In den 80er und 90er Jahren war ich regelmäßig bei den Hofer Filmtagen. Das Festival war ein Pflichttermin für deutsche Regisseure, Produzenten und TV-Redakteure, die sich im Zonenrandgebiet die Klinke in die Hand gaben.
Ich wohnte in abenteuerlichen Absteigen, denn ein besseres Hotel musste man sich durch jahrelange Besuche verdienen. Denn die Unterkunft wurde vom Festival organisiert. Da kannte der Festivalleiter und -gründer Heinz Badewitz keinen Spaß. Regisseure bildeten für ihn den Olymp der Filmkunst, Produzenten, Verleiher und Kritiker kamen weiter unten. Badewitz stammte aus Hof und war nach München gezogen, wo er u.a. als Aufnahmeleiter für Wim Wenders arbeitete. „Im Laufe der Zeit“ und „Der amerikanische Freund“ waren sein Entréebillet in die Welt des jungen deutschen Kinos. Später betreute er auch die Deutsche Reihe auf der Berlinale und wurde ein wichtiger Mann in der Branche. Es war die Zeit, als der Neue Deutsche Film noch jung war. Alle kamen nach Hof, Wim Wenders, Volker Schlöndorff, Werner Herzog, Werner Schroeter und Rainer Werner Fassbinder. Später Doris Dörrie, Sönke Wortmann, Tom Tykwer und Detlev Buck.
Die Hofer Filmtage hatten die Anmutung eines Wochenendausflugs der Münchener Filmszene mit Berliner Beilagen. Man saß bis tief in die Nacht im Galeriehaus, rauchte viel und trank noch mehr. Hier war es, wo Christoph Schlingensief zu fortgeschrittener Stunde einer ZDF-Kollegin seinen Wein ins Gesicht schüttete, weil sie gewagt hatte, abfällige Bemerkungen über seinen jüngsten Film zu machen.
Hof war der Ort, wo die wichtigen TV-Redakteure der Republik Hof hielten, und von kreativen Menschen umschwärmt wurden, die ihre Drehbücher im Sender unterbringen und am liebsten auch selbst Regie führen wollten. In Hof sah gab es Premieren von Filmen, wie „Männer“ von Doris Dörrie und „Die tödliche Maria“ von Tom Tykwer die später deutsche Filmgeschichte machten. Auch Detlef Buck zeigte hier seine ersten Kurzfilme.
Vor acht Jahren starb überraschend Heinz Badewitz, der das Festival 1967 gegründet und jahrelang geleitet hatte. Thorsten Schaumann, der von der Bavaria kam, wurde sein Nachfolger. Für Schaumann gibt es keine Hierarchien, er umarmt alle mit der gleichen Freundlichkeit. Keine Frage, die wilden Zeiten sind vorbei und Hof ist kein Pflichttermin mehr in der deutschen Filmlandschaft. Inzwischen gibt es andere Festivals, die attraktiv sind für junge Filmemacher, wie den Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken und die deutschen Reihen beim Filmfest München. Auf jeden Fall hat Hof einen familiären Charakter behalten, man trifft alte Bekannte und der „Wärschtlamoa“ (Wurstmann) mit seinen fränkischen Bratwürsten steht immer noch vor dem Kino.
Der Hofer Filmpreis ging in diesem Jahr an den vielseitigen Autor und Regisseur Peter Goedel, der mit 81 Jahren unglaublich jung wirkte. Benjamin Pfohl erhielt den Förderpreis Junges Deutsches Kino für „Jupiter“, der mit Laura Tonke, Andreas Döhler und Ulrich Matthes prominent besetzt ist. In seinem Langfilmdebüt erzählt Benjamin Pfohl von einer Familie, die sich einer Sekte anschließt und auf ein neues Leben auf dem Planeten Jupiter hofft.
Herausragend unter den Dokumentarfilmen war „Polizeiakademie“, der Abschlussfilm von Moritz Schulz an der Filmakademie Ludwigsburg. Der Film begleitet drei junge Polizeischüler bei ihrer Ausbildung an der Berliner Polizeiakademie. Yasin kommt aus einer palästinensischen Familie, Samana stammt aus Afghanistan und Chinedu ist mit einer deutschen Mutter und einem nigerianischen Vater in Solingen aufgewachsen.
Alle drei gehen mit großen Idealen in die Welt der Polizei, die, wie man weiß, nicht frei von Rassismus ist. Mit 36% liegt der Anteil an Polizisten mit migrantischen Wurzeln ca. 10% höher als Bundesdurchschnitt. Die drei Protagonisten strahlen Integrität und Selbstbewusstsein aus, sie wollen als gleichberechtigte Deutsche anerkannt werden. Dem Grundgesetz mit seinen demokratischen Werten fühlen sie sich mehr verpflichtet als manche ihrer biodeutschen Kollegen. „Polizeiakademie“ bleibt nahe an den Protagonisten und begegnet ihnen mit so viel Empathie, dass selbst abgebrühten Kritikern die Tränen kommen.
Was gab es noch in Hof? „Mexico 86“ von César Díaz erzählt von Maria, einer oppositionellen Aktivistin in Guatemala, die nach der Ermordung ihres Mannes das Land verlassen und ihren kleinen Sohn bei seiner Großmutter zurücklassen muss. Zehn Jahre später bringt die Großmutter ihren Enkel mit nach Mexiko, wo Maria unter falschem Namen untergetaucht ist. Beim Kampf gegen die Militärdiktatur in Guatemala bleibt ihr nicht genug Zeit, um sich um ihren Sohn zu kümmern. Regisseur César Díaz, der aus Guatemala stammt, in Mexiko aufgewachsen ist und heute in Belgien lebt, hat seinen eindrucksvoll autobiographischen Film seiner Mutter gewidmet.
Bérénice Bejo, Star des französischen Kinos, Oscar-nominiert für „The Artist“, besticht durch ihre Präsenz und ist herausragend in der Rolle der Maria. Bejo, die in Buenos Aires geboren wurde und im Alter von drei Jahren auf der Flucht vor der Militärdiktatur mit ihrer Familie aus Argentinien nach Frankreich gekommen ist, spricht selbstverständlich Spanisch, was den Film die nötige Authentizität gibt.
Zwei biographische Dokumentationen beschäftigten sich mit großen Namen des Kinos. Anke Sterneborg und Irene Höfer portraitieren in „Barbara Sukowa – Spielen wie ein Kind“ die international erfolgreiche Schauspielerin, die mit Fassbinders „Lola“ berühmt wurde sowie in zahlreichen Filmen Margarete von Trottas spielte. Die zahlreichen Ausschnitte zeugen von Barbara Sukowas Charisma auf der Leinwand und wecken den Wunsch, ihre Filme wiederzusehen.
In „Pandoras Vermächtnis“ begibt sich die Regisseurin Angela Christlieb auf die Spuren des großen österreichischen Regisseurs G.W. Pabst. Im Mittelpunkt steht seine Frau Trude und die problematische Beziehung zu seinen Söhnen, die aus der Sicht der Enkelgeneration erzählt wird. Das ist aufschlussreich und spannend, allerdings hätten etwas weniger Familie und mehr G.W. Pabst der Dokumentation gutgetan.
Das Festival ist auch eine ideale Plattform für Kurzfilme von Filmstudenten, beispielhaft „Windgeist“, der 46minütige Abschlussfilm im Studiengang Zeitbasierte Medien an der Hochschule Mainz von Esther Miron. In ihrem Dokumentarfilm begleitet die Regisseurin den ehemaligen Kite- und Windsurfer Achim „Stuzi“ Stuzmann. 30 Jahre lang war er als Surfer in der ganzen Welt unterwegs, bis ihn eine rätselhafte Erkrankung aus der Bahn wirft. Der tragische Bruch zwischen einem Leben in Freiheit und Abenteuer und dem Kampf mit der Krankheit markiert den dramatischen Spannungsbogen des souverän erzählten Films.
Hof ist ein Festival ohne Stars, das in einem familiären Rahmen eine breite Palette von Kurz-, Dokumentar- und Spielfilmen bietet. Wer den zwanglosen Austausch zwischen Filmemachern und einem kinobegeisterten Publikum schätzt, ist in Hof gut aufgehoben.