Vorschau auf die Online-Ausgabe der 66. Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen. Von Dietmar Adler

Dietmar Adler ist Jury-Coordinator INTERFILM und Mitglied des Arbeitskreis Kirche und Film der hannoverschen Landeskirche.

Sein Text erschien zuerst auf Kunstinfo.net, der Website des Arbeitsfeldes Kunst und Kultur im Haus kirchlicher Dienste der Evangelisch Lutherischen Landeskirche Hannovers, Link: Kunstwerk des Monats


Haben Sie vom 13. bis 18. Mai schon etwas vor? Ein Filmfestival lädt ein: die Kurzfilmtage Oberhausen. Aber eben nicht nach Oberhausen – „SOMETHING HAS TO HAPPEN“ – sondern online.

Die Kurzfilmtage sind ein Gesamtkunstwerk, eine kulturelle Institution, die ihre Kraft immer wieder aus dem Neuen gewinnt.

Seit 1954 zieht es Menschen mit ihren Filmen für eine knappe Woche in die Industriestadt im Ruhrgebiet. Zugegeben: Die Stadt ist nicht im herkömmlichen Sinne attraktiv, insbesondere das „alte“ Stadtzentrum mit seiner 50er-Jahre-Architektur, den Billig-Kaufhäusern und Shisha-Bars. Und mittendrin: das Kino, die Lichtburg mit seinen vier Sälen, fußläufig Kommunikationsorte für die Festivalbesucher*innen. Das ist an sich schon ein verstörendes Erlebnis: Ein Ort der experimentellen Hochkultur inmitten ganz anderer Kulturen. Aber 2020 wird das Ganze noch skurriler.

Kurzfilmtage-Direktor Lars Henrik Gass reflektiert die Veränderungen in der Wahrnehmung von Filmen: „Film und Kunst nach dem Kino“ heißt sein lesenswertes Buch (Köln 2017). Was bedeutet es, dass der Film immer weniger das Kino braucht? Netflix und Youtube individualisieren die Filmwahrnehmung, Medien werden mehr und mehr privat rezipiert. Für das Kino sieht Gass vor allem die Aufgabe, die Filme in einer Art Museum zu präsentieren. Und auch für Filmfestivals, die ja normalerweise in Kinos stattfinden, muss die Aufgabe neu gefunden werden: „Filmfestivals halten ästhetische und soziale Alternativen im gesellschaftlichen Raum virulent und tragen zur Ausdifferenzierung ästhetischer Kriterien bei. Sie helfen, künstlerische und wissenschaftliche sowie generell gesellschaftliche Anliegen aufeinander zu beziehen. Sie wirken der Individualisierung der Rezeption entgegen.“


Filmfestivals sind für Gass soziale Orte des gemeinsamen Schauens und der Interaktion. „Wenn es den Filmfestivals nicht gelingt, einen sozialen Mehrwert plausibel zu formulieren, werden sie verzichtbar. Ein gutes Filmfestival ist wie eine jener Buchhandlungen, in denen man am Ende etwas kauft, das man nicht gesucht hat. Man geht mit Erwartungen hinein und kommt mit Erfahrungen heraus, bekommt etwas anderes, als man erwartet hat.“

Und ausgerechnet diesem Festivalleiter obliegt es nun, gemeinsam mit seinem Team ein Online-Festival zu organisieren. Ich stelle mir vor, er wird gehadert haben, als die Nachrichten von der Corona-Front die Durchführung eines live-haftigen Filmfestivals unmöglich werden ließen: Können wir überhaupt etwas auf die Beine stellen, was sich Festival nennen darf? Wie können wir einen „sozialen Mehrwert“ darstellen? Aber man fühlt sich den Filmschaffenden verpflichtet.
Trotz allem, was nicht geht, man hat sich in Oberhausen für eine Online-Ausgabe entschieden.

350 Kurzfilme werden gezeigt (550 waren ursprünglich vorgesehenen). Teilnehmen kann jede*r, es kostet nicht einmal 10 €.

 

Einiges versuchen die Festival-Macher*innen in die Ausnahme-Ausgabe zu retten: So werden die Filme nicht einzeln abrufbar sein, sondern nun in den mit Bedacht zusammengestellten Blöcken, in denen sie auch in der Lichtburg zu sehen gewesen wären. Anders als andere Online-Festivals wird die Streaming-Möglichkeit zeitlich nicht ausgeweitet, es bleibt bei den Festival-Terminen. Und dann werden die Filmprogramme auch jeweils nur 48 Stunden zur Verfügung stehen, es bleibt schon ein gewisser Druck, die Filme jetzt und genau in dieser Zusammenstellung zu sehen – oder eben nicht mehr. Angeboten werden auch Blogs und Talks mit Filmschaffenden sowie Beteiligungsmöglichkeiten. Und es wird auch wieder die Preise und Jurys geben, darunter auch eine erweiterte Ökumenische Jury (mit Juror*innen von Togo bis Bremen, von Edinburgh bis Kyjiw).

„Filmfestivals werden allmählich zur sozialen Installation, genuine Erfahrung von Kino in der Nestwärme des Kollektivs,“ schreibt der Festivalleiter 2017 mit Blick auf die Funktion von Filmfestivals, die „in echt“ stattfinden. Schon das Öffentlich-Machen der Filme online ist verdienstvoll.


Die Kurzfilmtage Oberhausen 2020 begreife ich insgesamt als „Kunstwerk der Woche“. Sie werden mehr sein als die Summe der 350 Film-Kunstwerke.

LINKS kurzfilmtage-kino

Zur Homepage der Kurzfilmtage
Zutritt zum Online-Festival vom 13. bis 18. Mai haben Besucher*innen mit einem Festivalpass zum Preis von 9,99 €, mit dem sie sechs Tage lang unbeschränkt Kurzfilme sehen können. Der Vorverkauf läuft seit Ende April, wobei auch die Programme mit allen Filmen auf der Website der Kurzfilmtage veröffentlicht werden. Alle Erlöse aus dem Verkauf der Festivalpässe leiten die Kurzfilmtage weiter an die Stiftung Sozialwerk der VG Bild-Kunst.

Auch das Festival-Magazin ist inzwischen online 

Ein Tipp für Popmusik-Fans
Schon vorab sind bis zum 15. Mai die zwölf Filme des Wettbewerbs MuVi für das beste deutsche Musikvideo zu sehen, verbunden mit der Möglichkeit abzustimmen.

Und wer sich auf Kurzfilme mit legendären Werken aus 65 Jahren Geschichte der Kurzfilmtage einschwingen will: Jede Woche wird der online verfügbaren Sammlung ein Kurzfilm hinzugefügt.

Pastor Dietmar Adler ist Jury-Coordinator INTERFILM und Mitglied des Arbeitskreis Kirche und Film der hannoverschen Landeskirche.

Quelle: Kunstinfo.net , Website des Arbeitsfeldes Kunst und Kultur im Haus kirchlicher Dienste der Evangelisch Lutherischen Landeskirche Hannovers, Link: Kunstwerk des Monats

Festivals

Aufgrund der Corona-Krise fanden die 66. Internationalen Kurzfilmtage online statt. Mit einem Festivalpass für € 9,99 waren über 350 Filme zugänglich. Auch die Preisvergabe fand online statt.