Ruhig liegt ein dunkles Schlauchboot im stillen Wasser eines Sees. Langsam zoomt die Kamera aus dem Standbild heraus. Bewaldete Ufer werden sichtbar, Berge in der Ferne. Eine Soundspur plätschert unaufgeregtes Wasser vor, dann den Ruf von Wildgänsen und ein Motorengeräusch. Gemächlich fliegen animierte Zugvögel in das Bild. „Weltkino“ zeichnet sich in weißer Handschrift vor das Festivallogo, links unten auf die Leinwand.
Bevor die Bilder beim 66. Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg in Bewegung kommen, ruhen die Blicke des Publikums auf einem farblich überzeichneten Landschaftsidyll mit kalkulierter Brechung. Mit diesem Kommentar der Festivalmacher beginnen auch die Projektionen der 21 Wettbewerbsfilme, die wir als ökumenische Jury vom 11. bis 19. November 2017 sehen durften.
Ausschließlich Premieren von Newcomer-Regisseuren wurden gezeigt, Featurefilme mit erkennbar eigener Handschrift, Erstlingswerke von unterschiedlicher Machart, quer durch alle Genres. Und auch wenn es kein Oberthema in der Selektion der handverlesenden Filme gab, so wurde ein Thema dieser Tage doch erkennbar. Die Frage nach Beheimatung in Zeiten weltweiter Migration stand bei vielen Filmen im Hintergrund.
Das Festival, das laut seines Direktors, Dr. Michael Kötz, 1953 mit dem Ziel gegründet wurde, den Blick des deutschen Publikums für die Welt zu öffnen, ermöglichte mit seinem diesjährigen Programm genau dies. Wer von den über 60.000 Besuchern in diesem Jahr mehrere Filme sehen konnte, der begab sich auf eine Reise: Vom südphilippinischen Dschungel nach Nazareth, oder von einem Strandhaus in Argentinien in den Nordirak.
Bei diesen Distanzen spielten sich dennoch vielfach Familiengeschichten auf der Leinwand ab. Über das Thema Familie, mit den dazugehörigen menschlichen Beziehungsebenen und -Dynamiken, wurde eine Brücke geschlagen über Kontinente und unterschiedliche kulturelle Prägungen zu dem, was Menschen miteinander verbindet.
In besonderer Weise berührt der diesjährige Preisträgerfilm der ökumenischen Jury „Une Vie Ailleurs“ von Olivier Peyon beide Themen. Vor dem Hintergrund der kontinentalen Trennung von Mutter und Sohn wirft der Film die Frage nach dem Wohl des Kindes auf, in einem sich neu formenden Geflecht von Bezugspersonen.
Auch der lobend erwähnte Film „Oralman“ von Sabit Kurmanbekov kreist um die Themen Familie und Heimat. Eine kleine Familie remigriert aus Afghanistan zurück nach Kasachstan. Der Film thematisiert, wie das Eigene und das Fremde zusammenkommen, als auch die Suche danach, was von beidem eigentlich welches ist. So brachte das Eintauchen in so manchen filmischen Mikrokosmos, das Eigene und das Fremde miteinander ins Schwingen.
Im diesjährigen Gewinnerfilm des Hauptpreises (Grand Newcomer Award), „See You In Texas“ des italienischen Regisseurs Vito Palmieri, wurde jener Mikrokosmos wohl am genausten dargestellt. In dem neo-realistischen Spielfilmportrait eines jungen Paares auf ihrem Bauernhof in der norditalienischen Provinz, zeichnet der Film in beinahe dokumentarischem Stil, die Suche der Protagonistin nach dem Eigenen. Unaufgeregt erzählt der Film ihre Suche zwischen dem Sehnsuchtsort Amerika und dem dörflichen Heimatort. Die beiden Hauptcharaktere stehen als Vertreter der Generation Y vor der Herausforderung des Zusammenhalts als Paar, zwischen den Möglichkeiten individueller Entfaltung und der gegenseitigen Angewiesenheit in ihrem dörflichen Hofleben.
Die Filmauswahl hielt das Versprechen des Festivaldirektors, der in seiner Eröffnungsrede zum Thema „Das Eigene und das Fremde“ von einem „Erfahrungsfeld Internationales Filmfestival“ sprach, in mehrerer Hinsicht.
Neue Erfahrungsfelder betraten die Protagonisten Wettbewerbsfilme, wenn sie sich auf eine Reise begaben. Das Publikum konnte in einer einwöchigen Reise quer über den Erdball sein Erfahrungsfeld erweitern. Und schließlich schafften es die Festivalmacher mit kurzen Wegen, Filmnachgesprächen in familiärer Atmosphäre und einer zuvorkommenden Betreuung zu ermöglichen, dass Publikum, Fachpublikum und Filmemacher einander begegnen konnten. Den Filmen des diesjährigen Jahrgangs ist zu wünschen, dass sie den schwierigen Sprung in die Kinos finden und das Erfahrungsfeld eines größeren Publikums bereichern können.