Leichtfertiger Luxus vs. fanatischer Hass
Holy Spider
Film noir über den Iran: HOLY SPIDER von Ali Abbasi
Vor vier Jahren machte Ali Abbasi in Cannes Furore, als er für seinen Film „Border“ (Grenze) mit dem Preis der Reihe Un Certain Regard ausgezeichnet wurde. Jetzt ist er im Wettbewerb vertreten, wo sein neuer Film „Holy Spider“ (Heilige Spinne) vom Publikum und der Presse begeistert aufgenommen wurde.
Abbasi ist im Iran geboren und aufgewachsen und lebt heute in Dänemark. „Holy Spider“ basiert auf der wahren Geschichte eines Serienmörders, der Anfang der 2000er Jahre in der heiligen Stadt Maschhad 16 Prostituierte umgebracht hat. Abbasi, der damals noch im Iran lebte, hat 10 Jahre an dem Projekt gearbeitet. Das Ergebnis ist ein meisterhafter Thriller und Film Noir, der uns ein ungeschminktes Bild des Iran zeigt, ohne poetische Metaphern und politische Rücksichtnahme.
„Ich habe keine Lust, einen Film zu machen, der vorsichtig und geschmackvoll ist, distanziert und fern der Wahrheit. Ich wollte einen realistischen Film machen. Bei mir haben die Frauen einen Körper, sie haben Haare und Sexualität. Sie sind menschliche Wesen“, sagt Abbasi in einem Interview.
Diese Frauen sind Prostituierte, die in das Netz des „Spinnenkillers“ geraten, wie der Mörder damals genannt wurde. Saeed, ein Veteran des Kriegs gegen den Irak, ist ein Bauarbeiter und biederer Familienvater. Zugleich ist er besessen von der Vorstellung, den Willen Allahs zu erfüllen, wenn er die Straßen der Stadt von den „verdorbenen Frauen“ säubert. Wir sehen ihn wie er die Frauen/Prostituierten anspricht, auf dem Motorrad mit nach Hause nimmt und auf brachiale Weise erwürgt. Das ist nicht schön anzuschauen, im Gegenteil, abstoßend und in keiner Weise voyeuristisch.
Abbasi stellt ihm eine Journalistin gegenüber, die sich als Lockvogel an die Straße stellt und den Mörder überführt. Wie ihr das gegen viele Widerstände gelingt, inszeniert der Regisseur in atmosphärisch dichten Nachtbildern. Gedreht wurde in Jordanien, ein Dreh im Iran wäre nicht möglich gewesen. Dafür zeichnet der Film das ungeschönte Bild einer Gesellschaft, in der Frauen zu Opfern religiöser Doppelmoral werden, die Prostitution und Drogen als Werkzeuge des Teufels verdammt. Als der Mörder schließlich vor Gericht gestellt wird, feiern ihn viele, sogar seine eigene Familie, als Helden, der das Richtige getan hat, nämlich die lasterhaften Frauen ihrer gerechten Strafe zuzuführen.
Enttäuschendes Dreieck: TRIANGLE OF SADNESS von Ruben Östlund
Vor fünf Jahren avancierte der Schwede Ruben Östlund zum Star des Festivals, als er mit seinem Film „The Square“ den Snobismus des Kunstbetriebs satirisch aufs Korn nahm und überraschend die Goldene Palme gewann. Jetzt ist er mit seiner ersten englischsprachigen Produktion zurück im Wettbewerb. Entsprechend hoch waren die Erwartungen. Auch in „The Triangle of Sadness“ (Das Dreieck der Traurigkeit) geht es ihm darum, die Welt des Luxus und des schönen Scheins zu decouvrieren. Dabei geht Östlund nicht besonders subtil vor und rennt mit seinen ironischen Spitzen gerne offene Türen ein.
Im ersten Teil sehen wir ein Fashion Casting, bei dem männliche Models ihren Marktwert mit entblößtem Oberkörper zur Schau stellen. Carls (Harris Dickinson) beste Zeiten scheinen vorbei zu sein, er wird aussortiert. Abends streitet er sich mit seiner Freundin Yaya (Charlbi Dean) darum, wer die Rechnung in einem edlen Restaurant bezahlen soll.
Sie ist als Model und Influencerin erfolgreicher als er und bekommt eine Einladung für eine Kreuzfahrt auf einer Luxusyacht. Hier präsentiert Östlund ein Panorama superreicher Figuren, deren hohles Gehabe demonstrativ entlarvt wird. Ausgerechnet beim Captain’s Dinner kommt ein Sturm auf und lässt die vornehme Etikette zusammenbrechen, millionenschwere Passagiere übergeben sich hemmungslos in alle Ecken des edlen Interieurs. Sunnyi Melles trifft es dabei besonders hart, im Negligé hin- und her geschleudert wird sie Opfer ihrer überquellenden Toilette. Während Iris Berben, nach einem Schlaganfall im Rollstuhl und ohne Sprachvermögen, nur noch auf Deutsch „In den Wolken…“ murmelt.
Allein Woody Harrelson als amerikanischer Kapitän behält die Ruhe, trinkt ungerührt weiter und tauscht mit einem russischen Düngemittel Oligarchen marxistische Klassiker-Zitate aus.
Nachdem die Yacht von afrikanischen Piraten gekapert und in die Luft gejagt wird, bleibt im dritten Teil ein verlorener Haufen von Überlebenden auf einer einsamen Insel zurück. In einem Setting, das an den „Herr der Fliegen“ erinnert, erweist sich die philippinische Klofrau als besonders überlebenstüchtig, weil sie Fische fangen und Feuer machen kann. Dank dieser Fertigkeiten übernimmt sie das Kommando.
Die Komik des Films leidet darunter, dass wir über die Beschränktheit der Reichen und Schönen lachen, ohne uns selbst in Frage zu stellen. Dafür sind die Figuren auf Östlunds Narrenschiff viel zu entrückt. Das Resultat ist Kapitalismuskritik auf Hochglanzniveau.