Am 20. November 2018 fand im Haus der Katholischen Kirche in Mannheim der traditionelle Empfang der Kirchen beim Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg statt. Dabei wird unter anderem die Ökumenische Jury vorgestellt. Gastgeber sind im Wechsel die katholische und die evangelische Kirche in Mannheim. Auch Festivaldirektor Michael Kötz nimmt regelmäßig an der Veranstaltung teil. Für INTERFILM und SIGNIS, die beiden internationalen Organisationen, die die ökumenische Jury benennen, sprach Karsten Visarius das folgende Grußwort.
Einen Tag ehe das diesjährige Festival begann, am 14. November, ist ein bedeutender deutscher Schauspieler gestorben, Rolf Hoppe. Zwei Tage später zeigte das Fernsehen den Film, der ihn international berühmt machte: „Mephisto“ von István Szabó, in dem er einen mächtigen, charismatischen Nazi-Politiker spielt, der „der General“ und später „der Ministerpräsident“ genannt wird. Das Charisma gab ihm Rolf Hoppe.
Der Regisseur István Szabó hat, wie Sie sich erinnern, im vorigen Jahr den Master of Cinema Award des Festivals erhalten. Klaus-Maria Brandauer spielt darin auf der Bühne den Mephisto Goethes. Und im Leben einen Künstler, Hendrik Höffgen, Bühnenstar und später Intendant, der seine besten Überzeugungen verrät. Und vor allem die, die ihm nahe stehen. „Ich bin doch nur ein Schauspieler“ sagt er, nein, fleht er zuletzt, als ihn der Ministerpräsident, Rolf Hoppe, mit Scheinwerfern durch das nächtliche, leere Olympiastadion treiben lässt. Wie ein Blatt im Wind.
Der Film „Mephisto“ basiert auf dem Roman von Klaus Mann von 1936, dessen Vater, Thomas Mann, gut zehn Jahre später, 1947, seinen Roman „Dr. Faustus“ veröffentlicht. Beide thematisieren das Verhältnis eines Künstlers zum nationalsozialistischen Deutschland oder dessen Vorgeschichte. Beide wiederum haben mit dem „Faust“ des Frankfurter Bürgersohns und Weimarer Ministers Johann Wolfgang von Goethe nur wenig gemeinsam, aber doch genug, um den Bezug zu dessen Zentralfiguren zu rechtfertigen.
Und, um den Kreis noch etwa weiter zu ziehen, ein anderer Master of Cinema, der 2006 in Mannheim ausgezeichnete Aleksandr Sokurov, hat ebenfalls einen „Faust“ gedreht, der seine „Tetralogie der Macht“ beschließt – eine Tetralogie, die mit „Moloch“, einem Film über Hitler, beginnt.
Mit all diesen Künstlern und ihren Werken stehen wir vor einem eindrucksvollen, wenn nicht sogar einschüchternden Gipfel-Panorama. Und dabei habe ich den schönsten Faust-Film noch gar nicht genannt, den von Friedrich Wilhelm Murnau von 1926, dem Sokurov am Anfang seines Films mit einem Zitat huldigt. Und zwar mit dem Flug Fausts im Mantel Mephistos über alle Gipfel hinweg.
Man könnte vor diesen Größen ins Grübeln geraten, wüsste man nicht, dass Faust schon am Anfang von Goethes Dichtung eingesehen hat, dass Grübelei nicht weiterhilft. „Habe nun, ach...“, Sie kennen das. Was folgt, ist ein riskanter Tausch, eine Transaktion, sofort oder später mit Blut besiegelt, ein diabolischer Vertrag – der Teufelspakt, das Motiv, das sich durch alle erwähnten Bücher und Filme zieht. Er verspricht Macht, Liebe, Ruhm, Wissen, Schöpferkraft. Reichtum und Bedeutsamkeit. Und verlangt dafür, als Preis, die Seele. Nicht mehr als das. Oder doch: nicht weniger?
Das also – wenn Sie mir die großzügige Verkürzung erlauben – hat die Literatur und das Kino immer wieder beschäftigt. Das Kino übrigens schon in seiner frühesten Phase. Faust und sein Rendezvous mit dem Teufel liefert den Stoff für zahllose Filme aus der ersten Dekade der Filmgeschichte. Eine ganze Anzahl davon produzierte Georges Méliès, ein paar aber auch die Brüder Lumière, neben vielen anderen.
Sie profitierten von der Popularität des Stoffes in Frankreich durch die Faust-Opern von Hector Berlioz und Charles Gounod. Aber auch von den magischen Verwandlungen, die der Film von den Varietébühnen des 19. Jahrhunderts erbte. Der von Méliès entdeckte Stop-Trick ermöglichte es dem Teufel, im Handumdrehen aus der Wand oder dem Kamin hervorzutreten und mit seinen Zauberkünsten den zweifelnden Faust zu überzeugen. In diesen frühen Filmen hat eindeutig er, der Teufel, le diable, die besseren Karten.
Das Spektakel verdrängt, was dafür aufgegeben werden muss. Das Seelenheil, die moralische Integrität der Person, oder der Kunst. Bei Sokurov seziert Faust auf der Suche nach der Seele Leichen und findet nichts. Kein Wunder, er sucht am falschen Ort. Am Vertrag, den er mit einem zum Wucherer mutierten Mephisto abschließt, interessieren ihn die Schreibfehler mehr als die Unterschrift, mit der er seine Seele hingibt. Sie hat, im Lauf der Zeit, einen inflationären Wertverlust erlitten. Heute, sagt Sokurov in einem Interview, gibt es zahllose Anbieter, die ihre Seele loswerden möchten. Aber niemanden mehr, der sie haben will. Es ist dann nur konsequent, dass die seelenlos Gewordenen sich der Macht hingeben, dem Moloch und seinem Todesregime. Wenn Sokurov auch für heute recht hat, dann stehen wir in einem Selbstentwertungswettbewerb, in dem jeder den anderen zu unterbieten versucht.
Und dann träumen zwei Menschen den gleichen Traum, von einem Hirschpaar in einem winterlichen Wald. Man bangt ein wenig um die schönen und scheuen Tiere, als ob sie jederzeit getötet werden könnten. Die beiden Träumer wissen nicht, dass ihre Seelen sich schon gefunden haben, ehe sie, zwei einsame und misstrauische Menschen, einander näher kennenlernen. In einem Schlachthof, wo sie beide arbeiten. Der gemeinsame Traum ist ein Mysterium, an dem sie, als sie es entdecken, nicht zweifeln können. Später folgen sie ihren Seelen und werden auch als Wachende ein Liebespaar.
„On Body and Soul“, Körper und Seele, heißt dieser Film von Ildiko Enyedi, der ganz selbstverständlich zusammenfügt, was zu vereinen uns nur schwer zu gelingen scheint. Warum sollten wir dem Kino nicht Glauben schenken. Bei Ildiko Enyedi lässt sich entdecken oder wiederentdecken, dass man die Seele nicht haben, nicht besitzen kann und deshalb auch nicht verkaufen. In der biblischen Schöpfungsgeschichte ist sie das, was uns zu mehr als einem Lehmklumpen macht, in heutigen Begriffen, zu mehr als einem biochemisch-neurologischen Mechanismus. Die Empfindung des Lebendigseins. Und das sollen wir vergessen haben?