50 Jahre Nordische Filmtage
Von Antje Peters-Hirt
Es war 1971. Als Schülerin wurde ich auf die Nordischen Filmtage in den Lübecker Kammerspielen aufmerksam. Schon damals führte Hauke Lange-Fuchs in die Filme ein. Das Publikum in den Kammerspielen wirkte früher auf mich wie eine herausgehobene verschworene Gemeinschaft, denn die Filme liefen im Wesentlichen in der jeweiligen skandinavischen Original-Sprache ohne Untertitel. Das war selbst für hartgesottene Filmfans eine Herausforderung. Ich kann mich gut an den Arbeiterfilm „Joe Hill“ von Bo Widerberg erinnern. Er hat mich zu der Zeit sehr beeindruckt.
Mein Interesse für Film wurde eher zufällig geweckt. Aus meiner Theatergruppe, die im Jugendpfarramt in der Königstraße tagte, wurde unter der Hand 1970 – auch dem Zug der Zeit geschuldet – eine Filmgruppe. Wir machten allerdings keine Filme, sondern wir zeigten Filme, was das „EN-Cinema“, so hieß unser Kino, zu einer Art Vorläufer des Kommunalen Kinos machte.
Viele Jahre später, wir schrieben das Jahr 1991, war es wieder so weit. Ich hatte erneut Gelegenheit – und diesmal als Kritikerin für die Lübeckischen Blätter – die Nordischen Filmtage zu besuchen. Seitdem bin ich den Nordischen Filmen endgültig verfallen.
„Als die Bilder laufen lernten“
Obwohl der deutsche expressionistische Film Weltgeltung beansprucht, hat sich insbesondere im deutschen Sprachraum der Film als „Siebte Kunst“ lange nicht durchgesetzt. Das liegt auch daran, dass die Welt des Zelluloids auf dem Jahrmarkt geboren wurde. Film war immer auch Unterhaltung. Als Georges Méliès den Film erfand, war die Welt noch in Oben und Unten geteilt und die, die die Arbeit für die anderen machten, suchten Freude und Erholung bei jedweden Jahrmarktvergnügen. Lachen und Tränen, Herz und Schmerz, Rührung und Verzweiflung hielten sich die Waage. Die großen Gefühle gingen einher mit den großen Gesten und das alles in dramatischem Schwarz-Weiß. Die subtile Darstellung von menschlichen Konflikten und Sehnsüchten kam erst später dazu. Dabei haben sich große Regisseure, Kameraleute und Darsteller ausgezeichnet. Die Namen sind Legion; ich denke zuerst an Fassbinder, Antonioni, Saura oder Godard. Insbesondere auch die skandinavischen Regisseure Victor Sjöström, Carl Theodor Dreyer, Ingmar Bergman und Jan Troell erlangten Weltruhm.
Vom Bildungsbürgertum, der Publizistik und erst recht der universitären Forschung wurde der Film lange verschmäht. Dafür entwickelte sich in den politischen 70er Jahren eine rege kommunale Filmarbeit, deren Ergebnis die Einrichtung von Kommunalen Kinos in allen größeren Städten war.
All das ist Schnee von gestern. Heute ist es eher umgekehrt. Die Kommunalen Kinos werden ausgezehrt oder geschlossen. Mittlerweile ist die Historizität des Mediums spürbar. Alte Filmrollen werden gesammelt und verlorene Filme rekonstruiert, wissenschaftliche Tagungen, Professuren und Lehrstühle zu Filmen sind selbstverständlich, Film als Referenzmedium für Literatur, Bildende Kunst, Musik und Psychoanalyse wird ständig bemüht; mehrere deutsche Städte verfügen über gut ausgestattete Cinematheken; der Staatsminister für Kultur fühlt sich dem Film – noch – sehr verbunden und fördert Filme, was das Zeug hält. Allerdings wird in die Kunst des Drehbuchverfassens und in die Distribution traditionell zu wenig Geld gesteckt.
Der Film hat nach seinem Siegeszug auch durch das Fernsehen eher seinen Zenit überschritten. Jetzt sind andere Medien angesagt. Was wir gerade im Begriff sind zu verlieren, werden wohl andere Generationen erst so richtig spüren; so zum Beispiel das Erlebnis einer gemeinsamen öffentlichen Vorführung im großen Format. Ein Wermutstropfen ist auch, dass unsere Kinder mit der Filmbegeisterung der (Groß-)Eltern nicht mehr viel anfangen können und sich eher dem individuellen Film-Konsum am PC hingeben. Der gemeinsame Akt des Ins-Kino-gehen, den Kracauer so wunderbar beschrieben hat, gehört teilweise der Vergangenheit an. Wertkonservatives Bedauern nützt da nicht mehr viel.
Die Bedeutung des skandinavischen Films und die Nordischen Filmtage
Landschaft hin, Landschaft her. Es hat seine Zeit gebraucht, bis der skandinavische Film sich durchgesetzt hat: Lange Kamerafahrten, wenige Schnitte befördern eine ungewohnte Ausführlichkeit, religiös motivierte unterschwellige Schwere und eine melancholisch getönte Grundstimmung hat es zunächst dem vom Mainstream beeinflußten Publikum erschwert, nordische Filme zu schätzen, bis die Beziehungskomödien ihren Siegeszug antraten und die schrillen Teenager-Filme ebenso ihr Publikum fanden wie die naturalistische Darstellung von exzessiver Gewalt in den skandinavischen Metropolen. Die Individualität der Nordländer hat ganz große Begabungen hervorgebracht, so ist Lars von Trier der legitime Nachfolger Bergmans und Aki Kaurismäki ein extravaganter Solitär. Insgesamt sind die skandinavischen Filme in aller Munde und ebenso in aller Welt begehrt, vielfältig auf Festivals ausgezeichnet und gleichwohl Publikumserfolge.
Deswegen waren von Anfang an die Nordischen Filmtage von beachtenswerter Qualität. Es hat sich seit 1956 bewährt, dass die Filmtage – eine Novität – auf ein Thema gesetzt haben, nämlich zunächst die skandinavischen Länder. Die Entwicklung unserer fünf Nachbarländer spiegelt sich auch in Menge und Bedeutung ihrer Filmproduktionen, die ständig anwächst. Es ehrt die Erfinder und die Macher der Filmtage außerordentlich, dass sie sich von Anfang an geografisch begrenzt haben, bevor Filmfestivals wie Pilze flächendeckend über das Land hinweg aus dem Boden schossen.
Der Apotheker Rolf Hiller aus Travemünde war es, der den „Filmclub“ 1956 in die „Nordischen Filmtage“ verwandelte, die im Rahmen der „Nordischen Tage“ erstmals in der Hansestadt skandinavische Filme zeigten. Am 23. bis 26. August 1957 wurden dann aus dem „Anhängsel“ der Nordischen Tage die Nordischen Filmtage, die erstmals 12 Spielfilme zeigten. Orte des Geschehens waren das Kino Hoffnung und die Aula der Oberschule zum Dom. Aus unterschiedlichen Gründen gab es 1958, 1961 und 1965 keine Nordischen Filmtage. Rolf Hiller leitete die Filmtage bis 1970. Es handelte sich im Wesentlichen immer noch um eine Privataktivität, die gleichwohl von Stadt und Land unterstützt wurde. Die Filme wurden inzwischen in den Capitol-Kinos gezeigt. Erst 1966 wurde ein Verein „Nordische Filmtage“ gegründet, sodass der „Filmclub-Lübeck“ sich im Januar 1969 auflöste. Rolf Hiller und seine Mitarbeiter zogen sich Ende 1970 wegen angeblich mangelnder Unterstützung der Stadt enttäuscht aus der Leitung zurück. Von da an waren die Filmtage eng mit dem Amt für Kultur verknüpft und gleichzeitig immer Bürgeraktivität und zum Teil ehrenamtlich geleitet. Es gab auch immer finanzielle Sorgen und Engpässe. Schon die 10. Filmtage sollten sie letzten sein. Aber allen Unkenrufen zum Trotz wurden die 11. realisiert.
Nachdem Bernd Plagemann, Hauke Lange-Fuchs, Hans-Gerd Kästner und Andrea Kunsemüller die Filmtage geleitet haben, bilden jetzt Linde Fröhlich, ausgewiesene Filmexpertin und langjährige Leiterin des Kommunalen Kinos Lübeck, und Hauke Lange-Fuchs das künstlerische Leitungsteam. Neuerdings sind Angela Buske, betraut mit der organisatorischen Leitung, und Christine Berg als Intendantin hinzugekommen.
Seit den 13. Filmtagen 1971 fungiert die Hansestadt Lübeck als Veranstalter und dem Amt für Kultur wurde die Ausrichtung übertragen; die Nordischen Filmtage zogen in die Kammerspiele und blieben dort bis 1992, es kamen allerdings jeweils verschiedene Kinosäle hinzu. Von 1971 an fühlten sich auch Ulrich und Erika Gregor, Berliner Filmenthusiasten der ersten Stunde, nach Lübeck hingezogen und leiteten die neu eingerichteten Podiumsdiskussionen bis 1981. Seit 1973 übernahmen die Generalkonsuln der beteiligten Staaten die Schirmherrschaft und erstmals liefen die Spielfilme in Farbe. Nachdem zwischenzeitlich eine fünfköpfige Filmauswahlkommission ins Leben gerufen wurde, vergingen die 70er Jahre trotzdem mit vielen Auseinandersetzungen um die Auswahl der Filme. Das spielte sich in dem sogenannten Interimsjahr in besonderem Maße ab, denn der Fernsehproduzent Otto Erich Kress löste für ein Jahr Bernd Plagemann ab, erntete aber ob seiner kommerziellen Ausrichtung viel Kritik.
„Never change a winning team“
Von 1978 bis 1986 organisierten Bernd Plagemann, Hauke Lange-Fuchs und Hans-Gerd Kästner die Nordischen Filmtage. Im Jubiläumsjahr 1978 widmete sich die 1977 eingeführte Retrospektive dem frühen Ingmar Bergman. Die 21. Nordischen Filmtage zeigten das erste Mal im „Forum des Zentrum“ Skandinavische Kinder- und Jugendfilme. Und ausgerechnet der dänische Beitrag dieser Sektion, nämlich Sören Kragh-Jacobsens „Willst Du meinen schmucken Nabel sehen?“ erhielt die erste „Lübecker Film-Linse“. Seit 1980 gibt es sogenannte „Film-Begleitseminare“ zu verschiedenen medienpädagogischen Themen in der Mengstraße und die erste abendfüllende ausschließlich isländische Produktion wurde gezeigt. 1988 wechselte der Vorsitz zu der NDR-Journalistin Andrea Kunsemüller. Hans-Gerd Kästner schied aus der künstlerischen Leitung aus und 1988 wurde das „Filmforum Schleswig-Holstein“ aus der Taufe gehoben und Linde Fröhlich anvertraut, damals Leiterin des Forums bzw. Kinos im Zentrum, aus dem 1994 das Kommunale Kino wurde. 13 Jahre stand Andrea Kunsemüller dann den Nordischen Filmtagen vor, die unter ihrer Ägide enorm wuchsen und zu dem Lübecker Publikums-Festival wurden, das wir kennen und schätzen.
Das Festival wird erwachsen
Die Öffnung des Ostblocks hat es mit sich gebracht, dass seit 1989 baltische Filme im Rahmen des Festivals zur Aufführung kommen. Der NDR ist seit 1990 Sponsor und Medienpartner, wobei die Gewichtung seiner Einflussnahme Schwankungen unterworfen ist. Das Festival platzt zusehends aus allen Nähten, insbesondere 1993, als die Kammerspiele nicht mehr zur Verfügung stehen. Ich erinnere mich an die drangvolle Enge im Capitol. 1994 ist es endlich soweit: Die von Thomas Tillmann für die Familie Kieft zum Filmpalast umgebaute Stadthalle steht zur Verfügung. Damit sind völlig neue Voraussetzungen geschaffen, die letztlich Wiederholungen der Filme und eine zunehmende Ausweitung des Publikums und des Programms ermöglichen.
Ende des Jahres 2000 gibt Andrea Kunsemüller den Vorsitz der künstlerischen Leitung an Linde Fröhlich ab, das „Film-Forum Schleswig-Holstein“ übernimmt Andrea Buske, Hauke Lange-Fuchs ist nach wie vor in der künstlerischen Leitung und betreut die Kinder- und Jugendfilme und die Retrospektiven. Die Senatorin für Kultur, Annette Borns, verändert die Organisationsstruktur 2007 in ihrem Sinne, sodass heute die künstlerischen und die organisatorischen Bereiche stärker getrennt sind.
Publikationen
Im Gegensatz dazu, dass die Nordischen Filmtage seit 1970 am letzten Oktoberwochenende stattfinden und inzwischen auch nur um einen Tag verlängert wurden, hat sich vieles andere mit der Zeit wenn nicht geändert, so doch modifiziert. Programminformationen gab es schon immer, das liegt in der Kommunalen Filmarbeit begründet; seit 1990 ist im Programmheft zusätzlich zum deutschen Text eine englische Übersetzung abgedruckt; seit 1991 erscheinen die Hefte im vertrauten Din A 5 Format, in der Regel in verschiedenen Blautönen – es gab allerdings kurzfristig einen Hang zu Grün und ein schwarzes Jahr – momentan regiert ein helles Blau mit Strahlenkranz, nachdem auch die schönen Kinosessel zugunsten eines neuen Layouts auf dem Programmheft-Cover und dem Plakat verabschiedet worden sind. Die Broschüre umfasst inzwischen knapp 200 Seiten und gibt einen fundierten Überblick und alle notwendigen Informationen zu den Fimtagen und ist damit gleichzeitig eine hervorragende Dokumentation.
Wenn ich richtig gezählt habe, sind seit 1978 insgesamt 28 mehr oder minder umfangreiche Begleitpublikationen – überwiegend bei Schmidt-Römhild – zu den Retrospektiven erschienen. Diese Dokumentationen verdanken wir der unermüdlichen Recherche von Hauke Lange-Fuchs. In diesem Jahr erscheint zum Jubiläum eine Dokumentation von ihm zum Thema „Selma Lagerlöf und der Film“ unter dem Titel „Illustrationen, lebendig und schön“.
Preise
Der „NDR-Preis“, den es seit 1990 gibt, mit 12.500 € dotiert, gilt als Hauptpreis. Der „Publikumspreis der Lübecker Nachrichten“ hervorgegangen aus der „Lübecker Film-Linse“ von 1979 ist der älteste Preis und ist seit 1993 mit 2.500 € dotiert. Die Zuschauer entscheiden über die Preisvergabe per Stimmzettel. Seit 1991 wird der „Baltische Filmpreis“ der Filmschaffenden des Baltikums für einen nordischen Spielfilm undotiert vergeben. Der „Kirchliche Filmpreis Interfilm“ ist mit 2.500 € dotiert und wird seit 1996 verliehen.
Ebenfalls mit 2.500 € dotiert ist der „Dokumentarfilmpreis der Lübecker Gewerkschaften“, der erstmals 1993 vergeben wurde. Der von der Schleswig-Holsteinischen Jugendministerin gestiftete und mit 2.500 € dotierte „Preis der Kinderjury“ wird von Kindern unter 12 Jahren seit 1998 vergeben. Die Nordischen Filminstitute stifteten 1983 einen Preis, der seit 1993 als „Kinder- und Jugendfilmpreis“ verliehen wird.
Der „ComLine-Preis“ für den besten Kurzfilm im FilmForum Schleswig-Holstein wird in diesem Jahr zum fünften Mal verliehen. Der Preis geht an einen Film von maximal fünf Minuten Länge und der Sieger wird mit Schnittsoftware im Wert von 2.000 € belohnt. Die Firma Cinegate vergibt in diesem Jahr zum dritten Mal den „Cinegate-Förderpreis“ für den besten, in Schleswig-Holstein produzierten Spielfilm im FilmForum. Der Preis umfasst die Bereitstellung von Equipment im Wert von 5.000 €.
Menschen und Zahlen
Rechnet man die Zahl der Vorstellungen hoch, – 1986 waren es 31 – so kann man von einer Besucherzahl von 5.000 bis 6.000 in den frühen 80er Jahren ausgehen. 1988, als das FilmForum dazukam, waren es 8.000. Mit Eröffnung der Stadthalle 1994 wurde die Grenze von 10.000 überschritten. Im Jahr 2000 wurden 15.000 Besucher gezählt; 2005 gingen 18.650 Menschen in die Vorstellungen; 2007 waren es 20.215 Besucher, etwas weniger als 2006, als mehr Leinwände zur Verfügung standen.
1971 beträgt der erste dokumentierte Etat 40.000 DM. 100.000 DM stehen 1978 zur Verfügung. Die Lübeckischen Blätter von 1986 verzeichnen eine Erhöhung des Budgets um 50.000 DM auf 160.000 DM. Hintergrund war eine Finanzspritze aus Bonn für zeitgleiche Tagungen der Deutschen Auslandsgesellschaft in Lübeck. 2004 und 2005 betrug das Budget 450.000 €; in diesem Jahr stehen mit 600.000 € 70.000 € mehr als im Vorjahr zur Verfügung. Dieses Geld wird aber auch dringend benötigt, weil nicht nur die dünne Personaldecke in der heißen Arbeitsphase durch Honorar- und Aushilfskräfte ergänzt werden muss, sondern weil außerdem Verleihgebühren, Spesen, Reisekosten, Versicherungen, Raummieten und sonstige Kosten aller Art jedes Budget sofort aufzufressen drohen. Deswegen bemüht sich der verdienstvolle Freundeskreis der Nordischen Filmtage Lübeck, private Spender zu nach oben offenen Spenden über die Mitgliedsbeiträge hinaus zu verführen. Zusätzlich gibt es viele Sponsoren, alle werden gebraucht. Besonders erwähnen möchte ich die Gemeinnützige Sparkassenstiftung zu Lübeck, die das dritte Mal in Folge der – abgesehen von der öffentlichen Hand – mit Abstand größte Geldgeber der Filmtage ist.
Die GEMEINNÜTZIGE und ihre Lübeckischen Blätter
Die GEMEINNÜTZIGE ist der Filmkunst seit langem verbunden. Sie hat sich nicht gescheut, nach den Kriegswirren am 6. Juli 1951 ein Kino namens „Camera“ in dem zweiten, kleineren Konzertsaal des Kolosseums, Kronsforder Allee 25, dem sogenannten Brunnensaal, einzurichten, das erst 1973 dem Umbau von Karl August Müller-Scherz zum Opfer fiel. In den folgenden Jahren war das Programmangebot des 389 Sitzplätze umfassenden Kinos auf das bürgerliche Publikum St. Jürgens ausgerichtet; gehobene Unterhaltungs- und anspruchsvollere Filme bestimmten das Angebot und lockten auch Besucher aus anderen Stadtteilen an; also eine echte Konkurrenz für die Lichtspiele Hoffnung. Nach wenigen Jahren gab der Kinobetreiber Dürkop auf und verkaufte an Kurt Wittenberg, der mittlerweile neben den Burgtor- auch die Holstentorlichtspiele besaß. Die Lichtspiele „Camera“ führten ihren Betrieb bis zum Januar 1969 fort. Die 1. Nordischen Filmtage 1956 zeigten ihr Begleitprogramm, nämlich dänische und schwedische Spielfilme in deutscher Fassung im Lichtspieltheater „Camera“. Bei der zur Zeit stattfindenden Renovierung des Kolosseum wird eine Kino-Projektion vorbereitet.
Die Lübeckischen Blätter haben an der Entwicklung der Filmtage immer großen Anteil genommen. Seit 1960 hat es eine entsprechende Berichterstattung gegeben. Kurze Vorankündigungen und längere Artikel wechseln einander ab: Der erste Kritiker ist Georg Behrens; der Regisseur Robert Ludwig ist Mitte der 60er Jahre verzeichnet; 1969 bis 72 schreibt Dr. Eberhard Groenewold; Hans-Jürgen Wolter sind die Berichte 1973 bis 77 und 1980 und 81 zu verdanken; etwas Besonderes sind die Berichte von 1979, die Bernd Plagemann und von 1983, die Hans-Gerd Kästner, beide Mitglieder der künstlerischen Leitung der Nordischen Filmtage, verfasst haben; der legendäre „cml“ (hinter dem Kürzel verbirgt sich der langjährige Schriftleiter der Lübeckischen Blätter und ehemalige Chefredakteur der LN Carl Lankau) schreibt 1982 und 1984 bis 86; der Musiklehrer und Studiendirektor Hans Millies berichtet 1987 bis 90; darüber hinaus verfasst er jahrelang kurze Vorberichte; 1991 bin ich von Wiebke Dau-Schmidt angeworben worden, um die Filmtage zu dokumentieren; 15 Jahre, bis 2005, habe ich ausführliche Kritiken verfasst. 2006 schreibt Benjamin Schweitzer zusammen mit seinem Bruder Gordian, 2006 verfassen Benjamin Schweitzer und Peter Holm Berichte. Somit findet sich in den Lübeckischen Blätter die ausführlichste Berichterstattung über die Nordischen Filmtage.
Die 50. Nordischen Filmtage
Vom 29.10. bis 2.11.2008 wird Lübeck im Zeichen des Jubiläumsprogramms stehen.
Es wird neben 140 Spiel-, Kurz- und Dokumentarfilmen aus Skandinavien, dem Baltikum und aus Norddeutschland, die auf allen neun Leinwänden der Lübecker Kinos gezeigt werden, noch viele andere Höhepunkte geben: Ein Experten-Gespräch zur Geschichte des Festivals, eine Podiumsdiskussion mit skandinavischen und deutschen Drehbuchautoren, mehrere Ausstellungen, eine filmische Hommage an Selma Lagerlöf; die Retrospektive widmet sich den schönsten Filmen der letzten fünfzig Jahre, die jeweils von Filmenthusiasten aus verschiedenen Ländern, die den Nordischen Filmtagen verbunden sind, präsentiert werden; in einer Sondervorstellung wird der schwedische Klassiker „Der Fuhrmann des Todes“ von Victor Sjöström aus dem Jahr 1920 in der St. Jakobi-Kirche mit Musikbegleitung gezeigt; ein besonderer Leckerbissen ist die Kurzfilmnacht mit der Verleihung der Kurzfilmpreise sowie die Filmpreisnacht mit der Verleihung der neun Preise der Nordischen Filmtage Lübeck und des Norddeutschen Filmpreises im Theater Lübeck. In diesem Jahr werden namhafte Gäste erwartet, so z.B. Sören Kragh-Jacobsen und Jan Troell, außerdem gibt der Regisseur von „Babettes Fest“, Gabriel Axel, Lübeck die Ehre; auch so bekannte jüngere Regisseure wie Bent Hamer und Gudny Halldórsdóttir sowie die Schauspieler Jesper Christensen und Ulrich Thomsen werden erwartet.
Bei der feierlichen Eröffnung in der Stadthalle wird der dänische Film „Der Tanz“ von Pernille Fischer Christensen gezeigt.
Ausblick
Die Bedeutung der Nordischen Filmtage für Lübecks Wirtschaft Politik und Kultur sowie deren nationale und internationale Ausstrahlung ist unbestritten.
Alle Beteiligten müssen die Bedeutung des Festivals auch künftig würdigen, sonst brechen die Filmtage trotz ihres großen Publikumserfolgs in nicht zu ferner Zukunft – wirtschaftlich ausgehöhlt – in sich zusammen. Auch das engagierte Team um die künstlerische Leiterin Linde Fröhlich muss unterstützt werden und von politischer und administrativer Seite die ihm zustehende Anerkennung bekommen, sonst erlahmt irgendwann auch seine Kraft.
Ein ganz großer Dank geht an den Kieler Juristen, Dr. Hauke Lange-Fuchs, der mit großer Leidenschaft, sehr eigener Persönlichkeit, enormer Stetigkeit und besten Kontakten die Filmtage vier Jahrzehnte begleitet und geprägt hat, insbesondere was die Kinder- und Jugendfilme und die Retrospektiven, die grundsätzlich von einer Übersichtspublikation begleitet waren, betrifft. Außerhalb der GEMEINNÜTZIGEN habe ich eine so langjährige intensive – im übrigen ehrenamtliche – Arbeit wie bei Hauke Lange-Fuchs nicht erlebt.
Viele Freunde der Nordischen Filmtage treibt die Sorge um, dass nach dem Höhepunkt der 50. Filmtage von politischer Seite neu darüber verhandelt werden soll, ob und wie das Festival weitergeführt wird. Aber im Norden werden ständig Filme gedreht. Und jede Jahresproduktion ist gleich interessant. Es darf also keine Pause geben. Einsatz und Unterstützung von Stadt, Land und NDR müssen bestehen bleiben, auch weil viele Sponsoren die Fortsetzung ihres Engagements schon in Aussicht gestellt haben. Alles andere wäre ein Rückschlag für die regionale und überregionale Profilierung von Stadt und Land. Wenn Lübeck eine Kulturstadt sein will, und meiner Meinung nach ist sie es überdeutlich, dann muss sie auch ihre „Leuchttürme“ hegen und pflegen, ansonsten büßt sie ihr Renommee ein. Eine Stadt, die so positioniert ist wie Lübeck, muss auf allen Feldern der Kultur Höchstansprüchen genügen, um die in Teilen mangelnde oder abbröckelnde Wirtschaftskraft abzufedern.
Bei den anstehenden politischen Entscheidungen sollte außerdem berücksichtigt werden, dass die Lübecker ihr Festival lieben, wie man an den Besucherzahlen ablesen kann.
© Antje Peters-Hirt