Driften
Dem Geschwindigkeitsrausch verfallenen Autofahrer kann „driften“ leicht zum Verhängnis werden, besonders wenn sie diese Fahrtechnik illegal im öffentlichen Verkehr anwenden, bei hohem Tempo das Auto zum Übersteuern bringen und dabei die Kontrolle verlieren. In seinem ersten langen Spielfilm, für den er am Max Ophüls Preis 2015 in Saarbrücken drei Preise gewann (Preis des Ministerpräsidenten, Preis der Drehbuchjury, Preis der Ökumenischen Jury), geht der Schweizer Regisseur Karim Patwa der Frage nach, wie Jugendliche ticken, die sich diesem Rausch hingeben; und dabei gilt sein Interesse dem Menschen am Steuer. Sein Hauptprotagonist Robert (Max Hubacher), hat beim Driften ein Kind tödlich verletzt, längere Zeit im Gefängnis verbracht und versucht, wieder Fuß zu fassen. Er kehrt zu seinen Eltern nach Dietikon zurück und beginnt eine Lehre in einer Garage, fest entschlossen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, was ihm die ihn immer wieder umkreisenden ehemaligen Kollegen allerdings nicht leicht machen.
Eines Abends lernt Robert die ältere Englischlehrerin Alice (Sabine Timoteo) kennen – eine schicksalhafte Begegnung zwischen Täter und Opfer, die eigentlich nicht hätte stattfinden dürfen. Ohne zu wissen, wer sie ist, stellt er sich intuitiv trotzdem unter falschem Namen vor. Von ihr angezogen, nimmt er bei ihr Unterricht, der bisweilen spielerische wie spannungsvolle Formen annimmt und sie einander immer näher bringt. Dies geht so weit, dass sie in einer „meisterhaft“ angelegten Rollenspielszene, wie die Saarbrücker Drehbuchjury anerkennend bemerkt, die Perspektive von Täter und Opfer tauschen und dem Zuschauer ihre große Not nahe bringen. Roberts virulente Schuldgefühle werden immer stärker, aber zur dramatischen Wende in der Beziehung kommt es erst, als Alice aufgrund einer Unachtsamkeit von Robert seine wahre Identität entdeckt. Sie sieht sich in einer völlig verwirrenden Situation mit dem Verlust ihres Kindes und der Beziehung zu Robert konfrontiert. Eine surreale Traumszene, in welcher sich die beiden über den Wunsch unterhalten, noch einmal neu über ihren Lebensweg entscheiden zu können, schreibt sich in diesem Zusammenhang tief ins Gedächtnis ein. Was ist Wirklichkeit, was bleibt Traum? Sind Versöhnung und Vergebung noch möglich und wie? Die letzte eindrückliche Szene, das Ende einer gemeinsamen Fahrt in Roberts Unfallauto, das Alice käuflich erworben hat, gibt eine dramaturgisch überzeugende und menschlich nachvollziehbare Antwort. Ein subtil inszenierter Film über „Schuld und Sühne, Verlust und Liebe, Nähe und Distanz, der den Zuschauer über Gefühle und Verstand erreicht und berührt“, kommentiert die Ökumenische Jury.
Driften, Schweiz 2014, 97 Minuten. Regie: Karim Patwa, Besetzung: Max Hubacher, Sabine Timoteo, Andrea Zogg, Marcus Signer, Verleih: Vinca Film, www.vincafilm.ch, Filmwebsite: http://vincafilm.ch/filme/24-driften/