Als ich Dorothea Holloway am diesjährigen ökumenischen Empfang der Kirchen in Berlin nicht wie gewohnt traf, war ich beunruhigt. Zu Recht, wie sich bald zeigen sollte. Kurz vor Eröffnung der Berlinale, die sie, solange ich mich erinnern kann, zu besuchen pflegte, ist die am 8. Juni 1932 in Weissenfels an der Saale geborene Schauspielerin Dorothea Holloway, die unter ihrem Mädchennamen Moritz auftrat, am 3. Februar 2017 in ihrem 85. Lebensjahr verstorben.

Ihr Schauspielstudium schloss sie 1954 an der Staatlichen Schauspielschule Hamburg mit dem Diplom ab. „Abigail“ war in dem von Fritz Schröder-Jahn als Hörspiel inszenierten Drama „Hexenjagd“ von Arthur Miller ihre erste unvergessliche Rolle. Es folgten verschiedenartige Theater-Engagements u.a. in Hof, Augsburg, Bonn, Düsseldorf, Bochum, Hamburg, Berlin und Stuttgart, wobei sie gelegentlich auch unter so namhaften Regisseuren wie Fritz Kortner, Hans Schweikart, Gustaf Gründgens und Percy Adlon arbeitete.

Neben der Mitwirkung in Fernsehproduktionen (Stahlnetz 1959-1963, Polizeifunk ruft 1968, Hamburg Transit 1972-1974, Tatort 1975-2001) erhielt sie seit den 70er-Jahren regelmässig auch Engagements in Spielfilmen, u.a. auch in Filmen von Niklaus Schilling, Andrzej Wajda, Dieter Köster, Ulrike Ottinger. Zu den unvergesslichen Rollen, an die sie besonders gerne erinnerte, war diejenige der Mutter im preisgekrönten Film „Höhenfeuer“ des Schweizers Fredi Murer, der 1985 in Locarno nicht nur mit dem Goldenen Leoparden, dem Preis der Oekumenischen Jury und demjenigen der Jugendjury ausgezeichnet wurde, sondern unter dem Titel „Alpine Fire“ weltweite Beachtung fand (siehe „Kino German-Film“ No 20/1985).

Parallel zu ihren Schauspielengagements begann sie sich in den frühen 70er-Jahren auch für die deutsch-polnische Versöhnung zu engagieren, betätigte sich journalistisch und als Filmkritikern, wobei ihr Augenmerk vor allem dem osteuropäischen Kino galt. Am Filmfestival Karlovy Vary lernte sie den aus Chicago stammenden katholischen Theologen und Filmjournalisten Ron Holloway kennen, der an der Evangelischen Fakultät der Hamburger Universität mit einer fundamentalen Arbeit über „Beyond the image. Approaches to the Religious Dimension in the Cinema“ doktoriert hatte.

Als Wolf Donner, der damalige Festivaldirektor der Berlinale, Ron Holloway mit dem Schwerpunkt „Russland“ in die Auswahlkommission berief, zogen er und Dorothea 1976 nach Berlin. Dorothea wurde Mitglied der Auswahlkommission des Kinderfilmfestes, der sie während 19 Jahren angehörte. Ron begann als Korrespondent verschiedener Branchenpublikationen wie dem Hollywood Reporter, Variety und der Herald Tribune über Filme zu schreiben und wurde in Nordamerika zum Vermittler des jungen deutschen Films. Gemeinsam lancierten sie 1977 die englische Publikation „Kino German Film“ (www.kino-germanfilm.de),  mit dem Ziel, dem deutschen Film im englischen Sprach- und Kulturraum eine Plattform zu geben.

Ohne jegliche öffentliche Unterstützung produzierten sie Heft um Heft im Blick auf die Präsenz an den Festivals in Berlin und Cannes, und auch nach dem Tod von Ron im Jahr 2009 führte Dorothea das Werk unermüdlich weiter, unterstützt von ihrem Neffen Gregor Sedlag, zeitweise auch von Martin Blaney. Mit der Nummer 107 erschien zur Berlinale 2015 die letzte gedruckte Ausgabe. Statt sich auf das inzwischen schwierig zu vertreibende Printprodukt zu konzentrieren, begann sie bis Ende 2015 bis zu drei wöchentliche Blogposts auf kino-germanfilm.de zu publizieren und war damit womöglich die eifrigste individuelle Stimme zum deutschen Film im Netz, wie ihr Neffe Gregor Sedlag hervorhebt. Immerhin wurde ihr Engagement mit einigen Ehrungen gewürdigt. Nachdem Ron Holloway 1999 mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet wurden, ehrte die American Foundation 2002 Ron und Dorothea mit der Verleihung des „Freedom Award“ “for opening our eyes to the East“, 2004 wurden sie zu Ehrenmitgliedern von INTERFILM ernannt, und 2007 überreichte ihnen Dieter Kosslick die Berlinale Kamera. 

Dorothea Holloway hat sich (zusammen mit Ron) in die Geschichte der Festivalpräsenz von INTERFILM, der Internationalen Kirchlichen Filmorganisation, im Rahmen ihrer Jurys als auch von ökumenischen Jurys eingetragen, wobei sie natürlich immer wieder auch in andere, zum Teil offizielle Festivaljurys berufen worden ist. Sie war nicht nur in Cannes und in Berlin oder in Mannheim und Leipzig in der ökumenischen Jury. Am Max Ophüls Preis Festival Saarbrücken war sie als Mitinitiatorin der 1985 in Zusammenarbeit mit dem damaligen Festivaldirektor Albrecht Stuby eingerichteten INTERFILM-Jury über manche Jahre  gesetztes Jury-Mitglied, denn die Unterstützung und Förderung junger Talente war ihr zusammen mit Ron ein Herzensanliegen. Da bin ich ihr denn 1989 als Jurymitglied persönlich erstmals begegnet. Bis zuletzt aber blieb sie Schauspielerin. Seit 1998 hielt sie regelmässig Lesungen in städtischen und ländlichen Kulturhäusern und Kirchen, insbesondere aber auch im Berliner Dom, worauf sie sehr stolz war. Nun ruht sie neben ihrem Ron auf dem Friedhof der Evangelischen Kirchengemeinde St. Johannis in Alt-Moabit Berlin.

Siehe dazu den Nachruf von Karsten Visarius zum Tod von Ron Holloway am 16.12.2009: http://www.inter-film.org/de/artikel/memoriam-ron-holloway-1933-2009/4634 und denjenigen von James Wall: https://wallwritings.me/2009/12/18/huete-morgen-ist-ron-holloway-gestorben-1933-2009/