Bilder vom Krieg
Sergei Loznitsa ist ein Filmemacher, der sich erfolgreich zwischen Dokumentarfilm und Fiktion bewegt. Im vergangenen Jahr wurde seine Dokumentation zum 80. Jahrestag des Massakers an der jüdischen Bevölkerung von Kyjiw, „Babi Yar. Context“, in Cannes ausgezeichnet. Jetzt war sein neuer Film „The Natural History of Destruction“ (Die Naturgeschichte der Zerstörung) ein viel diskutierter Höhepunkt des Festivals.
Inspiriert von W.G. Sebalds Essay „Luftkrieg und Literatur“ dokumentiert Loznitsa die Bombardierungen im 2. Weltkrieg, konzentriert sich dabei auf die englische Royal Air Force und die deutsche Luftwaffe. Die Atombomben von Hiroshima und Nagasaki bleiben ausgespart. Die Bombardierung der Zivilbevölkerung galt damals als besonders effektive und moderne Form der Kriegsführung. Loznitsa zeigt in nüchternen Bildern, wie viel menschliches Leid und Zerstörung damit verbunden waren. Minutenlang gleitet die Kamera über deutsche Geisterstädte wie Köln, von denen nur noch die Skelette einer Ruinenlandschaft übriggeblieben sind.
Vorher sehen wir Arbeiter in Rüstungsfabriken, die Planung und den Bau von Bomberfliegern, eine Ansprache von Field Marshal Montgomery vor englischen und ein Konzert Furtwänglers vor deutschen Arbeitern. Mit einem gewissen Zynismus empfiehlt Churchill der deutschen Zivilbevölkerung, sich auf dem Land in Sicherheit zu bringen, während Goebbels mit „totalem Gegenterror“ droht und Sir Arthur „Bomber“ Harris den Luftkrieg als „interessantes Experiment“ bezeichnet.
Wie in all seinen Filmen verzichtet der Regisseur auf einen Off-Kommentar und konzentriert sich auf ungeschnittene Archivbilder. Es ist verblüffend, wie viel unbekanntes Material Loznitsa in Archiven gefunden hat, das meiste in Schwarz/Weiß, manches in Farbe. Durch die Länge der Ausschnitte und die musikalische Untermalung bekommt der Film etwas vom Charakter einer Meditation.
„Wie ist es möglich, dass wir immer noch derart inhumane Vernichtungsmethoden gegen unsere Mitmenschen einsetzen? Auf welche Weise können wir diese Form der Massenvernichtung ein für alle Mal beenden?“, fragt Loznitsa in einem Interview und formuliert damit die zentrale Frage, die durch die russische Aggression gegen die Ukraine eine erschreckende Aktualität gewonnen hat.
„Der russische Angriff auf mein Land hat uns um 80 Jahre zurückgeworfen“, sagt Losnitza bei der Präsentation seines Films. „Ich frage mich, ob wir in der Lage sind, aus der Geschichte zu lernen. Das ist jedenfalls meine Hoffnung.“
Im Februar war Sergei Loznitsa gerade dabei, den Schnitt fertigzustellen, als die Ukraine von Russland angegriffen wurde. Zu dieser Zeit fuhr der litauische Regisseur Mantas Kvedaravičius in das umkämpfte Mariupol, wo er schon vor sechs Jahren einen Film gedreht hatte. Damals hatte er eine Stadt gezeigt, über der die dunkle Wolke der militärischen Auseinandersetzung in der Donbass Region schwebte. Ein begrenzter Krieg als Hintergrundgeräusch.
In „Mariupolis 2“ dominieren Bombenhagel und Granateneinschläge die Tonspur. Der Tod ist in der Stadt angekommen, es gibt kein Leben mehr jenseits des Kriegs. Die Bilder, die wir sehen, sind nicht diejenigen, die wir aus den TV-Nachrichten kennen. In langen Einstellungen zeigt uns Kvedaravičius die kleinen Dinge des Alltags einer Stadt in Zeiten des Krieges. Menschen, die in dunklen Bunkern sitzen, die Suppe kochen, Schutt wegräumen und Leichen wegtragen.
Die Dreharbeiten finden ein tragisches Ende als der Regisseur Anfang April von russischen Soldaten erschossen wird. Seine ukrainische Partnerin Hanna Bilobrova konnte das Material in Sicherheit bringen und den Film fertigstellen. Wenige Tage vor Festivalbeginn wurde er ins Programm genommen.