Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Gäste,
ich begrüße Sie herzlich im Namen der evangelischen und katholischen Filmarbeit und freue mich, dass Sie der Einladung zum Empfang der Kirchen beim Filmfestival Mannheim-Heidelberg gefolgt sind. Ich möchte Ihnen die Grüße meines Kollegen Dr. Peter Hasenberg vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz übermitteln, mit dem ich mich verständigt habe, dass nur einer von uns bei diesem Empfang sprechen wird, auch in Zukunft. Ich grüße Sie auch herzlich von Werner Schneider-Quindeau, dem Vorsitzenden der Jury der Evangelischen Filmarbeit, der ursprünglich hier sprechen sollte, aber aus Termingründen verhindert ist. Ich selbst leite das Filmkulturelle Zentrum der evangelischen Kirche im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik und bin Geschäftsführer der Internationalen kirchlichen Filmorganisation INTERFILM. Gemeinsam mit der katholischen Partnerorganisation SIGNIS organisiert INTERFILM die ökumenischen Jurys, die die Kirchen seit Jahren und Jahrzehnten zu den internationalen Festivals entsenden.
Man hat mich um Kürze gebeten, und ich halte mich gerne daran. Als Filmkritiker habe ich immer die Behauptung verteidigt, dass sich der Inhalt jeden Films, seine Geschichte, in drei Sätzen zusammenfassen lässt. Ich selbst habe das bei Gelegenheit mit einem epischen Klassiker des Kinos, Akira Kurosawas dreistündigem "Die sieben Samurai", versucht – und es ging. Um die Beziehung von Kirche und Film zu erklären, reichen drei Sätze leider nicht aus. Das ist, wie Sie sich leicht vorstellen können, in einer an Schlagworte und Schlagzeilen gewöhnten Öffentlichkeit nicht gerade vorteilhaft. Der entscheidende Grund für diese Schwierigkeit besteht darin, dass die jahrhundertelange Osmose, die gegenseitige Durchdringung von Kirche und Kultur, von Religion und Kunst, jedenfalls in den europäischen Gesellschaften abgebrochen ist. Ich glaube, dass diese anfangs langsame, inzwischen fast abgeschlossene Trennung beide Sphären beschädigt hat. Wenn heute nach Umfragen eine breite Mehrheit nicht mehr weiß, was Karfreitag oder Pfingsten bedeuten, so geht uns nicht nur der Zugang zu unserer kulturellen Herkunft verloren. Es entsteht auch eine neue Unmündigkeit in religiösen Dingen, ein Verlust an Selbstbestimmung und damit an Freiheit. Wenn wir heute umgekehrt eine fortschreitende Kommerzialisierung von Gesellschaft und Kultur, ja des Lebens insgesamt beobachten, so ahnen wir vielleicht, mit welcher Ersatzreligion wir diesen Verlust bezahlen. Keiner kann mir einreden, dass dies die Verwirklichung der Vernunft in der Geschichte ist.
Ich breche diese Überlegungen ab und will stattdessen an einem Beispiel den blinden Fleck unserer kulturellen Wahrnehmung verdeutlichen, den das kulturelle Verblassen der Kirche erzeugt hat. Der Film "Mila ot Mars" aus Bulgarien, der im Wettbewerb des Festivals läuft, erzählt von einer jungen Frau, die unter ungünstigsten Voraussetzungen ein Kind zur Welt bringt und eine Familie findet. Man darf ruhig von einem Wunder sprechen. Das Kind wird auf den Namen Christo getauft, und die einzelnen Kapitel oder Abschnitte des Films nach dem Tag seiner Geburt datiert, also zwei, drei, vier Monat nach Christo. Wenn die junge Mutter auch noch ein T-Shirt mit einer Christus-Ikone trägt, liegt es nicht fern, von einem Marienfilm zu sprechen, ob die mariologischen Motive ernst oder ironisch gemeint sein mögen. Auf jeden Fall zeigt der Film, dass es zu unserer Menschwerdung mehr bedarf als biologischer Vorgänge. Der schöne und wunderbar handliche Katalog des Festivals will von diesen Zusammenhängen rein gar nichts wissen. Als Referenz zu dem Namen des Kindes, Christo, nennt er stattdessen den gleichnamigen Künstler bulgarischer Herkunft, gewiss kein schlechter Einfall, aber nicht einmal die halbe Wahrheit.
Die kirchliche Filmarbeit und die ökumenischen Jurys, die von ihr getragen werden, haben die Aufgabe, auf solche kulturellen Wahrnehmungslücken und Defizite aufmerksam zu machen. Ihren Ausgleich wird man von ihnen allein nicht erwarten dürfen. Ich freue mich, Ihnen die Mitglieder der diesjährigen Ökumenischen Jury vorstellen zu dürfen, die ich bitte, zu mir zu kommen. (....)
Ich möchte zum Abschluss den beiden kirchlichen Dekanaten für die Einladung zu diesem Empfang herzlich danken. Ich danke auch dem Festival für die Gastfreundschaft und die Unterstützung, die es der kirchlichen Filmarbeit gewährt. Ganz besonders freue ich mich, den Festivaldirektor, Dr. Michael Kötz, begrüßen zu dürfen und bitte ihn ums Wort.