Interview mit Julian Pölsler (Regisseur) und Martina Gedeck zu "Die Wand"
Eine Frau fährt mit Freunden in die Berge. Sie bleibt in der Hütte, als die beiden abends in die Dorfkneipe gehen. Am Morgen stellt sie fest, dass die Freunde nicht zurückgekehrt sind. Sie macht sich auf die Suche und stößt bald an eine rätselhafte, undurchdringliche Wand. Die Welt dahinter ist für sie nicht mehr zu erreichen. Nun muss sie allein in der Natur überleben, begleitet von einem Hund, einer Katze, einer Kuh....
Davon erzählt der 1960 erschienene Roman „Die Wand“ von Marlen Haushofer. Der österreichische Regisseur Julian Roman Pölsler hat ihn jetzt verfilmt. Martina Gedeck spielt „die Frau“. Der Film, der bei der Berlinale den Preis der ökumenischen Jury bekam, kommt am 11. Oktober in die Kinos.
Angelika Obert, Filmbeauftragte der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz und Vortsnadsmitglied von INTERFILM,
hat mit Martina Gedeck und Julian Roman Pölsler gesprochen.
Herr Pölsler, der Roman von Marlen Haushofer „Die Wand“ ist Ihr „Lebensbuch“, wie Sie sagen. Was hat sie da nicht losgelassen?
Julian Pölsler:
Ich habe das Buch vor 25 Jahren das erste Mal gelesen und war gleich derart fasziniert, dass ich mir Gedanken gemacht habe, wie ich das verfilmen könnte. Das hat sich dann hingezogen und die Frage ‚warum’ ist für mich nach all den Jahren intensiver Arbeit immer noch nicht beantwortbar.
Wie ist es Ihnen mit dem Roman gegangen, Frau Gedeck?
Martina Gedeck:
Ich habe ihn mit 20 geschenkt gekriegt und auch gleich am Stück gelesen. Ich hatte das Gefühl, da spricht eine Stimme, die mir vertraut ist. Ich weiß, dass mich auch das Grauen ergriffen hat vor etwas, was ich nicht genau beschreiben konnte. Und dieses Grauen steht eben in Widerspruch zu der sehr ruhigen, ganz einfachen Sprache. Das hat mir so gefallen, dass jemand mit ganz klaren Sätzen Dinge sagt, die einen vollkommen vor den Kopf stoßen.
Würden Sie jetzt, da Sie als Schauspielerin durch diese Geschichte gegangen sind, immer noch sagen, dass sie vom Grauen erzählt?
Martina Gedeck
Ja, sie erzählt davon, wie jemand mit dem Grauen fertig wird. Für mich ist die Frau zu Beginn sehr unerlöst. Sie ist sich selber fremd und diese Katastrophe, die über sie hereinbricht offenbart eben den Abgrund, in dem sie sich befindet. Die Angst begeleitet sie wie ein perpetuum mobile und ist ein Thema der Geschichte.
Herr Pölsler, sieben Jahre haben Sie an dem Drehbuch gearbeitet. Warum hat es so lange gedauert?
Julian Pölsler
Der Roman galt ja als unverfilmbar, was wohl damit zu tun hat, dass die wenigsten sich vorstellen konnten, wie man dieses Phänomen „Wand“ darstellt. Was so lang gedauert hat, war aber auch mein eigener Zugang. Ich glaube ja, dass das große Thema des Romans die Verwandlung ist. Da ist ja auch das Wort „Wand“ drin. Und so hat sich auch mein Zugang verwandelt.
Wann haben Sie gewusst, dass Martina Gedeck „die Frau“ sein sollte?
Julian Pölsler
Es war nicht nur für mich, sondern für alle klar: Das muss Martina Gedeck spielen. Es war ja so, dass wir uns schon Jahre vorher getroffen haben wegen eines anderen Projekt, Aber wir haben nie über dieses Projekt gesprochen, sondern immer über ein geheimes Projekt und dieses geheime Projekt war „Die Wand“.
Martina Gedeck lacht: Ja, das stimmt!
Was hat Sie an dieser großen Herausforderung gereizt, Frau Gedeck?
Martina Gedeck
Es war wie ein Geschenk für mich. Ich habe gehofft, dass es so kommen würde, wie es dann kam, nämlich, dass man eine strenge Form findet und innerhalb der Form höchstmögliche konzentrierte Emotion. Das ist natürlich auch Julian Pölsler geschuldet, dass der Film sich nicht verzettelte. Es gab eine große Konzentration auf das Wesentliche. Und es war wunderbar für mich als Schauspielerin, dass ich nicht ständig sprechen musste. Ich bin raus aus dem rationalen Sprachraum, in dem man sich immer viel zu sehr aufhält.
Die große Reduktion hat mich in dem Film berührt. Die Frau nimmt sich immer weniger wichtig. Trotzdem schreibt sie – warum?
Martina Gedeck
Ich hatte die Vorstellung, , dass ich allein sein würde in dem Film. Julian Pölsler sagte mir zwar gleich: Sie werden Partner haben. Aber ich hatte diese Illusion, dass ich allein sein würde. Und dann habe ich erfahren, dass der Mensch sich immer in Dialog setzt zu etwas. Die Frau geht sofort in Beziehung zu dem, was da ist. Es ist der Ort, es ist die Natur, es sind die Tiere. Aber es ist auch das nicht sichtbare Gegenüber, dem sie schreibt. Sie beginnt zu schreiben in dem schrecklichen Moment, wo sie weiß, dass alles verschwinden wird. In diesem Moment setzt sie sich in Bezug zu einem Gegenüber, was man nicht mehr materiell beschreiben kann. Man kann es Gott nennen, man kann es das Gewissen nennen. Es ist in jedem Fall ein Gegenüber, ein Du. Und das ist die Rettung. Damit hat sie sich selbst wieder gegründet.
Im Film wird sehr deutlich, wie sehr die Natur selbst ein Partner für die Frau ist. Herr Pölsler, wo haben Sie diese Naturnähe her?
Julian Pölsler (lacht)
Ich bin auf einem Bergbauerhof aufgewachsen. Ich hatte einen wunderbaren Wald um mich herum und Tiere. Da habe ich erfahren, dass die Natur ein ganz wichtiges Gegenüber ist. Und das ist auch eine der Faszinationen, die für mich von dem Roman ausgingen, dass Haushofer hier etwas zum Schwingen bringt , was mit meinen Kindheitserfahrungen zu tun hat. Die Demut vor der Schöpfung, die wir ja zunehmend verlieren.
Es bleibt im Roman offen, was es mit der Wand auf sich hat, wieso sie plötzlich da ist. Wie haben Sie diese Wand für sich gedeutet?
MartinaGedeck
Die Wand zwingt die Frau in die Reduktion. Die Wand ist die Trennung zwischen dem, was Welt ist, und dem, was ihr eigenes Wesen, ihr Leben sein könnte. Das Leben ist ja da, das hat sie ja. Aber die Welt ist weg. Das kann man nun positiv oder negativ sehen. Man kann sagen: Das ist ein Geschenk des Himmels. Oder man kann sagen: Es ist eine Katastrophe.
Wie kann eine Katastrophe ein Geschenk des Himmels sein?
Martina Gedeck
Weil sie dazu zwingt, wieder Kontakt aufzunehmen mit dem, was das eigentliche Leben ist. Für mich ist es schon interessant, dass sie sich jetzt plötzlich verortet. Sie sagt nicht mehr: Ich geh jetzt hier hin und dahin. Sie schaut erst mal: Wo bin ich? ,, Die ewige Frage: „Wer bin ich?“ tritt in den Hintergrund. Sie fragt: Wo bin ich, was ist an diesem Ort und auf was kann ich mich beziehen? Und so wird sie stark, weil sie plötzlich erfährt, dass sie Dinge kann, von denen sie bisher nicht wusste, dass sie sie kann. Ich habe das ja nun erlebt und war ziemlich stolz auf mich, als ich das geschafft hatte: die Wiese zu mähen und Kartoffeln zu setzen und so weiter.
Aber wenn kein Mensch mehr da ist, der mich anspricht, stellt sich doch auch Frage: Wer bin ich?
Martina Gedeck
Es bleibt immer noch die eigene Würde. Es bleibt immer noch das eigene Wesen. Und es gibt Vieles andere, was mir sagt, was mich ausmacht. Außerdem muss ich auch nicht unbedingt wissen, wer ich bin.
Julian Pölsler
Haushofer schreibt ja, dass die Tiere erkennen, wer sie ist. Sie erkennen sie am Geruch. Es ist völlig egal, wie ihr Äußerliches ist. Die Tiere ersetzen die Menschen. Das ist das Schöne.
In diesen Tagen, wo es immer nur um den Euro und die Finanzkrise geht, kommt Ihr Film wie aus einer anderen Sphäre. Was wünschen Sie sich, dass er anrührt in denen, die ihn sehen?
Julian Pölsler
Ich glaube, dass gerade in unserer Zeit ein Innehalten nötig ist. Viele Menschen sehnen sich danach. Wenn sie sich eine Kinokarte kaufen, können sie jetzt 108 Minuten innehalten und sich die Fragen stellen, die Haushofer stellt und zuhören, was Haushofer für sich gefunden hat in diesen Momenten, in denen sie innegehalten hat.
Und Sie, Martina Gedeck, was nehmen Sie mit aus dieser Erfahrung, mitzugehen mit einer Frau, die aus der Welt gefallen ist?
Martina Gedeck
Ich habe eine andere Gewissheit gefunden für mein Spiel. Und mein Spiel ist ja auch mein Leben. Eine Gewissheit, dass ich bestimmte Dinge nicht brauche und andere Dinge stärker betone, zum Beispiel das sich Einlassen auf einen Ort, auf einen Moment, auf eine Situation. Und dass der Gedanke, ob das nun genügt, wie ich bin, dass der sich nicht gestellt hat. Dass der sich eigentlich nie stellt. Ich bin nicht mehr so hart mit mir.
Das Interview erschien zuerst in der Berliner Kirchenzeitung "die kirche". Mit freundlicher Genehmigung, © Angelika Obert