Festivalbericht Mannheim 2022

Von Chantal Laroche-Poupard, Mitglied der Ökumenischen Jury

Die Jurys bei gemeinsamer Diskussion im Festivalzentrum (© IFFMH)


Die 71. Ausgabe 2022 des IFFMH Mannheim International Film Festival Heidelberg unter der Leitung von Sascha Keilholz präsentierte 65 Filme aus 41 Ländern wie Costa Rica, Ukraine, Malaysia, Kroatien und Pakistan, Länder, die in deutschen Kinos selten zu finden sind.

Wir nahmen an festlichen Begegnungen teil, wie der Verleihung des IFFMH Grand Prix für die französische Regisseurin Alice Winocour oder der Huldigung an den Kameramann Benoît Debie. Die verschiedenen Jurys trafen sich täglich in freundlicher und herzlicher Stimmung, um gemeinsam die 16 Filme im Wettbewerb der Sektion "On the Rise" zu sehen. Diese Filme, erste und zweite internationale Spielfilme unter der Regie von Ausnahmetalenten, boten uns eine spannende Reise um die Welt. Die Regisseure drückten in einer menschlichen und einfühlsamen Vision die Freuden, Leiden und Verzweiflungen der von ihnen inszenierten Protagonisten aus.

Die Filme in dieser Sektion haben eines gemeinsam: Sie werfen die wichtige Frage der Menschenrechte in Bezug auf die Freiheit sowie die Frage der Achtung und Würde der Person auf. Diese grundlegenden Fragen werden natürlich mit sehr unterschiedlichem Standtpunkt betrachtet, je nach Regisseur, Film und in verschiedenen künstlerischen Techniken, in einer kulturspezifischen Sprache.


Die Freiheit von Frauen, ihr Schicksal bewusst zu wählen, ist das Thema von Michal Viniks israelisch-ukrainischem Film Valeria is Getting Married (Originaltitel: Valeria Mithatenet). Ist Freiheit wichtiger als das bequeme Leben in einer arrangierten Ehe? Hinter verschlossenen Türen prallen Emotionen, Kulturen und Interessen aufeinander. Alles entfaltet sich in diesem brillant konstruierten Film wie in einem Wirbelsturm. Dennoch ist manchmal ein Hauch von Humor spürbar. Die Regisseurin beobachtet ihre Protagonisten mit Klugheit und Zärtlichkeit, insbesondere die beiden Schwestern aus der Ukraine, die eine bereits in Israel verheiratet, die andere zur Eheschließung angereist. Sie sind in Solidarität vereint und auf der Suche nach Emanzipation. Dieser Film erhielt den Preis der Ökumenischen Jury, von SIGNIS und INTERFILM.

In dem großartigen türkischen Film Suna von Cigdem Sezgin stellt uns der Regisseur eine Frau ohne Einkommen vor, die keine andere Wahl hatte, als einen alten Mann zu heiraten, den sie mit Hingabe pflegt, den sie aber nicht liebt; Sie fühlt sich in diesem Leben gefangen; Depressionen und Alkoholkonsum holen sie ein, bis sie beschließt, sich von diesem ehelichen Joch zu befreien.


Das Streben nach Freiheit provoziert im tunesischen Film Ashkal von Youssef Chebbi (Regie und Drehbuch) und François-Michel Allegrini (Drehbuch) eine politische Revolution (Rainer Werner Fassbinder Preis für das Beste Drehbuch). Der Film bezieht sich metaphorisch auf den Mann, der sich in Tunesien aus Protest selbst in Brand setzte, Massendemonstrationen auslöste und damit den Sturz der Regierung Ben Ali herbeiführte. Das Streben nach politischer Freiheit kann auch eine innere Revolution befeuern, so der Film The Dam (Al-Sadd) von Ali Cherri aus dem Sudan. Während die Revolution Khartum erschüttert, arbeitet Maher in einer Ziegelei, wo wir die harte und monotone Existenz von Arbeitern entdecken, die in der Nähe des Merowe-Staudamms von der Welt abgeschnitten sind. In der Stille einer grandiosen Wüste befreit sich Maher von seinen eigenen Dämonen und lebt seine innere Revolution, die der Regisseur mit Schönheit und Subtilität durch universelle Symbole übersetzt: Wasser, das reinigt, Feuer, das Flammen entzündet und Erde, die uns an unsere leibliche Existenz erinnert.

In dem portugiesischen Film Wolf and Dog (Lobo e cão) von Cláudia Varejão stellen Jugendliche das Leben ihrer Eltern in Frage, wobei das Licht der Freiheit mit der Dunkelheit der Tabus kontrastiert, die die traditionelle und veraltete Gesellschaft der Azoren beherrschen. Im pakistanischen Film Joyland von Saim Sadiq erlaubt uns Freiheit, traditionelle gesellschaftliche Konventionen aufzubrechen: Der Regisseur nimmt uns mit ins Nachtleben von Lahore; er kritisiert die Gesellschaft und ihr Patriarchat, behält aber dennoch eine empathische Vision von freiheitsliebenden Menschen.


Gibt Empathie leidenden und unterdrückten Menschen Respekt und Würde zurück? Der südkoreanische Film Next Sohee (Da-eum-so-hee) von Regisseurin July Jung lädt uns ein, einer mutigen Polizeikommissarin zu folgen. Sie enthüllt die irregulären Bedingungen, unter denen Schülerinnen und Schüler ihr Pflichtpraktikum ableisten; sie interessiert sich besonders für den Fall der jungen Sohee, die Selbstmord begeht, weil sie den intensiven Druck, den ihr Praktikum in einem Callcenter auf die Mitarbeiter ausübt, nicht mehr ertragen kann. In David Depessevilles Film Astrakan ist der junge Samuel ein "totgeborenes Wesen" wie das totgeborene schwarze Lamm, das dieses Fell trägt, den Astrakan (eine Art Persianer). Hervorragend gespielt vom jungen Mirko Giannini wird Samuel, das Waisenkind mit einer chaotischen Kindheit, in eine Familie gebracht, in der er versuchen wird, zu überleben und zu existieren.


Auch in Regisseurin Valentina Maurels Film I Have Electric Dreams (Tengo sueños eléctricos) leidet Eva darunter, dass sie mit einer Erwachsenenwelt konfrontiert wird, in der sie nicht "schwimmen" kann. Und auch in Graham Foys kanadischem Film The Maiden geht es um das Leiden: traurig und subtil, zwischen realistischem Dokumentarfilm und mystischer Fiktion, zeigt er die Zerbrechlichkeit der Freundschaft von Teenagern und ihre Begegnung mit der Trauer um verschwundene und verstummte Stimmen. Dieser Film wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Fipresci-Preis der internationalen Filmkritik und dem Jugendpreis.


Den Newcomer International Prize erhielt der Film You Won't Be Alone (Australien, Großbritannien, Serbien) von Goran Stolevski. Sein im Mazedonien des 19. Jahrhunderts spielender Film verschiebt die Grenzen des Kinos, indem er einen Mythos erzählt: Er konfrontiert uns auf unerwartete Weise mit grundlegenden Fragen der Geschlechterfreiheit und -identität.

Das Festival hat in seinen Wettbewerbsfilmen ein kritisches Bild des mangelnden Respekts für die Würde des Menschen geliefert. Und dabei auch die Geschichte von Protagonisten erzählt, die sich ihres Freiheitsstrebens bewusst wurden. In einer manchmal realistischen, manchmal poetischen, manchmal prophetischen Vision hat es uns an die grundlegenden und primären Werte erinnert, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgehalten wurden.

(Übersetzung des französischen Berichtes auf der Website von Signis.)