Konträre Reminiszenzen der Reagan-Ära

Festivalbericht zu Cannes 2022 (2)
Top Gun Maverick (Joseph Kosinski)

"Top Gun Maverick" von Joseph Kosinski (© Paramount Pictures)


Es war der Starauftritt in Cannes. Zur Europa Premiere von „Top Gun: Maverick“ rollte das Festival für Tom Cruise den Roten Teppich aus. Als spektakuläre Zugabe markierten acht Kampfflugzeuge die Farben der Trikolore, die auch die Farben der amerikanischen Fahne sind - Blau, Weiß und Rot - als Kondensstreifen am Himmel.  Im Grand Théâtre Lumière wurde er von 3.000 Zuschauern mit Standing Ovations begrüßt, bevor der Film überhaupt begonnen hatte. Vorher hatte Tom Cruise, der Anfang Juni 60 Jahre alt wird und immer noch alle Stunts selbst macht, ein Publikumsgespräch geführt und Fragen beantwortet. Der Star aus Hollywood gab sich bescheiden, sprach über seine Kindheit und Jugend, den Wunsch, Fallschirmspringer zu werden, seine Filmkarriere und über sein Lebensmotto: „Leben heißt Lernen in Gemeinschaft.“


Ende der 80er Jahre spiegelte „Top Gun“ den Geist des Kalten Kriegs und der Reagan Ära. Jetzt, 36 Jahre später, ist der Krieg plötzlich zurückgekehrt und der neue Film, dessen Kinostart wegen Corona mehrfach verschoben wurde, trifft auf unheimliche Weise einen Zeitgeist, der nach dem russischen Angriffskrieg wieder über Aufrüstung und militärische Stärke diskutiert.

Auf ganz andere Weise evoziert James Gray in „Armageddon Time“ die Reagan Jahre. Er nimmt uns mit auf eine Zeitreise in den Herbst 1980. Amerika ist im Wahlkampf und Ronald Reagan plädiert für militärische Härte gegenüber der Sowjet-Union, um „Armageddon“, eine atomare Katastrophe, zu verhindern.

James Gray ist ein writer-director, ein unabhängiger Autorenfilmer, der sich abseits des Hollywood-Mainstreams bewegt. Familienkonstellationen und Einwandererschicksale sind zentrale Themen seiner Filme, mit denen er schon mehrfach im Wettbewerb von Cannes vertreten war. „Armageddon Time“ ist ein persönlich geprägtes Projekt, das durch seine autobiographischen Elemente eine besondere Dichte gewinnt.


Ronald Reagans Wahlkampf bildet den politischen Hintergrund einer jüdischen Familiengeschichte im New Yorker Stadtteil Queens. Der 11jährige Paul ist gerade in die High School gekommen, wo er sich mit Johnny, dem einzigen schwarzen Jungen in der Klasse, anfreundet. Zusammen stellen sie alles Mögliche an, rauchen einen Joint auf der Toilette, was einen Skandal auslöst. Seine sozial ambitionierten Eltern schicken Paul auf eine teure Privatschule, die von Fred Trump, dem Vater des späteren Präsidenten, gesponsert wird. Das bedeutet auch das Ende der Freundschaft zwischen den Jungen. In der glänzend besetzten Coming-Of-Age Geschichte beeindruckt Michael Banks Repeta als Paul, daneben Anne Hathaway und Jeremy Strong in den Rollen der Eltern.

Anthony Hopkins spielt den freundlichen Großvater, der seinem Enkel erzählt, wie die Familie den Holocaust überlebte und nach Amerika fliehen konnte. Obwohl sich die jüdische Familie selbst als Opfer sieht, pflegt man einen rassistischen Dünkel gegenüber Schwarzen. Um jeden Preis möchte man am American Dream von Erfolg und Anerkennung teilhaben.


In der Pressekonferenz nannte Regisseur James Gray die Frage der „weißen Privilegien“ als Auslöser für seinen Film. Die elitären Privatschulen zementieren eine festgefügte Klassengesellschaft. „Wir haben ein System, in dem dieselbe soziale Gruppe nach oben kommt, oben bleibt und alle anderen ausschließt“, sagte Gray. „So funktioniert unser System. Wie kann man diesen Kreislauf durchbrechen? Das war für mich die zentrale Frage.”