Die Corona Einschränkungen sind Geschichte und das Festival de Cannes ist back to normal. Die Liste der Stars, die auf dem Roten Teppich erwartet werden, ist eindrucksvoll: Harrison Ford, Cate Blanchett, Leonardo di Caprio, Robert de Niro, Julianne Moore, Rachel Portmann. Den Anfang machte Michael Douglas, der am Eröffnungsabend mit einer Goldenen Palme für sein Lebenswerk geehrt wurde. Bei einer Begegnung mit dem Publikum sprach Douglas ausführlich über seine außergewöhnliche Karriere als Schauspieler und Produzent. Zuerst ging es für ihn darum, sich aus dem Schatten seines Vaters Kirk Douglas zu lösen, einer Hollywood Legende der 50er und 60er Jahre. Erste Erfolge feierte er mit der Polizei-Serie „Die Straßen von San Francisco“, deren Folgen wie am Fließband sechs Tage die Woche, acht Monate pro Jahr gedreht wurden. Dankbar erzählte Douglas von Karl Malden, seinem Partner, der schon mit allen Hollywood-Größen gearbeitet hatte. „Es waren meine Lehrjahre und Karl war mein Mentor. Er hat mir alles beigebracht, was ich wissen musste, um mich vor der Kamera zu bewegen.“
Entscheidende Erfahrungen als Produzent machte Michael Douglas mit „Einer flog über das Kuckucksnest“. Sein Vater hatte die Rechte an dem Roman von Ken Kesey erworben, es gab ein hervorragendes Drehbuch, aber keinen Regisseur. „Dann sah ich den ‚Feuerwehrball‘ von Milos Forman und war so beeindruckt, dass ich sofort Kontakt mit ihm aufnahm.“ Forman war gerade in die USA gekommen und hatte einen Film realisiert, den keiner sehen wollte. Er vermisste seine Familie, die er in der Tschechoslowakei zurückgelassen und steckte in einer schweren Depression. Er wohnte im New Yorker Chelsea Hotel und kam monatelang nicht aus dem Bett. Weil er selbst nicht dazu in der Lage war, schickte er seinen tschechischen Regie-Freund Ivan Passer zur Therapie, um dort zu erzählen, was ihn quälte.
Als Douglas ihn anrief, raffte Forman sich auf und flog nach Los Angeles. Heute kann man sich kaum vorstellen, wie groß das Risiko war, einen depressiven Exil-Tschechen anzuheuern, einen no-name Regisseur nach Hollywood Standards. „Milos setzte sich mit mir und meinem Partner Saul Zaentz hin und ging mit uns das ganze Drehbuch durch, Seite für Seite. Er wusste genau, wie der Film auszusehen hatte.“ Das Risiko sollte sich auszahlen, doch als der Film fertig war, wollte ihn keines der Studios in den Verleih nehmen. „Ein Film über rebellische Patienten und Elektroschocks in einer psychiatrischen Klinik, wer will das sehen?“. „Einer flog über das Kuckucksnest“ wurde ein Riesenerfolg und gewann fünf Oscars. „Damals habe ich gelernt, dass Rache ein Gericht ist, das man besten kalt serviert“, meinte Michael Douglas.
Titel wie „Fatal Attraction“, „Basic Instinct“ und „Wall Street“ markieren seine bemerkenswerte Karriere als Schauspieler. Was war das Wichtigste in seiner Arbeit? „Leidenschaft und Struktur. Ein Drehbuch muss mich emotional packen und es muss präzise geschrieben und aufgebaut sein.“
Doch zurück zum Eröffnungsabend. Die Moderatorin Chiara Mastroanni begrüßte die Zuschauer mit einem italienischen Lied und stellte die Jury unter dem Vorsitz des Schweden Ruben Östlund vor, der im Vorjahr mit „Triangle of Sadness“ seine zweite Goldene Palme gewann. Eine Ansprache von Präsident Selenskyj blieb diesmal aus, dafür erinnerte Catherine Deneuve mit einem Gedicht an die Ukraine.
Der Eröffnungsfilm „Jeanne du Barry“ hatte schon im Vorfeld für Wirbel gesorgt. Die amerikanischen Branchenblätter „Variety“ und Hollywood Reporter“ waren fassungslos, dass ein „wife-beater“ wie Johnny Depp, der in Hollywood keine Chance hätte, in Frankreich von seinen Fans gefeiert wird. In Maïwenns Historiendrama spielt er König Ludwig XV. als einen müden, in die Jahre gekommenen Lebemann, der eine Leidenschaft für Jeanne Vaubernier entwickelt, eine Frau aus einfachen Verhältnissen. Mit wachem Verstand und klugem Einsatz weiblicher Reize gewinnt sie die Aufmerksamkeit des Königs, der sie zu seiner Mätresse an den Hof von Versailles holt. Ein Skandal für die höfische Gesellschaft. Eine ehemalige Prostituierte, die Tochter eines Mönchs und einer Köchin. Incroyable! Am meisten regen sich die Töchter des Königs auf, die sich durch intrigante Bosheit und ihre extravaganten Frisuren hervortun.
Regisseurin Maïwenn spielt selbst die energische Aufsteigerin, die so unverfroren gegen die Hofetikette verstößt. Die Ausstattung ist grandios, die Inszenierung temporeich und unterhaltsam. Man folgt der selbstbewussten Frau gerne in ihrem Kampf um die Gunst des Königs und Auseinandersetzung mit dem arroganten Adel. Wehmütig liest man im Abspann von Jeannes blutigem Ende auf der Guillotine im Revolutionsjahr 1793 und wundert sich über so viel Sympathie für die Monarchie im republikanischen Frankreich.