Bologna: Il Cinema Ritrovato (2)

Bericht von Peter Paul Huth (Fortsetzung)
Pat Garrett & Billy the Kid (Sam Peckinpah)

Pat Garrett & Billy the Kid (Sam Peckinpah)


Wenn man Filmklassiker auf der Leinwand sieht, realisiert man, dass das Kino eine Zeitmaschine ist, ein Ort der historischen Erinnerung. Ein Medium, das die Vergangenheit sichtbar macht durch den subjektiven Blick der am Film Beteiligten, denn das Kino ist immer eine kollektive Kunstform. Eine Restaurierung ist in erster Linie ein Prozess technischer Wiederherstellung, aber sie kann auch ein Akt künstlerischer Wiedergutmachung sein. Ein prominentes Beispiel ist der „revisionistische“ Western „Pat Garrett & Billy the Kid“ (1973) von Sam Peckinpah, der in einer vom Studio Metro-Goldwyn-Mayer verstümmelten Version in die Kinos kam. Roger Spottiswoode, der damals für den Schnitt verantwortlich war, präsentierte die restaurierte Fassung in Bologna, wie sie von Peckinpah ursprünglich gedacht war. „Das Studio wollte von Sam einen Western im Stil von ‚The Wild Bunch‘ mit vielen Schießereien in Slow Motion, stattdessen bekamen sie einen elegischen Abgesang auf den alten Wilden Westen“, sagte Spottiswoode bei der Vorstellung in Bologna. James Coburn spielt den früheren Outlaw Pat Garrett, der die Seiten gewechselt hat, Sheriff geworden ist und jetzt einen alten Freund Billy jagt. Viehzüchter und Investoren wollen das Land an der mexikanischen Grenze profitabel machen, für einen freien Radikalen wie Billy the Kid ist da kein Platz mehr. Kris Kristofferson, vor allem als unkonventioneller Country Sänger bekannt, spielt Billy mit einer rebellischen Aura, unverfroren lächelnd ist er seinen Verfolgern immer einen Schritt voraus. Es war Kristofferson, der Bob Dylan (in der Nebenrolle des Messerwerfers Alias) einbrachte, von dem auch die Filmmusik stammt. Berühmt wurde die melancholische Ballade „Knockin‘ on Heaven’s Door“.


Ähnlich radikal räumt Robert Altman in „McCabe & Mrs. Miller“ (1971) mit den Mythen des Westerns auf. Warren Beatty, der auch am Drehbuch mitgeschrieben hat, reitet als mysteriöser Pokerspieler in eine schmutzige Bergbausiedlung ein, begleitet von Leonard Cohens „Stranger Song“. McCabe ist entschlossen, den Ort aufzubauen, kauft für 200 $ drei Prostituierte in der nächsten Kleinstadt und vergrößert nach und nach sein Business. Dabei signalisiert sein Bowler Hut, dass wir es hier nicht mit einem klassischen Westernhelden zu tun haben. Schließlich taucht Julie Christie auf, die seine Geschäftspartnerin wird und entschlossen ist, ein anständigen Bordell zu etablieren , in dem die Kunden zuerst ins Badehaus geschickt werden. Als McCabe sich weigert, an eine Bergbaugesellschaft aus der Stadt zu verkaufen, wird er das Opfer von bezahlten Killern. Einsam stirbt er im Schnee, während die übrigen Einwohner damit beschäftigt sind, die brennende Kirche zu löschen. Im kalten amerikanischen Nordwesten regnet es ständig, und die meiste Zeit versinkt der Ort (gedreht wurde in Vancouver) im Schlamm. Der Kameramann Vilmos Zsigmond fängt Bilder von beeindruckender Trostlosigkeit ein, die an Filme seiner ungarischen Heimat aus den 50er Jahren erinnern. Der ökonomische Fortschritt ist hier kein Prozess der Zivilisation, sondern die gewaltsame Durchsetzung von Geschäftsinteressen. So wollte man sich in klassischen Hollywood-Filmen den Westen nicht vorstellen.


Beim Open Air Kino auf der Piazza Maggiore hatte die restaurierte Fassung von Francis Ford Coppolas „The Conversation“ (Der Dialog, 1974) ihre Premiere. Nach Coppolas eigener Einschätzung ist es einer seiner besten Filme. „Es ist ein persönlicher Film, der auf einem selbstverfassten Drehbuch basiert. Er steht dafür, wohin ich meine Karriere lenken wollte.“ Für zahlreiche Kritiker gilt „The Conversation“ als einer der Schlüsselfilme der 1970er Jahre. Er war für mehrere Oscars nominiert und gewann 1974 beim Festival von Cannes die Goldene Palme und eine Lobende Erwähnung der Ökumenischen Jury. Nicht zuletzt bezog der Film seine Relevanz aus der Aktualität des Watergate Skandals.

Doch beim Wiedersehen der restaurierten Fassung überwiegt die Enttäuschung. „The Conversation“ wird den hohen Erwartungen nicht gerecht, und Coppola zeigt sich wie zuletzt bei seinem Alterswerk „Megalopolis“ einmal mehr als ein überschätzter Regisseur. Sein Regiekollege William Friedkin und Partner in der gemeinsamen Produktionsgesellschaft ‚Directors‘ Company‘ bringt es auf den Punkt, „,The Conversation’ war ein konfuses Plagiat von Antonionis ,Blow-Up’, bei dem Francis den Fotografen durch einen Abhörspezialisten ersetzte.“

Gene Hackman spielt den Abhörspezialisten Harry Caul, der glaubt, einem Mordkomplott auf der Spur zu sein und dabei in ein Labyrinth falscher Fährten gerät. Die Geschichte bietet eine wirre Mischung aus High-Tech-Abhörtechnologie und individueller Paranoia, bei der Harry am Ende selbst zum Opfer akustischer Überwachung wird und in wahnhaftem Misstrauen endet. Was den Film trägt, ist die starke Präsenz seines Hauptdarstellers Gene Hackman, dessen Perspektive wir als Zuschauer folgen. Die zentrale Abhörsequenz wird ad infinitum wiederholt, Harrys Ängste finden ihren Ausdruck in einer nebelhaften Traumsequenz. Von erzählerischer Stringenz und dramaturgischer Dichte kann kaum die Rede sein.


Überraschend frisch wirkt dagegen Brian de Palmas Klassiker „Body Double“ (Der Tod kommt zweimal) aus dem Jahr 1984, der gerne als erotischer Neo-Noir-Thriller beschrieben wird. Bei der Premiere galt der Film als Flop an der Kinokasse und weckte wenig Begeisterung bei der Kritik. Man warf Brian de Palma vor, sich epigonal auf Hitchcock zu beziehen, insbesondere auf „Vertigo“ und „Rear Window“ (Fenster zum Hof). Inzwischen gilt „Body Double“, der auch Bret Easton Ellis‘ zu „American Psycho“ inspirierte, als Kultfilm. Die Stadtlandschaft von Los Angeles und insbesondere Hollywood werden zu einem Spiegelkabinett von Sex und Voyeurismus. Nichts ist, wie es scheint, und Gloria, die der Protagonist Jake durch ein Teleskop in ihrer Wohnung beobachtet, wird von ihrem Ex-Mann brutal mit einem großkalibrigen Metallbohrer ermordet. Die meisten Kritiker waren empört über den „billigen Splatter Film“, fanden ihn geschmacklos, vulgär und gewalttätig.

Im Rückblick sagte de Palma: „Body Double was reviled when it came out. Reviled. It really hurt. I got slaughtered by the press right at the height of the women’s liberation movement. I thought it was completely unjustified. It was a suspense thriller, and I was always interested in finding new ways to kill people.“ (Body Double wurde niedergemacht, als der Film herauskam. Niedergemacht. Das hat mich sehr verletzt. Ich wurde von der Kritik hingerichtet, es war auf dem Höhepunkt der Frauenbewegung. Das fand ich in hohem Maß unfair. Es war ein spannender Thriller und ich war schon immer daran interessiert, neue Wege zu finden, wie man Leute umbringt.)

Mit eleganten Kamerabewegungen baut de Palma Spannung auf und braucht wenig Dialog, um von Voyeurismus und Gewalt zu erzählen. Filmgeschäft und Pornoindustrie zeigen sich in Hollywood als kommunizierende Röhren, die mehr gemeinsam haben, als es auf den ersten Blick erscheint.