Bericht zur Berlinale 1992

Einen gelungenen Einstand bescheinigte die Öffentlichkeit dem neuen Leiter der Berlinale, Dieter Kosslick. Er profilierte sich durch wohlgelaunte Geistesgegenwart gegenüber den Medien ebenso wie durch ungewohnten Teamgeist gegenüber seinen Mitstreitern, Christoph Terhechte als Nachfolger von Ulrich Gregor in der Leitung des Forums des Internationalen Jungen Films, Wieland Speck, wie bisher für das Panorama verantwortlich, und Alfred Holighaus, der ein neu geschaffenes Schaufernster für den deutschen Film betreute.

Den auffälligsten Akzent im diesjährigen Wettbewerbsprogramm setzte Kosslick ebenfalls durch die Unterstützung des heimischen Filmschaffens mit gleich vier deutschen Beiträgen in dieser prestigeträchtigsten Sektion des Festivals. Einer davon, Adolf Dresens >Halbe Treppe<, wurde mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet. Die Geschichte zweier Ehepaare in Frankfurt/Oder, ihrer Krisen, Trennungen, Versöhnungen und Neuanfänge war auch bei Publikum und Presse eine der Favoriten.

Die schon unter Moritz de Hadeln gepflegte Zusammenarbeit mit den Kirchen setzte auch Kosslick fort. Beiden, dem alten wie dem neuen Festivalleiter, konnte man auf dem oekumenischen Empfang der Kirchen begegnen, der wie in den beiden vorangegangenen Jahren auch die jüdische Gemeinde Berlins einschloss. In seiner kurzen Ansprache griff Werner Schneider, der Filmbeauftragte des Rates der EKD, das jüngst vorgelegte filmpolitische Konzept von Staatsminister Julian Nida-Rümelin auf, das die kulturelle Bedeutung des Films in den Mittelpunkt staatlicher Filmpolitik und Filmförderung rückt. Die kulturelle Dimension des Films liegt, so Schneider, auch dem Engagement der kirchlichen Filmarbeit zu Grunde, das im Kontext des Festivals in Gestalt der Oekumenischen Jury zum Ausdruck kommt.

Preis der Oekumenischen Jury

Unter dem Vorsitz Werner Schneiders zeichnete die Oekumenische Jury den Film >Bloody Sunday< mit ihrem Preis aus, der den Ausgangspunkt des nordirischen Bürgerkriegs rekonstruiert und, für viele überraschend, auch den Goldenen Bären gewann. Auch die Sektionen Forum und Panorama werden von der Oekumenischen Jury berücksichtigt, ein immer wieder erstaunliches Arbeitspensum. Im Forum entschied sie sich für den Film >E minha cara (Das ist mein Gesicht)< von Thomas Allen Harris, der die Suche eines farbigen Amerikaners nach seinen afrikanischen und lateinamerikanischen Wurzeln beschreibt, im Panorama für >L’ange de goudron (Der Engel aus Teer)< von Denis Chouinard über eine politisch motivierten Generationenkonflikt in einer kanadischen Immigrantenfamilie.

Europäischer Templeton Filmpreis

Allen Preisträgern der Oekumenischen Jury ist die Option für ein gesellschaftlich engagiertes Kino abzulesen. Das gilt auch für den Träger des John Templeton European Film Awards 2001, der von der internationalen kirchlichen Filmorganisation INTERFILM und der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) im Rahmen der Berlinale zum fünften Mal verliehen wurde. >Chico<, ein Film der ungarischen Regisseurin Ibolya Fekete, erzählt von den Irrwegen eines kommunistisch geprägten Internationalisten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die in das militärische Engagement auf kroatischer Seite im ersten Balkankrieg münden. Der Film, so die Templeton-Jury, zeigt „die bleibende spirituelle Dimension der menschlichen Exis-tenz, während Ideologien kommen und gehen.“

Die Regisseurin nahm den mit 7000.- CHFr. Dotierten Preis im Rahmen eines Gottesdienstes in der Matthäuskirche entgegen, die als „Meeting Point“ den Festivalbesuchern während der Berlinale-Tage offen stand. Mit ihren unterschiedlichen Festivalangeboten realisieren die Kirchen ihren Anspruch, Partner im filmkulturellen Diskurs zu sein.

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