Bologna: Il cinema ritrovato 2024 (1)

Bericht von Peter Paul Huth
Morocco (Josef von Sternberg)

Marlene Dietrich und Gary Cooper in "Morocco" von Josef von Sternberg (1930)


Seit in Bologna Ende des 11. Jahrhunderts die älteste Universität Europas gegründet wurde, ist die Hauptstadt der Emilia Romagna mit ihren knapp 100.000 Studenten eines der intellektuellen und künstlerischen Zentren Italiens.

Einen besonderen kulturellen Kristallisationskern der Stadt bildet die Cineteca di Bologna, international berühmt für ihre professionelle Restaurierung klassischer Filme. Im Umkreis der Cineteca wurde vor 37 Jahren das Festival „Il Cinema Ritrovato“ gegründet. Es entstand aus der Frage: Was nützen die schönsten Klassiker, wenn man sie nicht sehen kann? Am Anfang waren es fast ausschließlich Stummfilme, die hier gezeigt wurden. Seitdem hat sich das Spektrum stark erweitert, das Filmprogramm reicht heute bis in die 1980er Jahre. Man könnte sagen, das Festival hat den Charme eines Gourmet-Buffets für Liebhaber des klassischen Kinos, analog zum üppigen kulinarischen Angebot der Stadt.

Ein zentraler Schwerpunkt war in diesem Jahr die Reihe mit Filmen von Marlene Dietrich, die als einziger deutscher Weltstar des Kinos bis heute eine Ikone weiblichen Selbstbewusstseins auf der Leinwand geblieben ist. Zu sehen war auch der wenig bekannte UFA-Film „Die Frau, nach der man sich sehnt“ (Regie: Kurt Bernhardt, der später als Curtis Bernhardt in Hollywood Karriere machte) aus dem Jahr 1929. Es war nicht zuletzt dieser Film, durch den Josef von Sternberg auf die blonde Schauspielerin aufmerksam wurde. Marlene Dietrich spielt eine ‚femme fatale‘, die mühelos den Männern den Kopf verdreht. Kaum hat der reiche Unternehmenserbe Henri Leblanc sie am Zugfenster gesehen ist er ihr hoffnungslos verfallen. In ihren Gefühlen verletzt, zieht sich die verschmähte Verlobte ins Schlafwagenabteil zurück und wirft sich weinend aufs Kopfkissen. Fritz Kortner mit Monokel agiert als eifersüchtiger Mann an Marlenes Seite und ihr Partner in crime. Kurz vor dem „Blauen Engel“ entstanden, braucht der Film den Vergleich mit dem berühmten Klassiker nicht zu scheuen und beeindruckt durch seinen unsentimentalen Sarkasmus.


In den USA folgten die Filme mit Joseph von Sternberg wie „Morocco“, „Shanghai Express“, “Blonde Venus”, die Marlenes Ruhm als Hollywoodstar etablierten. Ihr Auftritt mit Hut und schwarzem Anzug in „Morocco“, machte sie zu einer Legende in der lesbisch-queeren Szene. Musikalisch gefeiert wird sie in Suzanne Vegas berühmten Song „Marlene on the Wall“ von 1986.

Einen besonderen Stellenwert in Marlene Dietrichs Filmographie nimmt „A Foreign Affair“ (Eine auswärtige Affäre) von Billy Wilder ein, der 1948 zum Teil im kriegszerstörten Berlin gedreht wurde. Marlene spielt Erika von Schlütow, eine laszive Sängerin mit Nazi-Vergangenheit, die in einem amerikanisch-russischen Nachtclub mit dem bezeichnenden Namen Lorelei auftritt. Dank einer Affäre mit einem amerikanischen Offizier entgeht sie erfolgreich der Entnazifizierung, bis Jean Arthur als sittenstrenge Kongressabgeordnete aus Iowa auftaucht, die wild entschlossen ist, die zweifelhafte Moral der amerikanischen Truppen zu durchleuchten. Doch auf die Dauer kann auch sie den Versuchungen von Schwarzmarkt und Champagner nicht widerstehen.


Spätestens seit ihrem Einsatz bei der Betreuung amerikanischer Truppen galt Marlene in Deutschland als Vaterlandsverräterin. Billy Wilders sarkastischer Blick auf das Berlin der unmittelbaren Nachkriegszeit, bei dem weder die besiegten Deutschen noch die amerikanischen Sieger besonders gut aussehen, kam damals in Deutschland gar nicht gut an. Ein polnischer Jude in Hollywood, der Salz in die Wunden unserer verletzten Nation streut! Pfui Teufel!

Sozusagen als Bonustrack wurde in Bologna eine Auswahl von Marlenes "Home Movies" aus den 1930er und 40er Jahren gezeigt, darin ist sie u.a. mit ihren Liebhabern Erich Maria Remarque und Jean Gabin zu sehen. Letzteren hatte sie in Paris vor dem Krieg kennengelernt. Nach dem deutschen Einmarsch trafen sie sich in Los Angeles wieder, wo sie nicht nur zusammen ausritten. Es war eine leidenschaftliche Affäre und die große Liebe in Marlenes Leben. Sie endete, als Jean Gabin sich freiwillig den Truppen de Gaulles, France Libre, anschloss, um gegen die Deutschen zu kämpfen.


Ein subtiler Zug der Festivalregie sorgte dafür, dass auch die restaurierte Fassung des berühmten Gabin-Klassikers „Pepé le Moko“ in Bologna im Programm zu sehen war. Der Film von Julian Duvivier aus dem Jahr 1938 zeigt den jungen Gabin als eleganten Gangster und Womanizer in der Kasbah von Algier. Die Polizei kann ihn nicht fassen, weil ihr er im Gewirr der Straßen und Dächer immer wieder entwischt. Bis seine Leidenschaft für eine Frau und die Eifersucht einer anderen ihm zum Verhängnis werden.