Zwischen Himmel und Erde. Pfarrerfiguren im Film
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich begrüße Sie zu meinem Einführungsvortrag zu der Filmreihe „Im Namen Gottes – Der evangelische Pfarrer im Film“, die die Ausstellung zum evangelischen Pfarrhaus im Deutschen Historischen Museum begleitet.
Schon wenn Sie die Inhaltsangaben der Filme im Programmheft des Zeughauskinos lesen, werden Sie unschwer erkennen, dass Sie es mit einem ziemlich heterogenen Material zu tun haben. Nicht nur, weil die Filme aus unterschiedlichen Ländern und unterschiedlichen Epochen der Filmgeschichte stammen. Auch die Sujets, der narrative Fokus, sogar die Genres mischen sich, und ich werde diesen bunten Teppich noch um einige zusätzliche Farbtupfer erweitern. Wir sind damit schon bei einer ersten These, eher einer Feststellung: DEN Pfarrerfilm gibt es nicht, auch kein Pfarrerfilmgenre, so wenig wie DEN evangelischen Pfarrer. Nur mit einiger Mühe kann man wenigstens aus den skandinavischen Beispielen eine Art Filmfamilie erschließen, deren Mitglieder eine nähere oder fernere Ähnlichkeit, ein eher verstecktes als offensichtliches Aufeinanderbezogensein verraten. Die Klammer, die unsere Reihe zusammenhält, wird einzig und allein von der Wiederkehr von Angehörigen eines bestimmten Berufsstandes gebildet.
Dennoch reicht diese mindestens filmanalytisch nicht sehr starke Klammer aus, um die Filme als ein Muster von Fragen und Antworten, von Ergänzungen, Verschiebungen und Kontrasten, von Problemen und Lösungen, von geneigten oder kritischen Perspektiven lesen zu können.
Das hat einerseits mit gemeinsamen Voraussetzungen, Funktionen und externen wie internen Zuschreibungen des Pfarrberufs selbst, andererseits aber auch mit der Verwandlung einer realen gesellschaftlichen und kirchlichen Rolle in Kinofiguren zu tun. Kinopfarrer sind keine Kirchenpfarrer, höchstens sehr bedingt. Dieser Übergang, diese Mutation muss uns als erstes beschäftigen, wenn wir das Schicksal des Pfarrers im Kino verstehen wollen. Oder eben doch: das Schicksal der Pfarrer, im Plural. Zu diesem Plural gehört inzwischen auch, dass es neben den männlichen auch weibliche Pfarrerfiguren gibt.
Ich komme zu meinem ersten Beispiel. Jacob, ein protestantischer Priester aus dem Süden der USA, verwitwet und durch den Tod seiner Frau vom Glauben abgefallen, wird mit seiner Tochter und seinem Sohn von zwei Gangstern überfallen, einem Bruderpaar. Um der Verfolgung der Polizei zu entgehen, zwingen sie ihre Geiseln, sie in einem Wohnmobil über die mexikanische Grenze zu bringen. In einer Spelunke gerät einer der Brüder in eine Prügelei und wird verletzt. Beim Anblick des Blutes verwandeln sich das Personal einschließlich einer vorwiegend weiblichen Rockband und der Großteil der Gäste in einen wahrhaft monströsen Schwarm von Vampiren, die sich auf die verbleibenden Menschen stürzen und sie durch ihre Bisse ebenfalls in Monster verwandeln.
Zuletzt verbarrikadieren sich der zweite Bruder, die beiden halbwüchsigen Kinder und auch der bereits gebissene, aber noch nicht verwandelte Priester in einem nur durch einen schmalen Gang zugänglichen Lagerraum. Hier nun schlägt Jacobs Stunde. Genötigt von dem überlebenden Bruder, bekennt er sich als Diener Gottes, weiht durch seinen Segen die in dem Lager aufbewahrten Spielzeugwaffen und macht sie auf diese Weise zu tauglichen Kampfinstrumenten. Seine Kinder lässt er schwören, ihn zu töten, wenn er sich selbst zu verwandeln beginnt.
„From Dusk Till Dawn“ (USA, 1996) heißt dieser furiose, überraschende und jedenfalls für Cineasten sehr vergnügliche Film, inszeniert von Roberto Rodriguez und hochkarätig besetzt mit George Clooney und Juliette Lewis als den beiden zuletzt Überlebenden, Quentin Tarantino als krankhaft sadistischem Bruder Clooneys und Harvey Keitel als Priester, der gerade noch rechtzeitig zum Glauben zurückfindet, aber auch als Vater und Gegenfigur zu den beiden Gangstern Courage beweist. Er ist ein echter Kinoheld, sozusagen in Großbuchstaben. Abgesehen von seiner moralischen Unbeugsamkeit und der Fähigkeit, die Empirie zu transzendieren, hat er jedoch mit Pfarrern der irdischen Welt nichts mehr zu tun. Das Kino hat ihn mit Haut und Haaren und Amt komplett verschluckt. Wir haben länger darüber nachgedacht, ob wir ihn in unsere Filmreihe aufnehmen sollten und uns dann dagegen entschieden, nicht nur, weil wir befürchtet haben, unser Publikum mit einem Action-Splatter-Movie zu verfehlen, wenn nicht gar zu erschrecken. Ich wollte Ihnen jedoch diesen Father Jacob, der – wie immer bei Rodrigues&Tarantino – aus dem Spiel mit Kinomotiven und ihrer Übersteigerung entstanden ist, heute Abend nicht vorenthalten. Er zeigt zumindest, dass das Potential der Figur größer ist als gewöhnlich vermutet.
Der „Standardpfarrer“ des Kinos, wie ihn die meisten kennen, hat einen weitaus beschränkteren Aktionsradius. Er tritt nur dann auf, wenn Schlüsselsituationen des Lebens sein Zutun verlangen: bei der Geburt zur Taufe, bei der Hochzeit zur Trauung, beim Tod zur Beerdigung. So sehen wir ihn in zahllosen Filmen aus der Schar der Statisten und Nebendarsteller hervor- und wieder zurücktreten. Sein eigenes Leben, seine Arbeit, zu schweigen von seiner Innenwelt, bleiben uns verborgen. Dennoch können die Gelegenheiten kirchlicher Zeremonien eine ganz eigene Intensität gewinnen, zuletzt etwa in „Die andere Heimat“ von Edgar Reitz, in der die Folge der Todesfälle das wachsende Elend der Hunsrückgemeinde Schabbach akzentuiert.
An diesem wiederkehrenden Schrecken prallen die Trostworte des Pfarrers zuletzt ab oder finden sogar empörten Widerspruch. Der episch-historische Gang des Films, der uns in eine bäuerliche Welt in der Mitte des 19. Jahrhunderts führt, verdeutlicht dabei die Verwobenheit des Alltags mit den Momenten religiöser Erfahrung und seine Einfassung in einen kirchlich-rituellen Rahmen. Wenn sich die Erfahrungen der Not schließlich zum Entschluss zur Auswanderung summieren, dem Zentralmotiv des Films, dann fehlt auch nicht der Reisesegen des Pfarrers, den er zum Abschied erteilt.
Ich zeige Ihnen jetzt einen ersten Filmausschnitt, nicht aus dem Film von Edgar Reitz, sondern ein heiteres Gegenstück, das die Kunst des Darstellers zu einem großen Kinomoment gemacht hat. Sie werden den Film vermutlich gleich erkennen. Wir sehen einen – vermutlich anglikanischen – Geistlichen bei einer Trauungszeremonie.
Ausschnitt 1: Vier Hochzeiten und ein Todesfall (0:35:30 – 0:39:30)
Das war Rowan Atkinson als Father Gerald in Mike Newells romantic comedy „Four Weddings and A Funeral“ (GB 1994). Im Vergleich zu seinen Auftritten als Mr. Bean hält sich der Schauspieler hier weitgehend zurück und erzielt gerade deshalb einen unwiderstehlich komischen Effekt. Die Szene ist jedoch nicht nur ein Kabinettstück des Darstellers. Sie illustriert auch das aller zeremonieller Feierlichkeit innewohnende Risiko des Misslingens, mit dem sich die kirchlichen Akteure arrangieren müssen. Und darüberhinaus die Verschränkung des Sakralen und des Theatralen: von Kirchenraum und Bühne, von Pfarrer und Schauspieler, von Gemeinde und Publikum. Father Gerald ist nicht vergesslich oder unfähig, sondern leidet bei seinem ersten großen Auftritt unter Lampenfieber. So bekommt er auch, wenn alles überstanden ist, den verdienten Applaus der Zuschauer-Gemeinde.
Ich möchte an dieser Stelle einen kurzen Exkurs zum Fernseh-Pfarrer einschalten. Es gibt sie viel häufiger als Kino-Pfarrer, und während im Kino katholische Priester ein deutliches Übergewicht haben, so ist es im Fernsehen eher umgekehrt. Und meist erscheinen sie dort gleich im Serien-Format. „Eine himmlische Familie“, im amerikanischen Original „Seventh Heaven“, hat mit 242 Folgen in 11 Staffeln zwischen 1996 und 2007 bisher den Rekord aufgestellt [1] Serialität, also die Variation einer immer wiederkehrenden und immer wiedererkennbaren Grundkonstellation, das Fernsehprinzip per se, steht aber in scharfem Kontrast zur Logik des Kinofilms, der seine Geschichte in einem Zug, von der Eröffnungsszene bis zum Schluss, zu Ende bringen muss. Diese Logik des „Einzelstücks“ hat, in Verbindung mit der einzigartigen Suggestivität der Kinowahrnehmung, eine ganz andere Dramaturgie und Pointierung, Figurenzeichnung und Psychologie, Motiv- und Stoffwahl, Visualität und Raumstrukturierung zur Folge. Ich kann es deshalb bei dieser Bemerkung belassen und kehre, wie es mir auch die Filmreihe des Zeughauses vorgibt, im folgenden zum Kinofilm zurück – mit einem zweiten Ausschnitt, der die Kunst der Pointierung besonders wirkungsvoll vor Augen führt. Er stammt vom Anfang der amerikanischen Produktion „Stars in My Crown“ von Jacques Tourneur aus dem Jahr 1950.
Ausschnitt 2: Stars in My Crown, 0:03:18 – 0:04:28
Schneller und nachdrücklicher hat sich wohl kaum ein Pfarrer seiner Gemeinde vorgestellt – und damit auch uns, dem Kinopublikum. Joel McCrea, sein Darsteller, ist vor allem durch Western bekannt geworden, eine Prägung, die der Szene eine weitere, kinointerne Dimension verleiht. Die Geschichte, die kurz nach dem amerikanischen Bürgerkrieg spielt, ist jedoch ein Südstaatendrama, das den Pfarrer als einen mutigen Verteidiger der Bürgerrechte von Schwarzen porträtiert. So steht er einem freigelassenen Sklaven gegen einen Lynchmob des Ku-Klux-Clan bei. Ein zweiter Erzählstrang handelt von seinem Konflikt mit einem jungen, areligiösen Arzt, der ihm während einer Typhus-Epidemie verwehrt, die Sterbenden zu besuchen – mit der Begründung, er würde sonst die Seuche weiter verbreiten.
Das medizinisch-aufgeklärte Argument stürzt den Pfarrer in tiefe Selbstzweifel. Als der Arzt ihn zuletzt doch an das Bett seiner sterbenden Verlobten ruft, um ihr mit Gebeten beizustehen, macht uns Tourneur, in der Sprache der Dramaturgie, zum Zeugen einer überraschenden Wendung zum Besseren, in religiösen Worten: eines Wunders. Am Morgen bewegt ein Windhauch die Vorhänge, und die Kranke schlägt die Augen auf. Tourneurs Pfarrer Josiah Gray gelingt, was in den anderen Filmen unserer Reihe unmöglich erscheint: die Verbindung von männlicher Tatkraft, moralischem Rückgrat und spiritueller Potenz.
Für das amerikanische Kino ist es keineswegs selbstverständlich, dass der Pfarrer auf der Seite des Wahren und Guten steht. Es kennt auch die dubiosen, zwielichtigen oder sogar dämonischen Façetten religiöser oder pseudo-religiöser Welten. Dazu gehört unter anderem die Rolle des falschen, selbst ernannnten Predigers, den Robert Mitchum in Charles Laughtons „The Night of the Hunter“ (USA 1955) verkörpert – ein Grenzfall unseres Themas. Und auch ein mit anderen Filmen kaum vergleichbarer Solitär der Kinogeschichte. Mitchum spielt einen als Geistlichen getarnten Verbrecher, der hinter einer plastischen religiösen Rhetorik und der Fassade moralischer Strenge seine wahren Absichten verbirgt – alleinstehende Frauen zu umgarnen, sie dann zu ermorden und ihren Besitz zu rauben. Je schlichter seine Predigten, in denen er die christliche Botschaft auf den Kampf zwischen Liebe und Hass reduziert, desto wehrloser seine Opfer.
Zwei Kinder, Junge und Mädchen, widersetzen sich seinem dämonischen Charme, der allen anderen den Verstand vernebelt. Sie wissen, was er sucht, und weshalb er ihre Mutter geheiratet hat: das Geld aus einem Bankraub ihres Vaters, der im Gefängnis gestorben ist und mit dem Prediger die Zelle geteilt hat. Wie vorauszusehen, wird die Mutter ermordet. Die Kinder fliehen und driften dabei in eine lyrisch-archaische Welt zwischen Märchen, Traum und Halluzination, verfolgt von der Stimme Mitchums und einem Kirchenlied, das er ständig wiederholt. „The Night of the Hunter“ porträtiert die beklemmende Welt einer falschen Frömmigkeit, der die verwaisten Kinder nur auf dem Weg einer magisch-rituellen Passage ins Irreale entkommen.
Das Echo der Mitchum-Figur lässt sich bis zu Paul Thomas Andersons „There Will Be Blood“ (USA 2007) verfolgen, in Gestalt des evangelikalen Predigers Eli Sunday, dem Gegenspieler des Erdölproduzenten Daniel Plainview, seiner Hauptfigur. Der eine wird von dem Streben nach Reichtum beherrscht, der andere von einem Glauben, der, ebenso ausschließlich, nichts anderes neben sich duldet. Ihr verbissener Kampf, der die Demütigung des anderen verlangt, reißt beide in den Abgrund.
Der Regisseur, der in „Magnolia“ (USA 1999) einen himmlischen Froschregen über das in Schuld verstrickte Los Angeles niedergehen ließ und in „The Master“ (USA 2012) einen charismatischen Sektenführer im Amerika der 50er Jahre reüssieren ließ, hat offenbar Sinn für die unorthodoxen Ausprägungen des Religiösen. In Eli Sunday und Daniel Plainview lässt er zwei Formen des Unbedingten aufeinander prallen, die beide bis heute tief in der amerikanischen Kultur und Gesellschaft verwurzelt sind. Die Datierung der Geschichte auf die Zeit um 1900 unterstreicht die Dauerhaftigkeit der beiden Obsessionen. Dabei ist Eli Sunday mehr als ein religiöser Fanatiker. Sein Glaube verlangt vor allem eines: unbedingte Unterwerfung.´
Und ist doch zugleich Niederschlag eines Selbstbehauptungswillens, an dem sich der sowohl von politischer Macht wie von Reichtum ausgeschlossene Eli aufzurichten vermag. Ob sein Sendungsbewusstsein oder Plainviews Rücksichtslosigkeit den größeren Schaden anrichten, lässt Anderson offen.
Was Anderson für die amerikanische Gesellschaft um 1900 demonstriert, die Signifikanz eines kirchlich-religiösen Typus für ihre Grundstrukturen und -konflikte, das leistet Michael Hanekes „Das weiße Band“ (Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien 2009) für die deutsche Gesellschaft kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Im Unterschied zum amerikanischen Beispiel und seiner auf Gewalt zulaufenden Konfliktdramaturgie gehen in Hanekes Vorkriegsdeutschland Kirche, Obrigkeit und Besitz Hand in Hand. Gewalt existiert dennoch und macht sich, wie ein verleugnetes Krankheitssymptom, in mysteriösen Anschlägen wie aus dem Nichts bemerkbar. Exemplarisch für die Ausübung und gleichzeitige Verleugnung von Gewalt ist die titelgebende Szene im Pfarrhaus des norddeutschen Dorfes, in dem die Handlung angesiedelt ist.
Weil seine Kinder sich bei der Rückkehr ins Elternhaus ohne befriedigende Entschuldigung verpätet haben, bestraft sie der Pfarrer, indem die ganze Familie auf das Abendessen verzichten muss, beschämt sie zusätzlich mit dem Vorwurf, die Eltern in Angst versetzt zu haben, und brandmarkt ihren Ungehorsam für die ganze Gemeinde mit dem Makel eines weißen Bandes, das sie bis zur Tilgung ihrer Schuld durch dauerhaft tadelloses Benehmen tragen werden. Sie verstünden gewiss, dass er sie am nächsten Morgen hart züchtigen müsse. Dies alles, schließt er seine Ansprache, sei vor allem für ihn und ihre Mutter eine traurige und schmerzhafte Erfahrung. Die Szene verdichtet einen autoritären Erziehungsmechanismus, der von seinen Opfern auch noch die Einsicht in seine Unvermeidlichkeit verlangt.
Überwölbt wird diese Praxis durch eine protestantische Glaubenslehre, die Strenge und Gehorsam in den Mittelpunkt stellt. Wie sich herausstellt, haben die Kinder die ihnen zugefügte Gewalt internalisiert und üben sie selbst gegenüber Schwächeren oder Ahnungslosen aus. Mit diesem Befund lässt Haneke sie in die Zukunft gehen.
Wenn die Ausstellung des DHM die Vorbildfunktion des Pfarrhauses für das soziale und kulturelle Gefüge der Gemeinden und umgekehrt für das Selbstbild der Pfarrerfamilie belegt, so bilanziert Hanekes Film unter anderem den psychischen Druck und die Zwänge, die aus solchen Ansprüchen erwachsen. (Die auf umfangreichen Recherchen beruhende historische Detailtreue des Films ist von der Kritik übrigens nicht angezweifelt worden.) Das Eingeständnis der dunklen Seiten protestantischer Glaubens- und Erziehungspraxis wird allerdings durch die historische Distanz und eine längst vollzogene innerprotestantische (Selbst-)Kritik beträchtlich erleichtert.
Weniger bedrückend, aber dennoch vergleichbar problemlastig sind auch die anderen deutschen „Pfarrerfilme“. Harald Brauns „Nachtwache“ von 1949, mit Unterstützung der evangelischen Kirche entstanden und heute kaum noch zugänglich, erzählt von einem evangelischen Pastor und einem katholischen Kaplan, die sich in gegenseitiger Unterstützung mit einem ganzen Bündel von Kriegsfolgen auseinandersetzen müssen: dem Tod von Kindern, zerbrochenen Beziehungen, Schuldgefühlen und Glaubensverlust, gespiegelt auch in aktuellen Schicksalsschlägen. Falk Harnacks „Unruhige Nacht“, 1958 gedreht nach einer Novelle des Dichters und Pfarrers Albrecht Goes, thematisiert die Verantwortung eines evangelischen Militärgeistlichen bei der Hinrichtung eines wegen Fahnenflucht verurteilten Soldaten im 2. Weltkrieg und bezieht sie in der aktuellen Rahmenerzählung auf die Kontroverse um die westdeutsche Wiederbewaffnung.
Alfred Anderschs Roman „Sansibar oder der letzte Grund“ von 1957, vier Jahre später, also 1961, von Rainer Wolffhardt für das Fernsehen und 1987 noch einmal von Bernhard Wicki verfilmt, versammelt in einer Gruppe von Nazigegnern auf der Flucht über die Ostsee auch einen Pfarrer, der eine Barlach-Figur retten will. Und in seinem auch mit komödiantischen Elementen aufgelockerten DEFA-Film „Einer trage des Anderen Last“ von 1988 führt Lothar Warneke in einem Lungensanatorium Anfang der 50er Jahre einen Volkspolizisten und einen evangelischen Vikar in einem gemeinsamen Krankenzimmer zusammen, um sie nach einer Reihe von Zusammenstößen zu einer Versöhnung untereinander, aber damit auch, wie der Regisseur uns nahelegen will, von Staat und Kirche überhaupt finden zu lassen.
Immer auf dem Hintergrund der nationalsozialistischen Vergangenheit verkörpern alle diese Pfarrer eine metapolitische Instanz, der zugetraut wird, politische Konflikte entweder zu lösen oder mindestens zu entschärfen. Eine leicht zu durchschauende Projektion? Gewiss. Aber wer durch den letzten, der Nachkriegszeit gewidmeten Teil der Pfarrhausausstellung geht, findet als charakteristischen Zug zahlreiche Zeugnisse über das politische Engagement der Pfarrerschaft. Die Filme fügen sich nahtlos in dieses Bild.
Eine weitaus tiefere Verstrickung in gesellschaftlich-politische Zusammenhänge, genauer gesagt: Schuldzusammenhänge greift einer der ältesten Filme unserer Filmreihe auf – Carl Theodor Dreyers „Tag der Rache“ (Dänemark 1943). Ich komme damit zu dem „skandinavischen Komplex“ der Pfarrerfilme, der deutlich umfangreicher ist, als es unsere Auswahl verrät. Viele der zu diesem Subgenre des Gesellschaftsdramas zu rechnenden Filme haben es nicht in unsere Kinos geschafft; „Briefe an Vater Jakob“ von Klaus Harö, ein aktuelles Beispiel, das wir heute abend zeigen, gehört ebenfalls dazu. Dreyers Film hingegen ist ein wenigstens unter Filmhistorikern unbestrittener Klassiker.
Dreyer, der vor allem durch eine grandiose, in Frankreich gedrehte Stummfilm-Version der „Passion der Jungfrau von Orleans“ von 1928 in Erinnerung geblieben ist, dürfte, so meine These, an der Pfarrerfilm-Häufung in Skandinavien nicht ganz unschuldig sein. Der älteste Film unserer Reihe, „The Parson’s Widow“ (Dänemark 1921) stammt ja ebenfalls von ihm. Klassiker hinterlassen meist deutliche Spuren, sie stiften Traditionen, die es ohne sie nicht oder nur abgeschwächter gäbe; ja, Traditionsstiftung ist das, was sie zu Klassikern macht.
„Tag der Rache“ – ein irreführender deutscher Titel, richtiger wäre „Tag des Zorns“ – versetzt uns zurück in das beginnende 17. Jahrhundert, die Reformation ist gerade etwa hundert Jahre alt. Eine Frau flieht in ein Pfarrhaus, weil sie von der Menge als Hexe gejagt wird. Die junge Pfarrersfrau Anne will sie schützen, wurde doch ihre eigene Mutter einst als Hexe verdächtigt und durch ihren jetzigen Mann, den wesentlich älteren Absalom, gerettet. Nicht ohne das eigensüchtige Motiv, dadurch die Hand der Tochter zu gewinnen. Dieses Mal versagt der Pfarrer der verfolgten Frau seine Hilfe, liefert sie der Folter und nach ihrem Geständnis dem Scheiterhaufen aus. Inzwischen ist Martin, der Sohn des Pfarrers aus erster Ehe, in sein Elternhaus zurückgekehrt. Anne, die sich ihrem Mann entfremdet hat, verliebt sich in ihn; er scheint ihre Gefühle zu erwidern. Als sie Absalom das Verhältnis gesteht, erleidet er einen Herzschlag und stirbt. Annes Schwiegermutter klagt sie als Hexe an und beschuldigt sie, ihren Mann umgebracht zu haben, Martin stellt sich auf ihre Seite. Anne bekennt sich schuldig und wird verurteilt.
Dreyers Film wirkt so, als sei der von Walter Benjamin geprägte Begriff vom „Schuldzusammenhang alles Lebendigen“ geradezu auf ihn gemünzt. Verstrickt in Schuld sind ausnahmslos alle seine Figuren.
Wenn Dreyer für diesen Befund seinen Scheinwerfer auf ein Pfarrhaus richtet, dessen Bewohner einer verschärften Selbstgerechtigkeit erliegen, so steigert er noch dessen Trostlosigkeit. Und er versäumt auch nicht, seine Sicht der Dinge durch Bibelbezüge zu erhärten. Der Filmtitel selbst, Tag des Zorns, lateinisch Dies irae, nimmt Bezug auf den Tag des Jüngsten Gerichts, den ein Kirchenlied zu Beginn des Films in den düstersten Wendungen ausmalt; seine letzte Zeile lautet: „Tag des Zorns, ach wie sie standen vor Seinem Thron in Bußgewanden, gehüllt in Sünden und in Schanden.“ Wenn ich von Schuldzusammenhang gesprochen habe, so benennt das Kirchenlied sein theologisches Pendant: die Sünde. Sie durchdringt Dreyers Film in einem Maße, dass von der Freude des Evangeliums rein gar nichts mehr zu spüren ist.
Bei dieser niederschmetternden Bilanz eines Pfarrhausfilms muss man allerdings in Rechnung stellen, dass er im Zweiten Weltkrieg und im von den Nazis okkupierten Dänemark entstanden ist. Dreyer selbst hat alle aktuellen politischen Bezüge abgestritten. Dennoch markiert die Nazi-Herrschaft den Zusammenbruch jener bürgerlichen Welt, mit der, wie die Ausstellung deutlich macht, das protestantische Pfarrhaus eng verwoben ist. So lässt sich die politische Einfärbung des Pfarrerbildes im deutschen Nachkriegsfilm auch als Suche nach einer Neupositionierung verstehen. Davon unabhängig ist das Thema Schuld und Schuldigwerden im skandinavischen Pfarrerfilm eine Konstante geblieben, bis hin zu Annette Olesens „In deinen Händen“, wiederum ein dänischer Film von 2004. Olesen erzählt von einer jungen, ambitionierten Pastorin in einem Frauengefängnis, die während ihrer Schwangerschaft mit einem möglicherweise behinderten Kind einen schweren Fehler begeht. Sie denunziert eine der gefangenen Frauen, in der sie eine spirituell begabtere Konkurrentin erkennen muss, und verursacht dadurch deren Tod. Dass sie trotz bester Absichten an sich selbst scheitert, ist die bittere Pointe des Films.
„Die besten Absichten“ trägt ein Film im Titel, mit dem ich zu der zweiten überragenden Figur des skandinavischen Films und meinem letzten Filmausschnitt komme. Regisseur Bille August inszenierte darin ein Drehbuch des Pfarrersohns Ingmar Bergman, in dem dieser die Geschichte seiner Eltern bis zu dem Moment erzählt, als seine Mutter mit ihm schwanger war. Henrik Bergman, so heißt sein Vater im Film, und Anna Åkerblom stammen aus gegensätzlichen Welten, er ein sozialer Aufsteiger, der sich sein Theologiestudium erkämpfen musste, sie behütete Tochter aus großbürgerlicher Familie. Nach langem Widerstand, vor allem von Annas Mutter, finden die Liebenden endlich zusammen und planen die Hochzeit.
Die folgende Szene spielt in der Kirche einer nordschwedischen Gemeinde, in der Henrik Bergman seine erste Pfarrstelle antreten soll. Unvermittelt schlägt er Anna vor, in dieser Kirche zu heiraten, einem ehemaligen Gewächshaus, statt, wie geplant, im Dom von Uppsala. Weil der ganze Ausschnitt zu lang ist, springen wir mitten in die Szene hinein.
Ausschnitt 3: Die besten Absichten, 1:32:20 – 1:36:26
„Wie sollen wir jetzt mit all dem weiterleben,“ fragen sich die beiden später, wenn sie sich wieder versöhnt haben. Ich habe die Szene vor allem wegen ihrer psychologischen Nuancen und Wendungen bis hin zum unbeherrschten Ausbruch physischer Gewalt ausgesucht. Sie bringt einerseits sozialen Konfliktstoff zur Sprache, verdeutlicht aber auch ein Bündel von Charaktermerkmalen, die mit der Herkunft, aber auch mit dem Habitus eines akademisch gebildeten Theologen und dem Rollenverständnis eines schwedischen Pfarrers zusammenhängen.
Ein masochistischer Stolz auf den Verzicht und die eigene Genügsamkeit, Verachtung gegenüber den Formen der besseren Gesellschaft, Selbstherrlichkeit und Rechthaberei bis zum Wutausbruch gegenüber jedem, der sich Widerspruch erlaubt, moralische Überheblichkeit: es ist ein umfangreicher, damit noch gar nicht ausgeschöpfter Katalog unangenehmer Eigenschaften, die Bergmans Drehbuch dem Bräutigam und Pfarrer, seinem künftigen Vater, zuschreibt. Neben ihrer Aggressivität haben diese Charakterzüge noch eine zweite Seite – das Leiden an sich selbst, eine autoaggressiv bekämpfte Weichheit und Empfindsamkeit, die sich hinter einer mal förmlichen, mal schroffen Fassade verbirgt. Er ist, wie viele männliche Bergman-Figuren, ein innerlich Zerrissener.
Bille Augusts Film von 1992, der auch in einer längeren Fernsehfassung vorliegt, ist ein episch breites, historisches Familien- und Gesellschaftsgemälde. Bergmans eigener Pfarrerfilm drängt hingegen die Handlung auf wenige Stunden zusammen, von einem Morgen- bis zu einem Vespergottesdienst des gleichen Tages, in Form einer bohrenden Befragung und Selbstbefragung der Hauptfigur. Pastor Tomas Ericsson in „Licht im Winter“ (Schweden 1996) muss seine Gottesdienste nicht nur vor fast leeren Kirchenbänken über die Bühne bringen. Wie Father Jacob bei Rodrigues hat auch er durch den Tod seiner Frau seinen Glauben verloren. Nur ein leeres Pflichtgefühl hält ihn im Amt.
Im Unterschied zum amerikanischen Beispiel versagt er jedoch bei den Prüfungen, die das Drehbuch für ihn bereit hält. Er versagt vor den Gefühlen seiner ehemaligen Geliebten, die ihn um Rückkehr bittet, und kränkt sie durch seine Kälte; und er versagt vor den Ängsten eines Fischers über die atomare Gefahr, der sich von ihm vergeblich geistlichen Trost erhofft und ungetröstet Selbstmord begeht. Bergman lässt seinen Pfarrer Tomas scheitern, menschlich und metaphysisch.
Und bietet ihm dann doch zuletzt Trost durch den Mund eines Küsters, der ihn an die Verlassenheit Jesu im Garten Gethsemane erinnert. Dieser Trost gibt ihm immerhin die Kraft, wieder und noch einmal das Abendmahl zu feiern, wenn auch nur noch Küster, Organist und verstoßene Geliebte die Gemeinde bilden. Bergman hat in diesem Film seinem Abschied vom Glauben Ausdruck verliehen, aber die Erinnerung an dessen Gründungsszene bekräftigt.
Ich habe meinen Vortrag überschrieben mit dem Titel „Zwischen Himmel und Erde“, nicht nur, weil ich das alltägliche Spannungsverhältnis einer Pfarrerexistenz formulieren wollte. Sondern auch aufgrund des Eindrucks, dass sich die evangelischen Pfarrer der Filmgeschichte von irdischen Problemen und Konstellationen allzu stark gefangennehmen lassen, von politischen Fragen, psychologischen Kräften, von Macht- und Selbstbehauptungstrieben. Auch ethische Konflikte würde ich zu diesem „irdischen“ Pol zählen. Das Handgemenge mit der Welt hier und jetzt ist für Christen ganz unvermeidlich, sogar eine ökumenische Gemeinschaftsüberzeugung. Trotzdem möchte ich fragen: wo bleibt das Andere, wo bleibt die Alterität religiöser Fragen, wo bleibt in den filmischen Pfarrerfiguren der Gottesbezug, wo bleibt der Himmel? Luther hat ja die Geistlichen und die Gläubigen gleichgestellt. Was in einer für alle von Gott erfüllten Welt noch keine genuin religiösen Probleme aufwirft, wohl aber in einem „säkularen Zeitalter“, wie Charles Taylor es genannt hat.
Bei Bergman gibt es diesen Pol, diesen Bezug auf „das Andere“ im Negativen, in Form eines quälenden Leere- und Verlassenheitsgefühls, das die ganze Person intellektuell, emotional und kommunikativ lähmt. Inzwischen hat das skandinavische Kino auch positive Imaginationen hervorgebracht, die sich über das Andere definieren, zwei davon werden in der Zeughaus-Filmreihe gezeigt – der eine aus Dänemark, der andere aus Finnland.
Es handelt sich um „Adams Äpfel“ von Anders Thomas Jensen (Dänemark 2005), und, heute Abend im Programm, „Post für Vater Jakob“ von Klaus Harö (Finnland, Schweden 2009).
Äußerlich betrachtet, sind beide Filme eine Resozialisierungsparabel. In „Adams Äpfel“ nimmt Pfarrer Ivan entlassene Straftäter bei sich auf – Gunnar, einen Sexualstraftäter und Alkoholiker, Khalid, einen arabischen Tankstellenräuber, und Adam, einen besonders widerspenstigen, aggressiven Neonazi. Gegen jeden Augenschein hält Ivan an der Überzeugung fest, dass seine Untermieter gute, nur vorübergehend irrende Menschen sind, die sich auf Dauer Gottes Güte öffnen werden. Diese Überzeugung weckt vor allem bei Adam höchsten Widerwillen. Er entdeckt, das Ivan verleugnet, als Kind missbraucht worden zu sein, seine Frau durch Selbstmord verloren und einen geistig behinderten Sohn zu haben. Der eklatante Verstoß gegen das Realitätsprinzip provoziert erst bei Adam, dann bei seinen Gesinnungsgenossen massive physische Gewalt gegen Ivan, dessen Glaube schließlich zu wanken beginnt.
Völlig zu Recht ist der Film als schwarze Komödie verstanden worden. Er hat die Unberührbarkeit von Slapstick-Helden wie Buster Keaton durch äußere Katastrophen gewissermaßen in die geistig-moralische Welt übertragen. Wie sie, gibt auch Ivan nie auf. Alle Rückschläge, Kränkungen und Verletzungen nimmt er als Prüfungen seines Glaubens wahr, die ihn in seinen Überzeugungen nur bestärken. Diese hartnäckige Verkennung, stilistisch höchst lakonisch inszeniert, erzeugt unaufhörlich komische Effekte, bei denen der Zuschauer sich unwillkürlich auf der Seite des ungläubigen Adam wiederfindet – der zugleich, dummerweise, ein Nazi ist. Zum Glück kein unbelehrbarer. Was die Reaktionen und die Rezensionen ebenso hartnäckig übersehen, ist der Rückgriff des Films auf einen traditionellen Typus der religiösen Überlieferung. Pfarrer Ivan ist nämlich nichts anderes als ein heiliger Narr, der nicht der Alltagsvernunft, sondern einer anderen Wahrheit folgt. Und deshalb verlacht und stigmatisiert wird. Bis sich zeigt, dass er ein verkannter Weiser ist – in religiösen Begriffen ein Mensch, der bereits jetzt in der Gnade Gottes steht. Für die Phänomenologie der Filmpfarrer muss man festhalten, dass er in eine riskante Position am Rande der Gesellschaft geraten ist.
Das gilt für Pastor Jacob in dem finnischen Film von Klaus Harö nicht minder. Pastor Jakob ist ein alter, blinder Mann, der in einer ländlichen Einöde lebt. In zahllosen Briefen erzählen ihm Kranke, Notleidende und Bedrängte ihre Kümmernisse mit der Bitte, ihnen zu helfen. Denn er, der Blinde, gilt als einer, der, wenn nichts mehr hilft, Gottes Hilfe herbeirufen kann. Als seine Haushälterin stirbt, braucht er eine Nachfolgerin, die ihm die Briefe vorliest. Eine aus dem Gefängnis entlassene Mörderin wird ihm zur Verfügung gestellt, eine energische, verschlossene Frau, die Pastor Jakobs Brief- und Betreuungspraxis für baren Unsinn hält und bald dafür sorgt, dass der Postbote sich keine Briefe mehr zuzustellen erlaubt.
Ich muss den Film nicht weitererzählen, sie können seine wundersamen Wendungen heute Abend selbst sehen. Auch Pastor Jakob ist ein Außenseiter, einsam und möglicherwiese ein bisschen verrückt. Als er einmal glaubt, zu einer Trauung gerufen worden zu sein, bleibt er in der Kirche allein. Seine „Gemeinde“ sind die Absender der Bitt- und Dankbriefe, die er erhält. Durch das Eingreifen seiner neuen Haushälterin gehen auch sie ihm verloren.
Alle diese Details, alle Motive der Geschichte und ihr ganzer Verlauf fügen sich schlüssig zusammen, wenn man erkennt, dass Pastor Jakob nichts weniger als ein Heiliger ist und der Film folglich eine Heiligenlegende erzählt. Er ist die Wiederkehr eines religiösen Narrativs im profanen Raum des Kinos. Das nimmt ihm nichts von seiner Plausibilität und nichts von seinem Realitätsbezug.
Dieser Umstand scheint so anstößig zu sein, dass er in keiner der mir bekannten Reaktionen wahrgenommen oder auch nur am Rande erwähnt wird. Auch nicht von der Lübecker Pastorin, die über den Film so begeistert war, dass sie ihm eine Predigt widmete. Und mein hochgeschätzter Kollege Georg Seeßlen, der im aktuellen Heft der Zeitschrift epdFilm unserem Thema einen großen Essay gewidmet hat, scheint zwar die Wahrheit gespürt zu haben, wischt sie aber gleich wieder beiseite.
Vielleicht sind wir davon entwöhnt, dem Heiligen in unserer Gegenwart zu begegnen. Vielleicht gehört aber auch Verkennung zu seinem Wesen. Auch die großen Pfarrerfiguren aus der katholischen Welt teilen dieses Schicksal, der Priester in Robert Bressons „Tagebuch eines Landpfarrers“ so gut wie der in Luis Buñuels „Nazarin“. Mit Klaus Harös Film haben sie jetzt ein evangelisches Pendant gefunden. Ich weiß nicht, ob die Filmgeschichte meiner Einschätzung folgen wird. Aber irgendwann muss man ja anfangen, sie zu schreiben. Ich verspreche Ihnen einen eindrucksvollen Kinoabend und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
[1] Weitere Beispiele: Pfarrer in Kreuzberg, 1977, 13 Folgen; Oh Gott, Herr Pfarrer, 1988, 13 Folgen; Mit Leib und Seele, 1989-1993, 4 Staffeln, 51 Folgen; Pfarrerin Lenau, 1990-91, 13 Folgen; Schwarz greift ein, 1995-1998, 3 Staffeln, 41 Folgen; Pfarrer Braun, 2003-2012, 22 Folgen; Herzensbrecher, 2013, bisher 10 Folgen
Zum Bild protestantischer Pfarrer und Pfarrerinnen im Film
(Der Vortrag wurde vom Vf. mehrfach aktualisiert und ergänzt. Abdruck der Urfassung in: Loccumer Protokolle 52/03, Loccum 2004)
Es erwartet Sie ein Gang durch ein großes Kino mit 12 Sälen, in den meisten läuft ein Film, in den wir reinschauen, in anderen hören wir in einen Vortrag hinein, zum Schluss eine ökumenische Zugabe.
I. Über das Stolpern
4 Geschichten über 5 Tote, Deutschland 1997, Regie: Lars Büchel
Der kleine Programmkino-Kultfilm von Lars Büchel nähert sich dem Thema Tod. Verstorbene, die gerade im Himmel angekommen sind, schauen durch ein Fernglas hinab auf die Erde, just auf ihre eigene Beerdigung und die Vorbereitungen dazu. Sie sehen Trauer, Heuchelei, und manch eine ausgesprochen amüsante Ungeschicklichkeit. Manchmal ist es auch hart an der Grenze des guten Geschmacks, was da geschieht. Angesiedelt sind die Geschichten im Nordelbischen, gespickt mit norddeutschem Humor.
In der dritten Episode schaut der Großbauer Hans-Herbert Bredens auf das Geschehen rund um seine Trauerfeier. Zu Beginn der Szene sehen wir den Zwillingsbruder des Verstorbenen, den etwas fahrigen lutherischen Landpastor Bredens, wie er aus dem Pfarrhaus kommt, den Talar für die Trauerfeier hat er bereits angezogen, die Agende und die Papiere trägt er mit sich. Und er stolpert, fällt der Länge nach hin. Etwas unbeholfen steht er wieder auf, ordnet seine Papiere und schreitet eilig zur Beerdigung seines Bruders.
Immer wieder stolpern Pfarrerinnen und Pfarrer - in den verschiedenen Bedeutungen des Wortes. Diese Stolpern macht sie interessant für den Film.
Im Fortgang der dritten Episode sind die Trauergäste zu sehen, wie sie zur Kirche gehen. Ein Jungpfarrer begrüßt die Trauergäste an der Tür. Dass Kai, der Dorftrottel, sein Kalb mit in die Kirche bringt, kann er zwar nicht verhindern, aber immerhin Kai dazu bewegen, die Mütze abzunehmen.
Pfarrer Bredens eröffnet die Trauerfeier. „So nimm denn meine Hände“ wird gesungen. Die Traueransprache hält Pastor Bredens frei - und sehr persönlich, er spricht von seinem speziellen Verhältnis zu dem Verstorbenen („Hans-Herbert war unser aller Bruder, besonders mein Bruder. ... Der Bauer hat mehr Geld gemacht als ich, ich der Pastor. Das muss man sich mal vorstellen, als Bauer. ... Gott hat gewusst: Wenn der eine geht, bleibt der andere übrig - und das bin ich. Und Gott ist weitsichtig: er wusste, warum er Hans-Herbert als ersten holt, damit ich, ich der Pastor, seine Trauerrede halten kann. So hat meine Wahl, Pastor und nicht Bauer zu werden, sich doch noch ausgezahlt.“) In zum Teil recht komisch wirkenden Wendungen spricht er auch über den Reichtum und das wohl etwas ausschweifende Liebesleben seines Bruders und seine Folgen. Schließlich wird aber aus der Gemeinde heraus gesagt: „Besser, Sie reden über Gott, Herr Pfarrer“.
„Persönlich predigen“, „Das Ich des Predigers auf der Kanzel“ - Man könnte diese Szenen als eine Umsetzung dieses homiletischen Konzeptes verstehen. Natürlich ist dieser Film kein Lehrfilm für Homiletik-Phasen in Predigerseminaren, eher eine Persiflage, eine Karikatur. Deutlich wird aber eine Persönlichkeit, eine ganze Pfarrerexistenz. Der Dorfpastor, etwas üppiger gebaut, kennt seine Schäfchen und maßt sich an, in ihr Leben hineinzuwirken. Beffchen mit Hohlsaum, Eckenkragen, das Deutsch der Lutherbibel, der liturgische Gruß muss abgelesen werden. Da hat einer genau hingeschaut, hat Typisches gesehen und hat seine Erfahrungen mit Pfarrern Film werden lassen.
II. Eingrenzungen und Vermutungen
Dieser Vortrag ist ein Streifzug durch ein großes Thema, zu dem Sie sicher manche Seh-Erfahrung mitbringen. Bei den hier vorgestellten Filmen kann es sich nur um eine Auswahl handeln. Ich habe darauf verzichtet, das Material ganz streng zu ordnen: Also kein chronologisches Raster, keine Ordnung nach Herkunftsländern und auch keine strenge Typologie von Pfarrersgestalten, eher eine motivische Zusammenstellung. Zu vielfältig sind die Filme, zu differenziert häufig auch die entwickelten Charaktere.
Die Mehrzahl der Filme, die Pfarrersgestalten zum Thema haben, fallen schon durch die Vorgabe heraus, dass es um protestantische Pfarrer gehen soll. Katholische Pfarrer sind ein dankbareres Thema, zumindest was Komik und Dramatik anbelangt. Also an dieser Stelle kein Pater Brown, der pfiffige Detektiv-Pater, und auch kein Pfarrer Braun, der ähnliches in Deutschlands Norden versucht. Auch keine alpenländischen Heimatfilme. Kein Don Camillo, jener selbstbewusste italienische Dorf-Priester, der das Verhältnis Thron und Altar auf seine Weise mit Hilfe seines Heilandes zu gestalten versteht. Auch keine Dornenvögel, die das Thema Zölibat und den Tabu-Bruch für Millionen von vor allem Zuschauerinnen so effektvoll in Szene setzt. Als „typisch katholisch“ geltende Ausstattungsmerkmale des kirchlichen Amtes wie die zölibatäre Lebensform, das Beicht-Sakrament und die Kirche als riesiger unergründlicher Machtapparat bieten sich für Drehbuchautoren geradezu an als dramaturgische Eckpfeiler so mancher Geschichte.[1]
An dieser Stelle sollen auch nicht die in Filmen dargestellten Glaubens-Helden der Geschichte und Zeitgeschichte untersucht werden: Der Film „Die letzte Stufe“ über Dietrich Bonhoeffer ist kein Film über einen Pfarrer, sondern ein Film über Dietrich Bonhoeffer, der natürlich Pfarrer war und sich auch als Pfarrer verstand. Und der Film „Luther“ ist ein Film über Martin Luther.
Hier interessieren die „ganz normalen“ Pfarrer - und Pfarrerinnen (davon gibt‘s zwar nicht ganz so viele, aber ein paar schon, aber dazu später mehr).
In den Pfarrergestalten manifestiert sich etwas von dem Kirchenbild der Drehbuchautoren, Produzenten und Regisseure. M. E. ist es kein Zufall, dass die allermeisten Pfarrersgestalten in dörflicher oder kleinstädtischer Umgebung angesiedelt sind. Großstädte sind eher selten, obwohl anzunehmen ist, dass die Mehrzahl der Filmschaffenden in großstädtischem Kontext lebt. Zu vermuten ist, dass sich in den Pfarrersbildern Erinnerungen an eigene Pfarrers- bzw. Kirchenerfahrungen aus kleinstädtischer Herkunft manifestieren. Außerdem scheint ein Gefühl dafür zu bestehen, dass Pfarrer eher in dörflichem und kleinstädtischem Kontext eine relevante Rolle spielen als im großstädtischem.
III. Der Pfarrer als Zeremonienmeister
Oft genug tauchen Pfarrer in den Filmen als Zeremonienmeister auf. In unzähligen Fernseh-Krimis besuchen die Kommissare die Beerdigung des Mordopfers und erhoffen sich von der Beobachtung der Trauergäste und vom Gespräch mit ihnen Aufschlüsse für die Lösung des Falls. Mehr oder weniger gut oder schlecht recherchierte Beerdigungszeremonien am Grab sind da zu sehen, meist (ganz anders als bei Pastor Bredens) keine Ansprache, auf die ja in der pfarramtlichen Praxis die meiste Mühe liegt. Wir hören - zumeist etwas ältere - Pfarrer den Psalm 23 beten und Bestattungsformeln sprechen, wir sehen Erdwürfe und Segensgesten. Der Pfarrer hat seine Aufgabe - wie die Spurensicherung - , er ist zumeist Staffage.
Da gibt es recht differenzierte Darstellungen, da gibt es auch schlampig recherchierte Klischees. Manchmal werden in diesen Nebenfiguren auch Kirchenbilder der Filmemacher deutlich: eine lieblose formelhafte Beerdigung lässt auf Erfahrungen und Einstellungen der Filmschaffenden genau so schließen wie Szenen, in denen etwas von einem tragenden Ritual aufscheint.
Auch in unzähligen Liebeskomödien sind natürlich auch Ausschnitte kirchlicher Trauungen zu sehen. Auch hier meist mehr schlecht als recht recherchiert.
Adelheid und ihre Mörder, Tod in h-Moll, Erstausstrahlung: ARD 2000
In der Eröffnungsszene beginnt eine kirchliche Trauung mit dem Einzug des Brautpaars in die Kirche zu dem auf der Orgel gespielten Hochzeitsmarsch. Noch bevor der Pfarrer aber die Gemeinde begrüßen kann, stört ein Missklang der Orgel die Zeremonie. Die Polizeisekretärin Adelheid und die Kollegen stürzen die Treppe zur Orgelempore hinauf und finden den Organisten mit einem Messer im Rücken, den Kopf auf der Orgel-Tastatur.[2]
Der Pfarrer mit hanseatischer Halskrause. Der Pfarrer als Ausstattungsmerkmal, eigentlich darf er ja noch nicht einmal die Zeremonie meistern."Adelheid und ihre Mörder" ist ein sehr beliebte Unterhaltungsserie zur prime-time. Dieser Ausschnitt stammt aus der Folge „Tod in H-Moll", die zur dritten Staffel gehört, 2000 erstmalig ausgestrahlt, im Sommer 2003 bereits wiederholt.
Die Serie lebt von der wunderbaren Evelyn Hamann als Polizei-Sekretärin Adelheid.
In diesem Fall kommt der Pfarrer dann aber doch noch zu Wort. Stunden nach den Ereignissen der Eingangssequenz ist er immer noch mit Talar und schmucker Halskrause bekleidet. Beim Verhör spricht er von Landeskirchenamt und Bischof. Die Kirche müsse neu „konsekriert“ werden. Etwas fassungslos steht er dann seiner Tochter gegenüber, die - wie einige andere Frauen auch - ein Verhältnis mit dem nun verblichenen Organisten hatte, und auch seiner Haushälterin, die die Dinge selbst in die Hand genommen hat.Wirkliches Interesse besteht an den Figur des Pfarrers nicht. Statt dessen geht es um Adelheid, die damit beschäftigt ist, an ihrem etwas trotteligen Chef vorbei den Fall zu lösen und nebenbei das Brautpaar wieder zusammen zu bringen, so dass der Pfarrer am nächsten Tag dann doch noch bei der nachgeholten Trauung zu Wort kommt, übrigens ohne erneute „Konsekration“ der Kirche.
Der Pfarrer ist hier Ausstattungsgegenstand zur Bebilderung der Wechselfälle des Lebens. Natürlich spiegelt sich darin wieder, wie und zu welchen Anlässen Volkskirche wahrgenommen wird. Das Beerdigungs- oder Trau-Gespräch und das verkündigende Wort spielen dabei selten eine Rolle. Aber ohne Pfarrer ist eigentlich kaum eine Hochzeit oder eine Beerdigung denkbar. Übrigens: Taufen gibt es vergleichsweise selten zu sehen.
IV. Der Vater
Das skandinavische Kino bietet die interessantesten Pfarrersgestalten, und das durch Generationen von Filmemachern hindurch.
Sonntagsengel, Norwegen 1996, Regie: Berit Nesheim
Der für das Fernsehen produzierten Jugendfilm „Sonntagsengel“ spielt in der norwegischen Provinz der 50er Jahre.. Es geht um die Pfarrerstochter Maria, ca. 14, und ihren Vater. In der Eingangssequenz im Pfarrhaus am Sonntagmorgen ist Maria am Klavier zu sehen. Der Vater klappt den Klavierdeckel zu und sagt: „Wir spielen am Sonntag kein Klavier.“ Beim vom Vater gehaltenen Gottesdienst macht sich Maria Gedanken darüber, dass sie bis zur Konfirmation 640 Stunden auf ihrem Platz in der Kirchenbank zubringen muss. Mit strenger Mine fordert der Vater die Predigthörer zur Freude auf. Beim sonntäglichen Mittagessen muss Marias Bruder wegen eine Lappalie das Esszimmer verlassen.
„Wir spielen am Sonntag kein Klavier“, schon mit dieser Exposition ist eigentlich alles klar. Ein strenges Regiment führt der Pfarrer-Vater, geprägt von jener typisch norwegischen Mischung pietistisch-orthodoxer Religiosität lutherischer Konfession. Da agiert ein Vertreter einer kleinbürgerlich geprägten Amtskirche als Hüter von Moral und Glauben. Und wenn er von Freude predigt, dann herrscht Druck und Gesetzlichkeit. Einmal sagt Maria: „Vater lebt für seine Gemeinde, er liebt sie und sie liebt ihn. Wir existieren, damit der Pfarrer ein Zuhause hat, einen Ort, wo er essen und schlafen kann und Frieden findet. Gottes Liebe ist seltsam.“
Maria verlässt den ihr zugedachten Ort. Sie entdeckt ihren Körper, entdeckt den Körper einer erwachsenen Freundin, entdeckt das andere Geschlecht. Sie opponiert. Sie opponiert gegen den Vater und sie opponiert damit gegen die Kirche. In Filmen über Pfarrer-Väter fallen der Vater-Kind-Konflikt und der Konflikt mit der Kirche zusammen. Maria opponiert damit gegen die sie umgebende Gesellschaft, die von der Moral der Kirche und damit des Vaters getragen ist. Maria will dann auch zunächst nicht konfirmiert werden, sicherlich der Albtraum eines jeden Pfarrers mit eigenen Kindern. Sie tut es dann doch, aber zum Abendmahl kommt sie schon nicht mehr. Maria schmeckt den Geschmack der Freiheit, einer Freiheit, die so ganz und gar die Grenzen dessen sprengt, was der Vater als christlich versteht. Aber weil Maria nur diese bornierte Moral als christlichen Glauben kennen gelernt hat, muss sie die Gebäude des Glaubens verlassen.
Maria entdeckt auch die Doppelmoral des Vaters, denn der hat es wohl mit der ehelichen Treue nicht ganz so genau genommen und ein Verhältnis mit der Gemeindehelferin begonnen, einer ihr zugetanen erwachsenen Freundin. Diese fordert beim Pfarrer die Liebe ein, der verweigert sich. Für sie bleibt nur der Weg in den Tod. Maria ahnt zunächst nur die Hintergründe, wird allmählich zur Wissenden. Damit ist der Bruch mit dem Vater und dem, was er repräsentiert, endgültig. Im Schlussbild sucht Maria das Weite - im doppelten Sinne - mit gelöstem Haar, endlich lachend.
V. Auch Film-Pfarrer sind anders - pastoraltheologischer Exkurs
Auch Film-Pfarrer sind anders. Mir scheint der pastoraltheologische Entwurf des „mittleren“ Manfred Josuttis nach wie vor geeignet, um auch die Darstellung von Film-Pfarrern genauer wahrzunehmen: „Der Pfarrer ist anders“[3] von 1982: Der Pfarrer ist anders - das ist für Josuttis Feststellung (so wird er wahrgenommen und nimmt sich selber wahr), Absichtserklärung (er will anders sein) und Forderung (er soll anders sein), es kann auch Vorwurf sein (weil er anders ist, wird er abgelehnt). Josuttis geht von drei Dimensionen pastoraler Existenz aus, die aufeinander bezogen sind und die sich wechselseitig interpretieren: sein Beruf, der Glaube und die Person. An den Schnittpunkten dieser drei Dimensionen entstehen die Probleme des Pfarrerberufes und - so füge ich hinzu- : dort entsteht das, was die Pfarrerspersönlichkeiten im Film interessant macht. Oder anders gesagt: Dort „stolpern“ sie und dieses Stolpern und wie sie damit umgehen macht sie zu für Filme spannenden Figuren.
Der Pfarrer und das Amt: Prophetisch möchte er wirken und wird doch oftmals auf die Rolle als Priester festgelegt. Der Pfarrer und die Gemeinde: das rechte Verhältnis zu der ihn umgebenden Gemeinde zu finden, fällt schwer. Der Pfarrer und die Macht: immer wieder ist es oftmals uneingestandener Machtgebrauch und -missbrauch, der zu Problemen führt. Der Pfarrer und die Frömmigkeit: wie steht es mit seiner Frömmigkeit, seinem gelebten Gottesverhältnis. Glaubt er, was er sagt? Und natürlich immer wieder: Der Pfarrer und die Sexualität. Nicht unbedingt, weil „sex sells“, sondern weil hier in besonderer Weise Moral-Erwartungen (eigene und von außen kommende) mit dem Leben zusammen stoßen.
Marias Vater in Sonntagsengel ist nicht nur grausamer Despot. Er ist auch tragische Figur. Er scheitert in seinen Beziehungen, kann nicht zu seinen Gefühlen stehen, weil er es nicht darf, sich selbst verbietet, verbieten muss.
Von dem Anderssein des Pfarrers ist die Pfarrersfamilie mit betroffen.
Maria wird von Gleichaltrigen als Pfarrerstochter gesehen und herausgefordert. Ihr drücken sie ein Kondom in die Hand, das sie für einen Luftballon hält, und sie wird für das Halten des Kondoms zur Rede gestellt.
Man mag sich bei den Filmpfarrern über manche Überzeichnung, auch manches falsche Detail oder eine einseitige Verengung des Fokusses ärgern, zugestehen muss man der großen Mehrzahl der Filme doch ein Sensorium für das „Anderssein“ des Pfarrers, für den Druck, der auf den Individuen liegt, und die damit verbundenen inneren Konflikte.
Josuttis interessiert in seinem Entwurf vor allem die Innenperspektive des Pfarrers: Was „macht“ das Anderssein mit dem Pfarrer? Wie geht er damit um? Kann er dazu stehen und zu einer stimmigen Existenz gelangen?
Isolde Karle wählt eine anderen Ausgangspunkt. In ihrem pastoraltheologischen Entwurf „Der Pfarrberuf als Profession“[4] geht sie mit soziologischem Instrumentarium der Außenperspektive nach.[5] Weiterführend ist ihr Ansatz insbesondere , wenn sie den sozialen Ort und die Funktion des Pfarrberufes herausarbeitet. So gelten für den Pfarrberuf spezifische Verhaltenszumutungen, die die Glaubwürdigkeit der Person betreffen. Es geht dabei um ein für den Beruf unverzichtbares Vertrauen.
Es gibt besondere Erwartungen an den Pfarrer von Seiten der Gemeinde. Die Menschen wollen dem Pfarrer vertrauen können. Ethisches Fehlverhalten wiegt schwerer, wenn es sich um einen Pfarrer handelt. Gemeinde erwartet keinen ethischen „superman“, aber eben doch, dass er „mit seinem Leben dem Evangelium nicht ins Wort fällt“. Horst Hirschler hat[6] von der Erwartung einer „gebremsten Sündhaftigkeit“ und einer „mittleren Anständigkeit“ gesprochen. Diese Erwartungen unterstelle ich auch Rezipienten eines Films, in denen ein Pfarrer auftaucht.[7] An ihn werden auch im Film andere Maßstäbe angelegt. Ungerechtes Verhalten, Machtmissbrauch, Unaufrichtigkeit in Sachen Liebe und Sexualität oder gar sexueller Missbrauch werden auch einem Pfarrer im Film stärker verübelt als einem Bäcker oder einem Lagerarbeiter. Der Pfarrer müsste doch eigentlich wissen, was sich gehört. Umgekehrt gewendet: Andere fühlen sich in ihren Einstellungen bestätigt, wenn ein Pfarrer über Fehlverhalten stolpert.
VI. Ingmar Bergmann
Der Film Sonntagsengel steht in jener Tradition insbesondere skandinavischer Filme, in denen die Filmemacherinnen und Filmemacher sich mit dem Pfarrer als autoritärer Vaterfigur auseinander setzen.
Am bekanntesten und vollendetesten ist in diesem Zusammenhang sicherlich Ingmar Bergmanns spätes Meisterwerk Fanny und Alexander.
Fanny und Alexander, Schweden/BRD/Frankreich 1982, Regie: Ingmar Bergmann
Fanny und Alexander sind Geschwister mit einer wunderbaren, freien Kindheit. Als der Vater stirbt, heiratet die Mutter neu, einen lutherischen Bischof. Dieser führt ein despotisches Regiment. Es beginnt eine Leidensgeschichte der Kinder. Sie werden in ein Zwangssystem gepresst, schlechtes Gewissen wird zum grausamen Erziehungsmittel funktionalisiert.
Erst mit Bergmanns Autobiographie „Mein Leben“[8] ist deutlich geworden, wie autobiographisch dieser Film ist. Bergmann stammt selbst aus einer Pfarrersfamile. Der Filmwissenschaftler Thomas Koebner[9] hat herausgearbeitet, dass Bergmanns Filme um zwei Themen kreisen: die Familie - ihre Ambivalenz, ihr Scheitern - und der Verlust des Glaubens, das Schweigen, das bleibt, wenn Menschen nach Antworten suchen. Und beides hat miteinander zu tun und mit Bergmanns Vita.[10] Entgegen aller Vereinnahmungsversuche kirchlicher Deuter sei Bergmann ein Ungläubiger, ein Ungläubiger der mit dem Glauben ringe. „Die Wohnung des Herrn verlassen“ heißt bezeichnenderweise der Artikel Koebners über Bergmann im FilmDienst.
Ein Film darf hier nicht fehlen : Licht im Winter, sicher nach wie vor einer der eindrücklichsten Filme zum Thema:
Licht im Winter, Schweden 1962, Regie: Ingmar Bergmann.
Hauptperson ist der lutherische Pfarrer Tomas Ericson (Gunnar Björnstrand). In der schwedischen Provinz erlebt er zwischen zwei Gottesdiensten die Qual seines Glaubensverlustes. Nach dem Tod seiner Frau ist er auch zu menschlicher Beziehung kaum noch fähig. In einer zentralen Szene kommt der junge Ehemann Jonas Person (Max von Sydow) mit Suizid-Gedanken zum seelsorgerlichen Gespräch zu Tomas, geschickt von seiner Ehefrau. Motiv für sein nicht-mehr-leben-Wollen: er hat gelesen, dass die Chinesen eine Atombombe bauen. In dem Gespräch macht der Pfarrer unter dem Vorwand, seinem Gegenüber helfen zu wollen, immer mehr sich selbst zum Thema. Er verbalisiert seinen Glaubensverlust. Jonas wendet sich ab und verlässt den Pfarrer, ohne verstanden worden zu sein. Die junge Lehrerin Märta (Ingrid Thulin) kommt, sie liebt Tomas. Bisher hatte er sie immer wieder zurückgewiesen, in einem Gespräch deutet sich nun zum ersten Mal so etwas wie Beziehungsfähigkeit an. Aber dann kommt die Nachricht, Jonas habe sich am Fluss erschossen.
Dieser Pfarrer ist nun gründlich zu Fall gekommen: Der Pfarrer und der Glaube. In formaler auf das Wesentliche konzentrierter Strenge zeigt uns Bergmann diese verzweifelten Gestalten. Die Leere an Sinn findet in der asketischen Inszenierung ihr ästhetisches Ausdrucksmittel. An Gott glauben kann Tomas nicht mehr seit dem Tod seiner Frau. In seinem Gesicht spiegelt sich der Zweifel in eindrücklicher Weise. Fast sieht es dann kurze Zeit so aus, als habe ihn das Geständnis seiner Glaubenszweifel im Gespräch befreit. Fast sieht es so aus, als könne er durch die Tür gehen, die Märta ihm öffnet, als habe er seine Fähigkeit zu lieben wieder gewonnen. Aber dann erfährt er von seinem Versagen im Beruf. Das Seelsorge-Gespräch hatte er zur Darstellung seiner Seelenfinsternis missbraucht. Und Jonas Person lässt das Geständnis über sich ergehen, wendet sich ab, fährt davon und - tötet sich. Diese Nachricht macht alles wieder zunichte. Hoffnung gibt es nicht mehr.
Nur in einem Bereich kann Tomas noch funktionieren. Wie zu Beginn des Films steht auch am Ende ein lutherischer Gottesdienst, den Tomas in korrekter Strenge leitet. „Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth. Alle Lande sind seiner Ehre voll.“ - die letzten Worte, wie schrecklich.
VII. Schuld
Ein Pfarrer, der schuldig wird und sich seiner Schuld bewusst wird, spielt auch in Wim Wenders Der scharlachrote Buchstabe eine Rolle.
Der scharlachrote Buchstabe, BR Deutschland/Spanien 1972, Regie: Wim Wenders
Amerika, zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts, eine kleine puritanische Stadt. Hester (Senta Berger) ist eine Ausgestoßene. Seit Jahren schon gibt sie den Namen des Vaters ihres unehelichen Kindes Pearl (Yella Rottländer) nicht preis, muss dafür außerhalb des Ortes wohnen, wird angefeindet, muss den roten Buchstaben tragen und wird einmal im Jahr an den Pranger gestellt. Man ahnt es mehr und mehr: Vater des Kindes ist der junge Dorfpfarrer Dimmesdale(Lou Castel) , der sich aber nicht zu seiner Sünde bekennt, bekennen kann, bekennen will.
In einer Szene schlüpft das Kind Pearl in das Haus des Gouverneurs. Dort sitzen Honoratioren beisammen, darunter der alte Pfarrer Wilson. Er soll prüfen, ob Pearl auch im christlichen Glauben mit katechetisch korrektem Wissen erzogen wird. Obwohl ihre Mutter ihr zuvor die kirchlich korrekte Antwort gesagt hatte, antwortet Pearl auf die Frage, wer sie erschaffen hat: „Ich bin nicht geschaffen. Meine Mutter hat mich vom Apfelbaum gepflückt.“ Daraufhin soll das Kind der Mutter weggenommen werden. Der hinzukommende junge Pfarrer Dimmesdale, der heimliche Vater des Kindes, wirkt mäßigend: „Gott gab ihr das Kind und er gab ihr auch den mütterlichen Instinkt. ... Dieses Kind ist dazu bestimmt, die Mutter am Leben zu erhalten. ... Es wird die Mutter an die größte Sünde ihres Lebens erinnern. Wir wollen die beiden beieinander lassen, so wie Gott es gefügt hat.“ Es gelingt ihm schließlich, die Entfernung des Mädchens von der Mutter zu verhindern. Und doch macht er einen traurigen, einen verzweifelten Eindruck.
Wim Wenders, einer wichtigsten Protagonisten des „neuen deutschen Films“ der 70er Jahre, zeigt ein schonungsloses Portrait der puritanisch geprägten Gesellschaft. Und er zeigt einen in sich zerrissenen Pfarrer. Er kann nicht zu seiner Vaterschaft stehen. Er versucht, zu mäßigen, ohne in den Verdacht zu geraten und ohne die geltenden moralischen Standards zu verraten. Er spricht von der „Sünde“ der Mutter und verschweigt sein eigene. Seine Schuld macht ihn - auch körperlich - krank. Aber was ist seine Schuld: Die Beziehung mit Hester oder, dass er zu ihr nicht stehen kann? Später ist zu sehen: auch er trägt den Buchstaben als ein Brandmal am Leib. Der Pfarrer - zerrissenen zwischen seiner Liebe und seinem Beruf. Der Pfarrer und die Sexualität.
VIII. Breaking the waves
Was Fanny und Alexander für das Luthertum ist, ist Lars von Triers Breaking the Waves von 1996 für die Reformierten.
Breaking the Waves, Dänemark 1996, Regie: Lars von Trier
Der Film spielt Anfang der 70er Jahre in einem kleinen Ort an der unwirtlichen Nordwestküste Schottlands. Hauptfigur ist Bess. Sie liebt Jan, einen Mann von einer Öl-Bohrstation. Erst der Ältestenrat der reformierten Kirchengemeinde entscheidet nach einem Verhör von Bess, ob sie Jan heiraten darf. Nach der Hochzeit haben beide eine ausgelassene Zeit. Als Jan wieder auf der Bohrstation arbeiten muss, wird Bess die Zeit unerträglich lang, sie betet um seine schnelle Rückkehr. Er kehrt zurück, aber als Folge eines Unfalls und querschnittsgelähmt, zu Liebe nicht mehr fähig. Auch emotional verweigert er sich ihr, verlangt schließlich von ihr, dass sie mit anderen Männern schläft. Bess prostituiert sich, versteht ihren diesbezüglichen Einsatz als Opfer für Jan. Der dörflichen Gemeinschaft gilt sie als Hure und wird entsprechend diskriminiert. Als sie auf einem Schiff brutal vergewaltigt wird, soll sie in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden, entflieht aber unterwegs. Sie kommt wieder in ihr Dorf, klopft bei ihrer Mutter an der Tür an. Diese lässt sie aber nicht herein. Sie irrt weiter durch die Straßen, verfolgt von Jugendlichen, die sie verspotten und mit Steinen nach ihr werfen. Schließlich fällt sie vor der Kirche, bleibt bewusstlos liegen. Der Pfarrer kommt, vertreibt die Jugendliche mit dem Hinweis auf das nahe Gotteshaus. Aber auch er wendet sich ab, hilft der Hilfebedürftigen nicht. Erst als die Schwägerin und Freundin sich um sie kümmert, gelangt sie wieder zu Bewusstsein.
Der Däne Lars von Trier ist der maßgebliche Initiator der Dogma-Bewegung, Breaking the Waves ist der letzte „Vor-Dogma-Film“, arbeitet aber schon mit den entsprechenden Stil-Elementen. Mit der bewegten Handkamera kommen wir den Personen recht nah. Die Kamera hat einen Ort in dem Geschehen. Es ist, als sei die Kamera eine weitere Person in der Szene. Der Zuschauer wird emotional in das Geschehen mit hineingezogen, identifiziert sich mit dem beobachtenden Teilnehmer der Szene.
Innerhalb weniger Minuten wird eine Gegengeschichte zu drei zentralen Jesusgeschichten erzählt: Die Mutter nimmt die verlorene Tochter nicht auf (Lukas 15). Die Ehebrecherin wird gesteinigt (Johannes 8). Und der Priester, der gerade noch die Steine Werfenden mit dem Hinweis auf die Nähe der Kirche vertrieben hat, schaut die Hilfebedürftige an, zögert, und wendet sich ab (Lukas 10).
Klaas Huizing hat in dem zweiten Band seiner Ästhetischen Theologie „Der inszenierte Mensch“[11] eine Medienanthropologie vorgelegt. Zur Interpretation von Erfahrungen, die Rezipienten mit den Medien - also etwa einem Spielfilm - machen, führt er den Begriff der Geste ein: „Christlich religiös sind diese ästhetischen Erfahrungen, wenn das biblisch archivierte Gestenvokabular von Toleranz und Solidarität in neuer Gestalt berührt und zu einer Lebenswende herausfordert.“[12] Huizing kann auch von der “in Jesus inkarnierten Liebesatmosphäre“[13] sprechen. Sie kann in Gesten ausgedrückt werden und beim Betrachter Erfahrungen und Konversionen hervorrufen. Eine Nähe zum christlichen Glauben ist gegeben, wenn die Gesten an einer „Kultur der Güte“ orientiert sind.
Es ist - wie in so vielen Filmen - nicht der offizielle Vertreter der Religion Jesu, der die Gestik der Liebe und Toleranz zur Darstellung bringt. Es ist in dieser Szene etwa Doro die Krankenschwester, Schwägerin und Freundin von Bess. Das moralische Versagen des Pfarrers und auch der anderen Vertreter der Gemeinde empört die Zuschauenden, es stört auf, lässt sich schämen oder alle Vorurteile bestätigt finden, je nach Standpunkt.
Noch ein konfessionelles Streiflicht: dieser Pfarrer ist in seiner Macht relativ weit durch seinen Ältestenrat eingeschränkt. Zum Ende des Films entscheidet das Presbyterium, ob die inzwischen verstorbene Sünderin bestattet werden darf. Als er die Entscheidung den draußen wartenden mitteilt, ist dem Pfarrer anzumerken: er ist zufrieden, dass er sie bestatten „darf“, aber er „muss“ sie als Sünderin behandeln und bei der Trauerfeier wird dann auch eine Gerichtspredigt gehalten. Aber: der wundersam genesene Ehemann von Bess und seine Freunde haben in einer Nacht-und-Nebel-Aktion den Sarg für die offizielle Trauerfeier mit Ballast beladen und bestatten selbst den Leichnam von Bess auf See. Dort geschieht dann noch einmal ein Wunder: es läuten Glocken vom Himmel. Glocken sind in der strengen Welt des calvinistischen Schottland untersagt. Jan und seine Freunde werden mit ihrer Bestattungsaktion zu den wahren vom Himmel nachträglich legitimierten Priestern.[14]
IX. Paradigmenwechsel: Oh Gott Herr Pfarrer
Nun aber genug der tiefgründigen traurig oder wütend machenden Pfarrersgestalten. Der Paradigmenwechsel im Pfarrerbild der 70er- und 80er-Jahre schlägt sich auch im Film nieder. Waren die Pfarrer zuvor zu fürchtende oder zu bemitleidende Gestalten, mutieren sie nun zu Sympathieträgern. Der Pfarrer wird lockerer, steht im Leben, kommuniziert kompetent, genießt Vertrauen, er wird menschlicher.
Einen Meilenstein für das Pfarrerbild in Film und Fernsehen stellt sicherlich die ARD-Serie "Oh Gott, Herr Pfarrer" 1988 dar, nach dem Drehbuch von Felx Huby vom Süddeutschen Rundfunk produziert.[15] Jetzt geht es also um Pfarrersgestalten, die von den Zuschauenden mit real existierenden zeitgenössischen Gemeindepfarrern identifiziert werden können und in denen sich auch Pfarrerinnen und Pfarrer leichter wiedererkennen können. Die Serie wurde ein riesiger Erfolg, die Einschaltquoten lagen zum Teil bei 40 %.
Oh Gott, Herr Pfarrer, Folge 2: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden[16], ARD 1988
Der schwäbische Kleinstadtpfarrer Wiegandt (Robert Atzorn) muss sich um vieles kümmern. Mit der Küsterin verhandelt er über den Blumenschmuck. Zu dem Gespräch mit dem Kirchenvorsteher über Baumaßnahmen für einen neuen Kindergarten erscheint er verspätet. Er erfährt aber, dass der Weinhändler Dörrach, der ein Kirchenfeind ist und sein Land für die Erweiterung des Kindergartens nicht zur Verfügung stellen will, todkrank ist. Als Seelsorger geht er zu Dörrach in den Laden. Dieser lehnt die Kirche und alle Pfarrer ab. Der Grund liegt lange zurück: Nach dem Krieg hat der damalige Pfarrer ihn als einzigen bei der Entnazifizierung nicht entlastet.
Auch Privates wird gezeigt: Pfarrer Wiegandt bespricht mit seiner Frau ihre Rolle in der Familie. Die Tochter bringt ihren französischen Freund vom Studium mit nach Hause und will selbstverständlich mit ihm übernachten. Wiegandts Bedenken werden von der Familie kommentiert: „Mit solchen Pfarrerssprüchen kannst du doch in dieser Familie nicht kommen.“
Wiegandt wird zu dem sterbenden Dörrach gerufen. In der Kirchengemeinderatssitzung wird über den Kindergartenneubau gesprochen. Wiegandt will aber die geschäftliche Angelegenheit nicht mit der seelsorgerlichen verquicken. Er weigert sich auch, sich bei der Formulierung der Traueransprache durch die Interessen der Kirchengemeinde beeinflussen zu lassen.
Na, das ist pfarramtlicher Alltag: in einer Viertelstunde Film geht es für Pfarrer Wiegandt um den Blumenschmuck in der Kirche, um den Umgang mit hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeitern, er hat ein Problem mit der Zeiteinteilung („der Pfarrer und die Zeit“). Es geht um die Ausschreibung von Bauarbeiten. Er ist abhängig von einem Menschen, der Pfarrer hasst, und fühlt sich diesem zugleich seelsorgerlich verpflichtet, auch wenn dieser den Beistand nicht zu brauchen meint. Er wird mit Übertragungsphänomenen konfrontiert und wird beschimpft; er bleibt Seelsorger, will sich selbst aber auch nicht verleugnen. Es geht um Nazivergangenheit und um die Strukturierung des Familienlebens, seine Frau sucht sich andere Rollen als die der traditionellen „Pfarrfrau“ , nebenbei ist das Auto noch zu reparieren und das Pfarrerbild des Lovers seiner Tochter positiv zu enttäuschen. Für einen Sterbenden lässt er alles stehen und liegen. Wieder heimgekehrt denkt er über den eigenen Tod nach und fragt nach wichtigen Anrufen (welcher Partner eines Pfarrers / einer Pfarrerin kennt diese Frage nicht), Kirchenvorstandsarbeit ist von Seelsorge zu unterscheiden.
Und mit der Frage nach der Sexualmoral der Pfarrerstochter, mit der zunächst sein Schwiegervater - der pensionierte Pfarrer des Städtchens Merkle - konfrontiert wurde, muss er sich bald auch noch auseinander setzen und er vertritt dabei eine doppelte Moral: Für Tübingen gilt eine andere als für Talberg. Dort darf sie, was sie hier nicht soll. Dazu muss Wiegandt sich noch die respektlosen Sprüche seiner Frau und seiner Kinder anhören.
Auch wenn in dieser Serie der Pfarrer am ehesten von den bisherigen Beispielen als „Mensch“ mit hoher Glaubwürdigkeit, Authentizität und einem Identifikationsangebot gezeigt wird, der Pfarrer ist und bleibt anders. Er muss die verschiedenen Ansprüche, die sein Beruf, sein Glaube, seine Person mit Privatleben an ihn stellen, austragen. Aber es gelingt ihm, irgendwie, vielleicht weil er mit sich identisch ist. Pfarrer Wiegandt ist dabei von Verfehlungen und manchmal auch faulen Kompromissen nicht ausgenommen.
Der Pfarrer ist anders - das zeigen auch die zum Teil recht empörten Publikumsreaktionen auf den Schluss dieser Folge, als Pfarrer Wiegandt nach der Beerdigung wieder ins Ehebett kriecht, in eindeutiger Absicht.[17]
Die Mediensoziologin Ruth Ayaß hat aufgezeigt[18], dass die Serie auf der einen Seite den Konventionen der Familienserie Genüge tut, auf der anderen Seite dramaturgische Elemente erfindet, die der Besonderheit des Stoffes gerecht werden. Da werden Akte gezeigt, die Fernsehserien bis dahin relativ unbekannt waren: seelsorgerliche Gespräche, Gebet und Gottesdienst. So spielt etwa die Kirchenmusik eine besondere Rolle, da singen Chöre, wird Orgel geübt und Menschen werden im Gemeindegesang vereint.
Böse Menschen gibt es eigentlich nicht, allenfalls Menschen mit ethisch problematischem Verhalten. Konfliktpartner des Pfarrers werden am Ende jeder Folge nicht als schlechte Menschen ausgemustert sondern in der Regel in ein versöhnliches Ende integriert. Da wird die Rechtfertigungsbotschaft und die reformatorische Unterscheidung von Person und Werk manifest, und beides hilft, mit Konflikten umzugehen.
Handlungen und Auseinandersetzungen entstehen zumeist außerhalb, Austragungsorte und Haupthandlungsorte sind dann das Gebäudeensemble von Kirche, Gemeindehaus und vor allem Pfarrhaus. Gemeindliches spielt in das Privatleben hinein und das Privatleben hat öffentliche Relevanz. Religiöse Inhalte werden auch in scheinbar profanen Zusammenhängen diskutiert. Es scheint fast so, als setzten sich die Protagonisten der Pfarrersfamilie quasi exemplarisch für alle mit den religiösen und moralischen Fragen auseinander. Interessant ist auch, wie die verschiedenen Handlungsfäden miteinander verwoben sind: es gibt meist eine relativ ernste Haupthandlung - in Folge 2 die Auseinandersetzung mit dem sterbenskranken Kirchenhasser und seinen Angehörigen - und eine oder mehrere Nebenhandlungen, die zumeist recht humorvoll abgehandelt werden - hier der Umgang mit der Sexualität, der eigenen und der der Tochter. Beide Handlungsfäden entwickeln sich abwechselnd weiter, berühren sich aber relativ wenig. Durch diese Dramaturgie werden auch ernste Themen im Format einer Unterhaltungsserie im Hauptabendprogramm behandelbar. Der ursprünglichen Absicht des Drehbuchautors, nur eine Unterhaltungsserie schreiben zu wollen, stehen die unerwartet große Resonanz beim Publikum und vielfältige Reaktionen gerade auf diese Serie gegenüber. Das hat auf der einen Seite dazu geführt, dass im Fernsehen Sendungen mit kirchlichen Protagonisten eine gewisse Selbstverständlichkeit geworden sind, auf der anderen Seite haben Verantwortliche in den Kirchen entdeckt, dass solche Sendungen zur Imagewerbung beitrragen können.[19]
X. Wiederkehrende Motive und neue Wendungen - Italienisch für Anfänger
Wieder nach Skandinavien: Italienisch für Anfänger, ein dänischer Film, Regisseurin ist Lone Scherfig, Überraschungserfolg bei der Berlinale 2001 und auch mit Kultstatus beim Publikum. Er gehört zu den Dogma-Filmen, befolgt also bestimmte Regeln: Handkamera, kein künstliches Licht, Ton nicht unabhängig von den Bildern, Einheit von Ort und Zeit. Natürlich gibt es auch bei diesem Film Verletzungen der Regeln.[20] Italienisch für Anfänger gilt als die erste Dogma-Komödie.
Italienisch für Anfänger, Dänemark 2000, Regie: Lone Scherfig.
In der Anfangsszene kommt der junge Aushilfspfarrer Andreas in seine erste Gemeinde. Die Küsterin zeigt ihm die Kirche und führt ihn in die Gemeindesituation ein. Am Ausgang begegnen sie dem bisherigen Pfarrer Wredmann, der Andreas nur mürrisch begrüßt.
Drei Motive, die in vielen Pfarrersfilmen vorkommen, werden von dem klugen Drehbuch miteinander kombiniert und weitergeführt:
1. Motiv: Ein junger Pfarrer kommt in seine erste Gemeinde. Da ist vor allem Unsicherheit, da ist die Frage, ob das in der Ausbildung Gelernte auch wirklich für den Beruf taugt. Da sind auch Gemeinden mit Erwartungen, Strukturen, Fettnäpfchen. Hier wird man Andreas den ganzen Film über seine Unsicherheit anmerken. Er findet sich erst langsam in seine Rolle. Einmal sagt einer zu ihm: „Du willst Hirte der Gemeinde sein. Du weißt ja nicht einmal, ob du hereinkommen willst oder nicht.“ Erst langsam beginnt er mit seiner beruflichen Rolle identisch zu werden.
2. Motiv: Der alte und der junge Pfarrer. Ein beliebtes Motiv ist der Konflikt zwischen dem alten Pfarrer und dem neuen Pfarrer. Der Alt-Pfarrer in diesem Beispiel hat die Gemeinde zugrunde gerichtet. Später erfahren wir auch noch, dass er gewalttätig geworden ist. Das Junior-Senior-Modell war auch schon in „4 Geschichten über 5 Tote“ zu sehen, dort mit Fokus auf den Altpfarrer. In der Serie „Oh Gott, Herr Pfarrer“ war der Konflikt zwischen den Pfarrersgenerationen auf humorvolle Weise in die Pfarrfamilie integriert. Altpfarrer Merkle ist der Schwiegervater von Pfarrer Wiegandt, so dass die Konflikte in theologischen und moralischen Fragen am Küchentisch ausgetragen werden können. Eine Potenzierung dieser Konstellation kam in der Serie noch in der Gestalt des erzkonservativen Vikars Keuerleber ins Spiel, der selbst Altpfarrer Merkle zu reaktionär war.
3. Motiv: Die Frau des Pfarrers ist tot oder abwesend. Die Mortalität von Pfarrfrauen im Film ist immens, auch wenn alle Statistik das Gegenteil sagt. Schon die Frau des Pfarrers bei „Adelheid und ihre Mörder“ war vor einigen Jahren gestorben, bei „Licht im Winter“ war die Tod der Frau der Anlass für die Glaubenskrise. Die Liste ließe sich fortsetzen. In „Italienisch für Anfänger“ sind nun sind beide, Andreas und der Ex-Pastor Wredmann, Witwer, aber sie gehen in ganz unterschiedlicher Weise damit um. Wredmann erscheint als ein moderner Wiedergänger von Tomas aus „Licht im Winter“, der angesichts des Todes seiner Frau den Glauben verloren hatte. Verbittert ist er, bedauert sich selbst, Gott habe ihm die Frau genommen, er klagt, findet keinen Weg heraus. Wie in „Licht in Winter“ hat er seinen Glauben verloren. Das ist existentiell. Andreas, der junge Pfarrer, wird immer wieder auf seine Frau angesprochen. Er kann damit umgehen, den Schicksalsschlag in sein Leben und seinen Glauben integrieren und auch seine Beziehungsfähigkeit lernt er wieder.
Nun ist Italienisch für Anfänger nicht nur ein Film über Pfarrer. Es geht um sechs Personen und der junge Pfarrer Andreas ist eine von ihnen. Sechs Menschen, die sich nach und nach im Italienisch-Kurs der Volkshochschule kennen lernen. Sechs Singles, die in ihrer Fähigkeit zu kommunizieren eingeschränkt sind.
Da ist ein zurückhaltender Hotelportier Jörgen und ein jähzorniger Kellner. Da ist die ungeschickte Olympia, der alles herunterfällt und die für ihren alten Vater sorgt, der schließlich stirbt. Da ist die Friseurin Karin, die sich mit ihrer alkoholabhängigen Mutter abmüht, die auch stirbt. Karin und Olympia werden bei der Beerdigung der Mutter entdecken, dass sie Schwestern sind. Da ist die Italienerin Giulia und eben der Pfarrer Andreas.
Die Trauerfeier für Olympias Vater ist Andreas‘ erste Trauerfeier. Zunächst gibt es eine Verwechslung, eine italienische Familie wähnt sich auf der Trauerfeier eines Familienangehörigen und beschwert sich über den falschen Schmuck, bis Andreas das Missverständnis aufklären kann. Nach der Trauerfeier, bei der Olympia der einzige Trauergast ist, gehen Olympia und Andreas zusammen in ein Cafe, lernen sich näher kennen, Sympathie keimt auf. Zum Ende des Gesprächs gibt es einen vorsichtigen Kuss.
Zwei Formen der Kommunikation direkt aufeinander folgend: Gottesdienst und Cafe-Gespräch. Langsam kommen diese - auch für dänische Verhältnisse - spröden Single in Gang. Sie nehmen Kontakt miteinander auf, fangen an, zu kommunizieren, verlieben sich ineinander. Dieser Kuss am Ende ist geradezu eine Eruption der Gefühle. Auch der Pfarrer ist ein eher zurückhaltender Mensch. Manchmal ist er einen Schritt weiter in seiner Kommunikationsfähigkeit und versucht Brücken zu bauen, aber eben auch nur einen Schritt. Vielleicht hat er damit Erfolg, weil sie in ihm einen der ihren sehen, er strotzt nicht gerade vor Selbstvertrauen. Da wachsen Freundschaften, da keimt zarte Liebe, da ist man aber auch verletzlich. Der Pfarrer ist anders, aber nur etwas, nicht viel.
Seelsorge aus dem Hotel-Pool: Andreas wohnt in dem Hotel, in dem Jörgen Portier ist. Andreas schwimmt im Pool des Hotels. Jörgen fängt ein Gespräch über seine Potenzprobleme an. Andreas hört zu, ohne allzu sehr einzusteigen. Jörgen fühlt sich aber doch wohl verstanden. In der folgenden Szene steht er wieder im Talar da: im Weihnachtsgottesdienst der endlich einmal vollen Kirche. Nach dem Gottesdienst verabschieden sich Gemeindeglieder, ermutigen ihn. Anschließend ist er aber dann doch wieder allein.
In Italienisch für Anfänger spiegelt sich volkskirchliche Wirklichkeit, volle Kirchen gibt es zu Weihnachten. Der Pfarrer ist ein Mensch wie andere auch, geschätzt, aber dann doch wieder allein, mit eben solchen Problemen, Beziehung aufzunehmen wie alle anderen auch. Er ist nicht das kommunikative Multitalent, sondern sondern sympathisch unbholfen.
Zum Schluss, da fahren sie alle zusammen nach Venedig, wohin auch sonst, und es bahnt sich da einiges an: Sechs Menschen ergibt drei Paare. Olympia und Andreas träumen schon von Heirat. Und da Olympia wegen ihrer Ungeschicklichkeit keinen Job lange behält, ersinnt sie sich schon eine Zukunft als Pfarrfrau und als Chorsängerin in der Gemeinde. Andreas‘ Kommentar: „Wir können ja die letzten 3 Reihen freihalten - falls du (von der Empore) herunterfällst.“
XI. Die Pfarrerin
Bis jetzt ging es nur um Pfarrer. Das ist nicht männliche Borniertheit, das hat seinen Grund, über den Frauen sicherlich nicht unglücklich sind. Jene tragischen Gestalten, jene Glaubenshelden und Despoten sind allesamt Männer.
Es gibt auch Pfarrerinnen im Film, bisher allerdings nur wenige. Sie kommen erst spät, aber auch Theologinnen im Pfarramt gab es ja erst relativ spät. Funktionspfarrämter, in denen Pfarrerinnen ja zuerst „geduldet“ wurden, erscheinen im Film überhaupt nur sehr selten.[21] Pfarrerinnen im Film sind allesamt Vertreterinnen einer neuen Generation in Pfarramt. Sie sind durchweg Sympathieträgerinnen. Pfarrerinnen tauchen im Film erst auf, als sich das Bild des Pfarrers - gesellschaftlich und in seinem medialen Niederschlag - bereits gewandelt hat: weg vom Despoten, hin zum (etwas anderen) Menschen. Ich vermute, dass es im Film deshalb auch keine Despotinnen und einsame Glaubensheldinnen gibt, solche Figuren mag es in der Wirklichkeit geben, sie bestimmen aber nicht das gesellschaftlich virulente Bild der Pfarrerin.
Da ist Pfarrerin Lenau, die Nachfolge-Serien-Heldin zu Oh Gott, Herr Pfarrer. Das Buch ist ebenfalls von Felix Huby. Die 13 Folgen wurden 1990/91 gesendet, inzwischen zwei Wiederholungen.
Pfarrerin Katharina Lenau (Irene Clarin) tritt ihre erste Pfarrstelle an. Sie hat mit mancherlei Widerständen zu kämpfen. Sie stößt auf Vorbehalte , weil sie eine Frau ist, meistert diese aber. Schon bei einem der ersten Hausbesuche muss sie zwei Stunden lang die Enttäuschung der fast 80-jährigen Jubilarin aufarbeiten, dass der Pfarrer nicht selbst gekommen ist. Nach und nach gewinnt sie aber mit ihrer Ernsthaftigkeit, ihrer Zielstrebigkeit und ihrem subtilen Humor die Herzen der Gemeinde.
Auch familiär ist es nicht ganz einfach für sie: Ihr Mann, ein Architekt, will sich nun ganz und gar nicht auf eine Rolle als Pfarrmann einlassen, ihr Vater ist Atheist. Eine „Serie für‘s Gemüt“ wie Felix Huby selbst zugibt, der übrigens bei beiden Serien von einem Theologen beraten wurde. Pfarrerin Lenau war nicht ganz so erfolgreich wie Hubys erste Pfarrer-Serie, aber vielleicht lag das auch an dem allzu bedeutsamen Blick der Protagonistin.[22]
Pfarrerin Lenau hat die Freuden und Probleme anderer moderner Frauen. Die Pfarrerin im Film steht schon für ein verändertes Bild. Sie steht für Integration: Integration der Gemeinde, Integration von Beruf und Privatem bei gleichzeitiger Abgrenzung. Sie hat die Mehrfachbelastung von berufstätigen Frauen unter einen Hut zu bringen: Beruf, Partner, Kinder (wenn sie denn da sind), Haushalt, Frau-Sein. Stolperfallen werden auch ihr gestellt, sie stolpert auch mal, fällt aber nicht, kann sich - mit einer gewissen weiblichen Eleganz - immer wieder fangen.
XII. Vorsicht - keine Engel. Ist das Anderssein der Pfarrerin anders?
„Vorsicht - keine Engel“ ist eine sechsteilige Fernsehserie (a 15 min) für Kinder, eine Produktion der Kinderfilm GmbH für ZDF/KIKA-Produktion (Erstausstrahlung Anfang 2003), angeregt übrigens durch die EKD, man erhofft sich anscheinend seitens der Kirchenleitung, mit sympathischen Kirchenprofis im medialen Alltagsgeschäft präsent zu bleiben.
Mit ihrem dramaturgischen Konzept knüpft „Vorsicht - keine Engel“ - bei aller gebotenen Kürze - an die Verknüpfung verschiedener Handlungsfäden in Oh Gott Herr Pfarrer an. Es ist aber eine Kinderserie. Erstausstrahlung war übrigens sonntags um 11 Uhr zur besten Kindergottesdienst-Zeit.[23]
Familie Brück zieht aus der Stadt in die ostdeutsche Provinz, Detail: man verwendet Kirchentagshocker als Umzugskisten. Mutter Vicky ist Pfarrerin, Vater Hannes Instrumentenbauer und Kirchenmusiker, Kinder Paula und Lenny frech. Auch sie haben durch ihr Elternhaus eine Sonderrolle im Ort. Anders als bei Lenau erfährt Vicky massive Unterstützung durch die Familie: der Ehemann übernimmt die Kirchenmusik, die Kinder wollen der Mutter die Kirche voll bekommen
Das ganze wird in der ostdeutschen Provinz angesiedelt, in der die Menschen der Kirche ablehnend oder zumindest gleichgültig gegenüberstehen. Die Krise des protestantischen Gottesdienstes, zumindest was die Zahl der Gottesdienstbesucherinnen anbelangt, wird eigentlich in fast jedem Film deutlich. Hier nun kommt - wie auch in „Italienisch für Anfänger“ - eine gewisse gesellschaftliche Marginalisierung der Kirche in dem in weiten Teilen entkirchlichten Ostdeutschland hinzu. Die Pfarrersfamilie ist ein Fremdkörper. Aber ihre Mitglieder leiden darunter eigentlich nicht, wissen die Marginalisierung zu akzeptieren und zu gestalten.[24] Schon der Titel der Serie Vorsicht - keine Engel drückt natürlich augenzwinkernd immerhin die Möglichkeit aus, dass Pfarrerskinder Engel sein könnten. Und durch ihre unkonventionelle Art - eine Pfarrerin in Lederkluft in einem Motorradclub! - und durch eine gewisse Schläue, Beharrlichkeit und Humor gewinnt sie einen Ort in dem setting. In der letzten Folge ist übrigens die Kirche zum Gottesdienst voll.
Auch in der Darstellung dieser Pfarrerinnen drückt sich ein gesellschaftlichen Wandel aus. Sie sind Kinder unserer Zeit. Pfarrerin Vicky ist deutlich geschminkt - etwas was in Sonntagsengel der 14jährigen strikt verboten war.
Sicherlich ist die Pfarrerin auch anders. Aber ist sie noch einmal grundlegend anders anders als der Pfarrer? Über diese Frage herrscht in der theologischen Frauenforschung Dissens.
Da ist auf der einen Seite die Position[25], die von der Differenz der Geschlechter ausgeht und das Anderssein von Frauen im Pfarramt als Chance begreift, mit als dem Weiblichen zugeschriebenen Eigenschaften Pfarramt und Kirche umzugestalten.
Auf der anderen Seite steht da eine Position[26], die ihren Ausgangspunkt vom sozio-kulturellen Gewordensein der den Geschlechtern zugeschriebenen Eigenschaften nimmt. Dem an der Differenz orientierten Ansatz wird vorgeworfen, er zementiere die alten Geschlechterbilder, nur mit anderen Vorzeichen, Geschlechterdifferenz werde zur self-fulfilling prophecy. Stattdessen sollten die zugeschriebenen Unterschiede ihre Bedeutung verlieren und der Blick für die Vielzahl der Möglichkeiten der Geschlechtlichkeit geöffnet werden.
An dieser Stelle kann dieser Disput nicht weiter diskutiert werden. Für die Darstellung der Pfarrerin im Film ist angesichts des vorliegenden Materials nur in aller Vorsichtigkeit sagen: Sie ist bewusst Frau. Sie setzt schon andere Akzente, angefangen von der Aufmerksamkeit für ihr Äußeres bis hin zu einem stärker kooperativ geprägten Führungsstil. Aber auch die Film- und Fernsehpfarrer der 80er und 90er Jahre haben sich da - sicher auch durch den Einfluss von Frauen - grundlegend verändert im Vergleich zu den 50er-/60er- Jahren.
XIII. Emil und die Detektive
Es fällt auf, dass gerade in relativ vielen Kinderfilmen Pfarrerinnen und Pfarrer in Erscheinung treten. So auch in der vierten Verfilmung des Buches „Emil und die Detektive“ von Erich Kästner aus dem Jahr 2000. Geradezu spannend ist, wie sich die deutsche Zeitgeschichte in den in der jeweiligen Gegenwart angesiedelten Kästner-Verfilmungen niederschlägt, von dem Berlin der Weimarer Zeit über die 50er Jahre nun bis in das Berlin des Jahres 2000. Es ist ein multikulturelles Berlin und entsprechend bunt in Herkunft und soziokulturellem Kontext sind auch die Kinder, die ja die Hauptakteure sind; die Erwachsenen sind - bis auf den Dieb - Nebenfiguren. Den Kindern wird knapp ein Herkunftskontext zugeordnet. Die intakte Kleinfamilie gibt es da schon gar nicht mehr.
Emil und die Detektive, Deutschland 2000, Regie: Franziska Buch
Emil Tischbein ist grad am Bahnhof Zoo angekommen und versucht, den Dieb seines Geldes ausfindig zu machen. Gustav hat nun keine Hupe mehr, dafür aber einen Gameboy und eine Mutter, die Pastorin ist, gespielt von keiner geringeren als Maria Schrader. Die beiden sind auf dem Weg zum Bahnhof, um Emil abzuholen, der einige Zeit bei ihnen verbringen soll. Leider sind sie „etwas spät dran“. Pastorin Hummel hatte nicht einmal mehr Zeit, den Talar nach der Trauerfeier auszuziehen. Mit ihrem rasanten Fahrstil missachtet sie gelegentlich auch Vorfahrtsregeln. Als sich ein anderer Verkehrsteilnehmer hupend beschwert, zeigt sie ihm „den Finger“. Worauf Gustav nur bemerkt: „Und wieder tritt einer aus der Kirche aus. Sag mal, musst du eigentlich in dieser Kutte rumrennen? Das erschreckt den ganz normalen Menschen von nebenan.“ Zum Bahnhof kommen sie zu spät, Emil hat bei der Verfolgung des Diebes längst eigene Wege durch Berlin gefunden.[27]
Frau Pastorin Hummel ist etwas schusselig und ziemlich weltfremd. Ihr Sohn Gustav hält den Laden am Laufen, muss einkaufen, sauber machen, den Artikel für die Kirchenzeitung korrigieren und die gutmenschlichen Anwandlungen seiner Mutter ausbaden.
Auch die Pastorin ist Witwe, und - zumindest zu diesem Zeitpunkt - noch nicht zu neuer Liebe fähig. Da wiederholen sich anscheinend Muster von Pfarrersfiguren auch bei einer Pfarrerin im Film.
Eine Szene vom Schluss des Films:
Pfarrerin Hummel schreibt ihre Predigten am Computer. Mit dem gleichen Computer vergnügen sich aber auch Gustav und Gypsi, ein Junge, der sich für Emil ausgibt, damit Emil nach dem Dieb fahnden kann. Leider löscht Gypsi versehentlich die Predigt für den nächsten Sonntag. Aber Gustav kennt seine Mutter, die predigt „sowieso immer nur über Gerechtigkeit“, ganz Kind ihrer Sozialisation. Was liegt da für die Jungs näher, als ihr eine neue Predigt über die Gerechtigkeit zu schreiben, aber nun aus der Perspektive der Kinder. Die Pfarrerin bemerkt den Streich erst während des Predigtvortrags auf der Kanzel. Tapfer hält sie nun die von ihrem Sohn und seinem Freund formulierte Kinderpredigt. Und sie prangert die Ungerechtigkeit an: Ungerecht ist es, wenn Kinder immer brav sein sollen und sich Erwachsene dauernd zanken. Ungerecht ist, wenn Kinder Spinat essen müssen. Und so weiter. Sie bekommt damit den tosenden Applaus insbesondere der Kinder in der gut besetzten Berliner Kirche.
Mit der Figur der Pastorin Hummel und den Geschichten im Pfarrhaus wollte die Regisseurin eine komische Nebenhandlung einfügen.[28] Ohne zu denunzieren, persifliert sie damit Pastorinnen und Pastoren, die sich - insbesondere seit den 70er- / 80er-Jahren - in ihrem Engagement vor allem für Gerechtigkeit und Frieden einsetzen. Pfarrerin Hummel ist ganz durch ihre (politische und soziale) Sozialisation geprägt. Solche Pfarrerinnen und Pfarrer mag es in der Realität des Jahres 2000 kaum noch in Reinkultur geben, auch hier reagiert eine Filmemacherin aber auf eine erlebte Gestalt von Kirche und Amtsträgern.
XIV. Ökumenische Zugabe und das Wirken des Heiligen Geistes
Mit dem Stolpern hat‘s begonnen, mit Stolpern - in gewissem Sinne - soll‘s auch enden: eine Pfarrersgestalt nicht unbedingt aus skandinavisch-deutscher Tradition, eher british, very british.
Vier Hochzeiten und ein Todesfall, Großbritannien 1993, Regie: Mike Newell
Der junge anglikanische Pfarrer Pater Gerald (Rowald Atkinson, „Mr. Bean“) bei seiner ersten Trauung: Vor lauter Aufregung verhaspelt er sich immer wieder, kann kaum die Namen von Braut und Bräutigam korrekt aussprechen. Das Brautpaar hilft aus. Auch bei den agendarischen Formulierungen ist er unbeabsichtigt kreativ: „... durch deinen Sohn Jesus Christus, der mit dir lebt und regiert und mit dem Heiligen Geiz...“, „... im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Schweißes...“ . Die Hochzeitsgäste, etwas bessere englische Gesellschaft, sind zunächst argwöhnisch, dann voller Sympathie für den Geistlichen („...ein Freund der Familie.“ „Ausgezeichnet“), zwischendurch besorgt, später (als er es geschafft hat) erleichtert, und am Ende der Zeremonie brandet frenetischer Beifall auf.
Hier stolpert einer ganz gefährlich, kommt aber nicht zu Fall, wird aufgefangen von der Gemeinde. Liebevoll wird der Pfarrer als Mensch gezeigt, als Mensch mit allzu menschlichen Schwächen, ohne dass die Gestalt bloß gestellt würde. Man beachte auch die besondere Fassung der Trinitätslehre, die uns irgendwie auch darauf weist, dass doch jedes Handeln von Pfarrerinnen und Pfarrern letztlich auf das Wirken des Geistes angewiesen ist. Da kann einer noch so stolpern, dem Geist Gottes steht es frei, dennoch Begeisterung zu wecken.[29]
[1] Vgl. zum Bild katholischer Priester im Film: Michael Graf, Helden, Heilige, Halunken - Priester im Film. Ein Überblick, in: FilmDienst 11/1995; und zuletzt: Elisabeth Hurth, Mann Gottes. Das Priesterbild in Literatur und Medien, Mainz 2003.
[2] Meines Wissens ist der Hochzeitsmarsch in C-Dur gesetzt, aber da wollen wir angesichts des Schicksals des Organisten nicht so genau sein
[3] Manfred Josuttis, Der Pfarrer ist anders. Aspekte einer zeitgenössischen Pastoraltheologie, München 1982.
[4] Isolde Karle, Der Pfarrberuf als Profession. Eine Berufstheorie im Kontext der modernen Gesellschaft, Gütersloh 2001.
[5] Ob man nun das „Anderssein“ des Pfarrers als Krisenerscheinung deuten muss, wie sie es tut, kann an dieser Stelle nicht diskutiert werden.
[6] Im Zusammenhang mit dem „Fall“ des wegen Totschlags an seiner Frau verurteilten Pfarrers Klaus Geyer.
[7] Über die Normativität derartiger Verhaltenszumutungen kann sicherlich diskutiert werden. Dass sie als Erwartungshaltung existieren, ist allerdings kaum zu bestreiten.
[8] Ingmar Bergmann, Mein Leben, Hamburg 1987.
[9] Thomas Koebner, Die Wohnung des Herrn verlassen. Ingmar Bergmann - ein Ungläubiger im Kampf mit dem christlichen Glauben, in FilmDienst 14/1998.
[10] Auch der auf einem Drehbuch Bergmanns basierende von dem Regisseur Bille August realisierte Film „Mit den besten Absichten“ ist eine düstere Auseinandersetzung mit der Erfahrungen seiner Kindheit im Pfarrhaus.
[11] Klaas Huizing, Ästhetische Theologie Band II: Der inszenierte Mensch, Stuttgart Zürich 2002.
[12] A.a.O. S. 35.
[13] Ebd.
[14] All diese nicht-ordinierten, nicht-bestallten Pfarrerinnen und Pfarrer ohne Talar, die in Filmen auftauchen, wären ein eigenes Thema. Dabei ginge es dann darum, den Blick für das Evangelium in der Alltagswelt zu schärfen:
[15] Vgl. zum Folgenden die ausführliche Analyse von Ruth Ayaß, Religion als Unterhaltung. Der Pfarrer als Fernsehheld, in: Religion und Kultur, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie Sonderheft 33/1993.
[16] Die Titel der 13 Folgen waren übrigens Bibelzitate.
[17] Ein Pfarrer erzählt, er hätte wegen des anschließenden Konfirmandenunterrichts nicht an den Kaffeetrinken nach einer Bestattung teilnehmen können. Nach Ausstrahlung dieser Folge von „Oh Gott, Herr Pfarrer“, hätten Trauergäste ihm augenzwinkernd geantwortet: „Und grüßen Sie Ihre Frau!“
[18] Ruth Ayaß, Religion als Unterhaltung. Der Pfarrer als Fernsehheld, in: Religion und Kultur, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderheft 33, Opladen 1993.
[19] Vgl. Elisabeth Hurt, S. 181.
[20] Beim Schauen lässt der Film vergessen, dass ein festes Regelwerk dieses Films vergessen, dass es sich um einen Dogma-Film handelt. Vielleicht liegt das an der feinen Dramaturgie der Geschichten, die miteinander verwoben werden. Vielleicht auch daran, dass das Regelwerk nicht zum überbewertet wird.
[21] Die Pfarrerinnen im Film werden mehr. Der Film In deinen Händen der dänischen Regisseurin Annette K. Olesen, der bei der Berlinale 2004 vorgestellt wurde, zeigt als Hauptfigur die junge Pastorin Anna, die ihren Dienst als Gefängnisseelsorgerin beginnt. Ihr gegenüber gestellt ist die Gefangene Kate, der übernatürliche Fähigkeiten zugeschrieben werden. Anna wünscht sich so sehr ein Kind und wird schließlich – von Kate prophezeit - schwanger. Sie gerät aber mit ihrem Partner in ein moralisches Dilemma, als ihr eröffnet wird, dass ihr Kind möglicherweise behindert ist. Anna zerbricht an der Frage, ob sie das Kind abtreiben soll oder nicht. In dem gemeinsamen Beten des Vaterunsers mit Kate brechen all die Fragen und Zweifel ihrer Existenz auf (Ein Film-Kritiker meinte, ihm sei das Vaterunser noch nie so nahe gekommen). Die dänische Regisseurin kommt in ihrem den Dogma-Regeln verpflichteten Film diesen Frauen mehr als nahe. Ein verstörender Film ohne jedes schmückende Beiwerk. Auf die Frage, warum sie ausgerechnet eine Pastorin zur Protagonistin ihres Filmes gemacht hat, antwortet Olesen bei der Berlinale-Pressekonferenz, dass zum einen auch die gegenwärtige dänische Gesellschaft sich nicht von den Ursprüngen der Ethik im Christentum frei machen könne. Zum anderen habe sie diese Frau in eine extreme Position stellen wollen: moderne Frau und zugleich Pfarrerin. Bemerkenswert: Die Wahl der Figur einer Pfarrerin dient also zur Zuspitzung ethischer Konflikte. Dabei erscheint die Pfarrerin als ein durchaus weltlicher Mensch mit durchaus weltlichen Beziehungen und Problemen. Und sie ist mit der ihr abverlangten Entscheidung überfordert wie andere Menschen auch.
[22] Eine Pfarrerin sagte, Pfarrerin Lenau wirke irgendwie „spirituell traurig“.
[23] Die Serie ist erfolgreich gewesen, die Einschaltquoten waren überraschend gut, inwzischen hat es schon eine Wiederholung gegeben. Und im Jahr 2003 sind bereits die sechse Folgen einer zweiten Stafel gedreht worden, die 2004 ausgestrahlt werden.
[24] Religionslehrerinnen und Religionslehrer mochten die Serie bei einer Fortbildung nicht, Pastorenkinder waren durchaus angetan, gefallen mag ihnen die Frechheit der Filmkinder haben und, dass sie in Lenny und Paula Leidensgenossen entdecken konnten.
[25] Ulrike Wagner-Rau, Ingrid Lukatis
[26] Angelika Wetteer, Isolde Karle
[27] Endlich wissen wir die Hintergründe über die Kirchenaustritte in Berlin und haben nun auch eine besondere weibliche Kommunikationsform im Straßenverkehr wahrgenommen
[28] So sagt sie es selbst im DVD-Kommentar.
[29] Gedankt sei den MitarbeiterInnen des Medienverleihs im Haus Kirchlicher Dienste (Hannover) für die Hilfe durch Beratung und Zurverfügungstellung der Filme.
Erst nach Fertigstellung des Vortrages ist erschienen: Ronald Uden, Statisten oder Helden? Zum Pfarrerinnen- und Pfarrerbild in den Medien, in: Deutsches Pfarrerblatt 12 / 2003, S. 635 - 638. Auch wenn Uden sich nicht auf die Darstellung protestantischer Pfarrer beschränkt, deckt sich seine kompetente Analyse in vielen Punkten mit der des Vf., teilweise sogar bis in Formulierungen hinein, insbesondere in der Typologie des neuen Pfarrerbildes. Einen anderen Akzent setzt Uden allerdings, wenn er das Pfarrerbild in Film und Fernsehen als ein Wunschbild interpretiert. An dieser Stelle möchte der Vf. die Erfahrungen der Filmschaffenden mit Pfarrerinnen - und Pfarrer-gestalten nicht unterbewertet wissen.