Opfer sind Thema. Nicht nur in juridischen Debatten, sondern neuerdings vor allem auch in der Jugendsprache: „Du Opfer!“ ist zu einer vielverwendeten Beschimpfung geworden und selbst als Adjektiv („Das ist echt Opfer!“) taucht der Begriff immer wieder auf. Das Gedankengut, das hinter einer derartigen Verwendung des Opferbegriffs steht ist bedenklich. Bedenklich, aber doch nicht so einfach von der Hand zu weisen. Von der Mitschuld der Opfer ist auch in wissenschaftlichen Diskursen immer wieder die Rede, und auch die Jugend unter den Filmschaffenden, die Wettbewerbsteilnehmer des Filmfestivals Max Ophüls Preis 2013, schenken den Opfern viel Aufmerksamkeit.
In einer unmissverständlichen Opferrolle befindet sich der Protagonist des mit dem INTERFILM Preis ausgezeichneten Spielfilms Fünf Jahre Leben. Regisseur Stefan Schaller erzählt die Geschichte des Deutsch-Türken Murat Kurnaz, der in Pakistan von Amerikanern verhaftet und als Terror-Verdächtiger nach Guantanamo verfrachtet wurde. Fünf Jahre hat er dort verbracht. Fünf Jahre, in denen mit unmenschlicher Systematik versucht wurde, den Willen des vermeintlichen Täters zu brechen; mit Schlägen, Schlafentzug, Fehlinformationen und dem Schüren falscher Hoffnungen. Gezeigt wird ein Ausschnitt dieser Zeit.
Mit gänzlich anderen Ansätzen, aber nicht minder eindrucksvoll, beschäftigt sich auch Regisseur und Drehbuchautor Florian Eichinger mit den Leiden, aber auch mit einer möglichen Schuld der Opfer. Nordstrand heißt sein Film, in dem er vom Wiedersehen zweier Brüder erzählt, die auf ganz unterschiedliche Weise unter ihrem tyrannischen Vater gelitten haben; und immer noch leiden. Volker, der jüngere der beiden, hat sich den Aggressionen des Vaters immer entgegengestellt und sich so selbst zur Zielscheibe gemacht. Marten, der ältere, war der stumme Zeuge der Misshandlungen, der aufgrund seiner Untätigkeit schuldig zu sein glaubt. Getragen von herausragenden Leistungen der Darsteller, erzählt der Film mit viel Zurückhaltung und einem treffsicheren Gespür für die Erzählkraft der Bilder von den Folgen familiärer Gewalt und von der scheinbaren Unmöglichkeit, eine solche Vergangenheit hinter sich zu lassen. Auch die Opfer plagt die Schuld, und die Zeit allein heilt keine Wunden.
Weniger vordergründig und doch spürbar erzählt auch Der Glanz des Tages (2012 in Locarno mit einer lobenden Erwähnung der Oekumenischen Jury ausgezeichnet) , der Gewinner-Film des Max Ophüls Preises 2013, von der Gewalt gegen Kinder und ihre unauslöschlichen Folgen. Das Regie-Duo Tizza Covi und Rainer Frimmel, das 2009 in Kyiv für ihren Fim La Pivellina den Preis der Oekumenischen Jury erhielt, erzählt seine Geschichte abseits der Konventionen: Die zwei Hauptdarsteller – ein junger Schauspieler und ein alternder Zirkusartist – spielen sich selbst. So entwickeln sich die Szenen völlig natürlich und erreichen, vor allem auch durch die nicht spielenden Nebendarsteller, einen Grad an Realismus, den man so auf der Leinwand selten zu sehen bekommt.
Beide Männer sind Liebende des Publikums, auch wenn der ältere das seine bereits verloren hat. Während also der Schauspieler zwischen seinen unzähligen Auftritten vor allem mit dem Erlernen neuer Texte befasst ist, sucht der pensionierte Artist nach Arbeit, nach Anschluss und auch nach seiner Vergangenheit im Waisenhaus, dem er, trotz Brutalitäten und Erniedrigungen, als warmherziger Mensch entwachsen zu sein scheint; ohne aber die massiven Kränkungen ganz hinter sich gelassen zu haben.
Ernst und nachdenklich, mit einem scharfen Blick für die Schwachstellen unseres sozialen Gefüges präsentierte sich der Regie-Nachwuchs in Saarbrücken. Auf den Kopf gestellt wurde die Filmwelt auch in diesem Jahr nicht, aber das große Potential einiger junger deutschsprachiger Filmschaffender war nicht zu übersehen.