunft für Obdachlose und Migranten dient, aber mit 50 Plätzen praktisch immer hoffnungslos ausgelastet ist. Eine bewegende Sozialstudie und Analyse eines Systems, das grundsätzlicher Überholung bedarf. Dann Rules of the Game/Les règles du jeu von Claudine Bories und Patrice Chagnard (Frankreich 2014, 106 Min.): Die sechs Monate währende ‘Langzeitstudie’ vermittelt einen Einblick in die Arbeit einer Beratungsfirma, die arbeitslose, wenig qualifizierte Jugendliche für den Arbeitsmarkt trimmt. Der Film erhielt den Hauptpreis, die Goldene Taube, des Internationalen Wettbewerbs für langen Dokumentarfilm. 2009 vergab die Ökumenische Jury ihren Preis an The Arrivals/Les arrivants vom gleichen Regie-Paar.
Preisträger der Ökumenischen Jury 2014 wurde Toto and His Sisters/Toto si surorile lui, der ebenfalls mit einer Lobenden Erwähnung der Internationalen Jury und mit dem Preis von ver.di, der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft, ausgezeichnet wurde. Es bleibt zu hoffen, dass der in verschiedener Hinsicht anspruchsvolle Film Inspiration für andere wird. „Mehr Mut!“ – rief Regisseur Alexander Nanau unter grossem Beifall des Publikums und forderte die Verleiher auf, seinen Film in die Kinos zu bringen.
Im Namen der Ökumenischen Jury überreichte Jury-Präsident Guido Convents dem nach zehn Jahren und elf Festivals abtretenden Festivaldirektor Claas Danielsen an der Schlussveranstaltung am Samstag einen Ehrenpreis für seine besonderen Verdienste.