Politisches Festival-Kino
Intercepted (© Christopher Nunn)
Krieg in der Ukraine
Die Berlinale versteht sich als ein politisches Festival, wobei oft unklar bleibt, was damit eigentlich gemeint ist. Was macht einen Film zu einem politischen Film? Gerne wird dafür ein weit gefasster Begriff von Politik bemüht, der im Spielfilm schwer zu fassen ist. Anders sieht es im Dokumentarfilm aus.
Der Krieg in der Ukraine ist seit dem vergangenen Jahr ein prominentes Thema in Berlin. Zwei bemerkenswerte, von Arte in der Reihe „Generation Ukraine“ coproduzierte Filme, fanden große Aufmerksamkeit. „Intercepted“ (Abgefangen, Regie: Oksana Karpovych, Kanada, Frankreich, Ukraine 2024) protokolliert Nachrichten russischer Soldaten in ihre Heimat. Das ist verstörend. Allerdings geben Szenen, in denen gezeigt wird, wie korrekt russische Kriegsgefangene in der Ukraine behandelt werden, dem Film eine allzu propagandistische Schlagseite. Die Ökumenische Jury verlieh ihm eine Lobende Erwähnung.
Viel differenzierter gerät dagegen das autobiographische Portrait von Svitlana Lishchynska, die in ihrem Dokumentarfilm „A Bit of a Stranger“ (Etwas von einem Fremden, Ukraine, Deutschland, Schweden 2024), mehrere Generationen von Frauen ihrer Familie portraitiert. Die Regisseurin wächst in den 1970er Jahren in Mariupol auf. Sie heiratet, bekommt eine Tochter und geht nach Kyjiw, wo sie beim Fernsehen arbeitet. Alexandra, die Tochter, wächst bei der Großmutter Valentina auf, ihre Muttersprache bleibt Russisch, während die Mutter sich in Kyjiw an Ukrainisch als Alltagssprache gewöhnt. Nach Ausbruch des Kriegs und dem russischen Angriff auf Mariupol kommen die Großmutter und ihre Enkelin, die inzwischen selbst eine kleine Tochter hat, nach Kyjiw. Alexandra geht schließlich mit ihrem Mann nach London, wohin ihr am Ende des Films die Großmutter folgt.
Mit alten Schwarz-Weiß-Aufnahmen dokumentiert der Film die Hochzeit der Großmutter wie auch der Autorin während der Sowjetzeit. So gewinnt das intime Familienportrait eine historische Dimension. Beiläufig werden die gesellschaftlichen Unterschiede und Sprachgrenzen eines multikulturellen Landes sichtbar, in dem zwei Sprachen gesprochen werden, Russisch und Ukrainisch.
Palästinenser im Westjordanland
Es war zu erwarten, dass auch der Gaza-Krieg im Programm der Berlinale präsent sein würde. Der palästinensische Dokumentarfilm „No Other Land“ (Kein anderes Land, Regie: Basel Adra, Hamdan Ballal, Yuval Abraham, Rachel Szor, Palästina, Norwegen 2024) fand eine enorme Resonanz, und es wurde von vielen beklagt, dass der Film nicht im Wettbewerb, sondern in der Nebenreihe Panorama gezeigt wurde, wo er den Publikumspreis gewann.
Fünf Jahre lang haben der Palästinenser Basel Adra und der Israeli Yuval Abraham die Vertreibung der Bewohner mehrerer Dörfer im Westjordanland mit der Kamera dokumentiert. 2019 entschied der Oberste Gerichtshof, dass die Menschen in der Umgebung von Masafer Yatta ihre Häuser verlassen müssen, weil dort ein Panzerübungsplatz der israelischen Armee (IDF) eingerichtet werden soll. Bulldozer rücken an, um die die Häuser, Ziegen- und Hühnerställe der dort seit Generationen lebenden Bauern niederzureißen. Nachts bauen die Bewohner ihre Häuser provisorisch wieder auf, am nächsten Tag werden sie wieder abgerissen. Wer gegen die Maßnahmen der Armee demonstriert, wird verhaftet. Ein Mann wird angeschossen und bleibt querschnittsgelähmt.
Die Autoren filmen als Zeugen aus unmittelbarer Nähe, dabei entsteht die Chronik einer „stillen ethnischen Säuberung", wie es Basel Adra in der Diskussion formulierte. Schließlich stellt sich heraus, dass die Einrichtung des militärischen Sperrgebiets nur ein Vorwand war, um die palästinensischen Bewohner zu vertreiben und israelische Siedlungen zu errichten. Im aktuellen Epilog nach dem 7. Oktober sieht man wie bewaffnete Siedler die Einwohner bedrohen und zur Flucht zwingen. Am Beispiel des Dorfes Masafer Yatta wird die systematische Entrechtung der palästinensischen Bevölkerung im Westjordanland dokumentiert. Seit Beginn des Gaza Kriegs mit zunehmender Gewalt von militanten Siedlern betrieben, militärisch unterstützt von der israelischen Armee.