Es gab zwar keine eindeutigen Favoriten im Wettbewerb, aber mancher hatte es nach der begeisterten Reaktion bei der Premiere geahnt, dass der Schwede Ruben Östlund fünf Jahre nach seinem Triumph mit „The Square“ wieder die Goldene Palme gewinnen würde. „Triangle of Sadness“ ist eine Satire auf die Welt der Reichen und Schönen.
"Wir hatten das Ziel, einen spannenden Film für das Publikum zu machen und zum Nachdenken anzuregen", sagte Regisseur Östlund, als er die Auszeichnung entgegennahm. Eine Luxusyacht wird von Piraten gekapert und die überlebenden Passagiere landen auf einer einsamen Insel. Allerdings fällt Östlunds Satire auf Luxuskonsum und Kapitalismus etwas grobschlächtig aus. Wir amüsieren uns über die Welt der Superreichen, lachen über ein Panoptikum schriller Figuren, aber nicht über uns selbst.
Ernsthafter und aufwühlender ist das Bild, das die Brüder Dardenne in „Tori und Lokita“ zeichnen. Sie werfen einen ungeschönten Blick auf die Lage minderjähriger Flüchtlinge in Belgien. Dafür wurden sie mit dem Sonderpreis des 75. Jubiläums von Cannes ausgezeichnet. Man hätte ihnen auch Goldene Palme geben könne, aber das wäre ihre dritte gewesen. „Wir widmen den Preis einem Bäcker aus Besançon, der in den Hungerstreik trat, um die Abschiebung seines afrikanischen Lehrlings zu verhindern“, erklärte Luc Dardenne bei der Preisverleihung.
Das belgische Kinowunder setzte sich auch bei der Preisverleihung fort. Der Große Preis der Jury ging hoch verdient an den Belgier Lukas Dhont für das sensible Freundschaftsdrama „Close“. Seine Dankesrede war ein emotionaler Höhepunkt des Abends und der Film des 31jährigen Newcomers die große Entdeckung des Festivals. Seine belgischen Landsleute Felix van Groeningen und Charlotte Vandermeersch wurden für „Le otto montagne“ mit dem Preis der Jury geehrt, den sie mit dem polnischen Altmeister Jerzy Skolimowski für „EO“ teilten.
Für „Holy Spider“ von Ali Abbasi, der von vielen favorisiert wurde, gab es den Preis für die beste weibliche Darstellerin. Zar Amir Ebrahimi spielt eine unerschrockene iranische Journalistin, die einen Serienmörder überführt, der Prostituierte umbringt. Als bester männlicher Darsteller wurde der Koreaner Song Kang-ho ausgezeichnet. Er spielt die Hauptrolle in „Broker“ von Hirokazu Kore-eda, einen kleinen Gauner, der ein Baby entführt, um es möglichst teuer zu verkaufen. Ein anrührender Film über eine Gruppe von Außenseitern, die zu einer improvisierten Familie zusammenwachsen. „Broker“ war einer der hoffnungsvollsten Filme des Wettbewerbs, der auch den Preis der Ökumenischen Jury gewann.
Nach den Einschränkungen durch Corona konnte Cannes sich wieder als das wichtigste Filmfestival profilieren, wo sich hochkarätige Regisseure treffen und hoffnungsvolle Newcomer Karrieren starten. Der pessimistische und melancholische Ton vieler Filme deutet an, dass die Welt sich in einem kritischen Zustand befindet, in dem nur manchmal Hoffnung aufscheint.