Cannes 2024 (2)

Projektionen der Zukunft und Vergangenheit

Schrottkarren nach der Apocalypse

Mit besonderer Spannung wurde in Cannes „Furiosa: A Mad Max Saga“ (Out of Competition) erwartet. George Miller, Autor und Regisseur, gelingt es einmal mehr, Publikum und Kritiker für sich einzunehmen. Der fünfte Teil der Mad Max-Reihe ist angelegt als Prequel zu Millers „Fury Road“ von 2015. Erzählt wird die Jugend der weiblichen Heldin Furiosa. An die Stelle von Charlize Theron ist Anya Taylor-Joy getreten, die in der apokalyptischen Männerwelt des australischen Outbacks weibliches self empowerment praktiziert. Als Kind wird sie von einer grausamen Biker-Horde entführt und gerät in Gefangenschaft des ‚Schwarzen Dementus‘ (gespielt vom weißen Chris Hemsworth), des sadistischen „Herrschers der Bikerwelt“ (Ruler of Bikerdom), der ihre Mutter kreuzigen lässt, als sie verzweifelt versucht, ihre Tochter zu retten.

Furiosa gelingt es zu fliehen. Sie landet in der Albino Truppe des künstlich beatmeten Joe Immortan, der über die Wasser-Speicher der Zitadelle verfügt.

In der postapokalyptischen Welt der „Mad Max“-Filme ist jeder Tag aufs Neue ein Kampf ums Überleben. Die Ressourcen Wasser und Benzin sind knappe Güter, um die mit äußerster Brutalität gekämpft wird. Was man am meisten braucht, ist Benzin, um die zusammengeschraubten Schrottkarren und Vintage Bikes am Laufen zu halten. „Furiosa“ ist ein ultimatives Action Spektakel jenseits von Marvel-Helden und Sternenkriegern. Ehrliche Handarbeit Made in Australia. Mit über 300 Millionen australische Dollar Produktionskosten der bislang teuerste australische Film. Hier dürfen Männer noch Männer sein und unverhohlen ihre Neandertaler-Natur unter Beweis stellen. Doch am Ende ist es Furiosa, die konsequent den Plan ihrer Rache verfolgt und dafür sogar bereit ist, sich den Arm abzuhacken.

Megalomanie oder Rome Revisited

Mit ähnlicher Spannung wurde Francis Ford Coppolas Alterswerk „Megalopolis“ an der Croisette erwartet. Zwei Goldene Palmen, 1975 für „The Conversation“ und 1979 für „Apocalypse Now“, hat Coppola schon gewonnen, aber 30 Jahre lang keinen Film mehr gemacht, der größere Aufmerksamkeit fand. Inzwischen ist seine Tochter Sofia berühmter geworden als ihr Vater. „Megalopolis“ wurde als Wiederauferstehung und cineastisches Vermächtnis des heute 85jährigen angekündigt. Das Ergebnis ist, um es kurz zu sagen, ein ziemliches Debakel. Wohlmeinende Kritiker sprechen dagegen von einem Meisterwerk. Die französische Filmzeitschrift „Cahiers de Cinema“ sah schon eine weitere Goldene Palme leuchten.


Worum geht es? New York ist bei Coppola “New Rome”, das Neue Rom. „Ich wollte ein römisches Epos machen, das im modernen Amerika angesiedelt ist“, sagt der Regisseur und Autor. Ein Architekt mit dem klassischen Namen Cesar Catilina (Adam Driver)  - passenderweise mit einer klassisch römischen Frisur ausgestattet  - soll New York neu aufbauen und träumt von einer utopischen Stadt der Zukunft.

Sein Gegenspieler, der schwarze Bürgermeister Frank Cicero (Giancarlo Esposito), ist mit drängenderen Problemen als mit utopischer Stadtplanung beschäftigt ist. Außerdem gibt es noch den steinreichen Bankier Hamilton Crassus III (Jon Voight), Onkel des Architekten, ohne dessen Finanzierung in ‚New Rome‘ gar nichts läuft. Nach eigener Aussage wollte Coppola die Rollen der Catilinischen Verschwörung aus dem 1. Jahrhundert v. Christus umkehren. Adam Drivers Catilina ist bei ihm der Gute, Espositos Cicero der Korrupte. Ursprünglich sollte in den römischen Cinecittà-Studios gedreht werden, am Ende wurde der Film im Studio in Atlanta realisiert. Entsprechend künstlich wirkt die Szenerie, keine Anmutung von New York, alles sieht nach Kulisse aus, so z.B. wenn in der Anfangssequenz die Figur von Adam Driver auf dem Turm des Chrysler Buildings balanciert. Fast stürzt er dabei ab, doch er ist nicht nur ein genialer Architekt, sondern besitzt auch die Fähigkeit, die Zeit aufzuhalten. Superkraft wie in einem Marvel-Film.

Seit 40 Jahren hat Coppola am Drehbuch gearbeitet, wie es heißt,  wurde es dreihundertmal umgeschrieben und wirkt am Ende doch wie eine wirre Melange konfuser Ideen und pompöser Kommentare zur Zukunft der Menschheit. Eine Aneinanderreihung pseudophilosophischer Kalendersprüche und Lebensweisheiten. Alle möglichen Geistesgrößen werden zitiert, von Shakespeare bis Rousseau.

Coppola nennt als eine Quelle der Inspiration den Architekturroman „Fountainhead“ von Ayn Rand, einer Ikone der libertären Bewegung mit politisch rechter Tendenz. Deshalb ist es vielleicht kein Zufall, dass in der negativen Darstellung des schwarzen Bürgermeisters Cicero und seines jüdischen Beraters Nush (Dustin Hoffman) ein rassistischer Unterton mitschwingt.

Um völlig unabhängig zu sein, hatte Coppola die Produktionskosten in einer Größenordnung von 120 Millionen Dollar aus eigener Tasche finanziert. Doch die Personalunion von Produzent, Autor und Regisseur war keine ideale Konstellation. Wie der „Guardian“ berichtet, verliefen die Dreharbeiten äußerst chaotisch, was man dem fertigen Film auch ansieht. Der Autor zitiert ein Mitglied des Teams mit den Worten: „Es klingt verrückt, aber es gab Zeiten, in denen wir herumstanden und uns fragten: ‚Hat der Typ jemals einen Film gemacht?‘“ Eine Aussage, die an den Kommentar des Kameramanns Gordon Willis erinnert, der mit Coppola den „Paten“ gedreht hat und kurz vor seinem Tod im Interview mit 3sat sagte, „Francis ist wie ein ewiger Filmstudent, voller verrückter und kreativer Ideen. Aber er weiß nicht, wie er sie umsetzen kann. Ich habe dann gesagt: ‚Das ist alles schön und gut, aber wo willst Du die Kamera hinstellen?‘“ Viele die an dem Film mitgearbeitet haben, sind überzeugt, dass es die Handschrift von Gordon Willis war, die den „Paten“ so außergewöhnlich gemacht hat.

Als filmisches Vermächtnis ist „Megalopolis“ in erster Linie ein Zeugnis megalomaner Selbstüberschätzung.

Die Lehrjahre von Donald Trump

Eine intelligente Art, sich filmisch mit New York und Stadtplanung zu beschäftigen, demonstriert „The Apprentice“ (Der Lehrling), der vierte Film des in Schweden lebenden Iraners Ali Abbasi. Vor zwei Jahren hatte er in Cannes mit „Holy Spider“ Furore gemacht, für den seine Hauptdarstellerin Zar Amir Ebrahimi als beste Schauspielerin ausgezeichnet wurde.


In „The Apprentice“ geht es um den jungen Donald Trump (Sebastian Stan), der von seinem Vater als „Killer“ erzogen wird, um im Leben wie im Bauunternehmen der Familie als Sieger zu reüssieren. Doch so weit ist Donald noch nicht. Als Handlanger muss er für seinen Vater in einem billigen Appartementhaus die Mieten eintreiben. Schließlich trifft er auf den gerissenen Anwalt Roy Cohn (Jeremy Strong), in dem er seinen Mentor findet. Cohn war als Kommunistenjäger an der Seite von Senator McCarthy aktiv und brüstet sich damit, die angeblichen Atom-Spione Julius und Ethel Rosenberg auf den elektrischen Stuhl geschickt zu haben. Jeremy Strong ist phantastisch in der Rolle als schwuler Lebemann und aggressiver Anwalt, der die New Yorker Justiz und Stadtverwaltung in der Tasche hat. Cohn bringt dem jungen Trump drei elementare Erfolgsregeln bei.

1. Gnadenlos angreifen,
2. Keine Verantwortung übernehmen, alles leugnen,
3. Niederlagen nicht anerkennen, alles als Sieg verkaufen.

Später wird der Lehrling als erfolgreicher Geschäftsmann diese Prinzipien dem Ghostwriter seiner Business-Philosophie „The Art of the Deal“ als ganz persönliches Erfolgsrezept präsentieren. Eigenschaften, die sich auch bei dem späteren Präsidenten wiederfinden, doch so weit reicht die Geschichte des Films nicht.

Sebastian Stan schafft es, Donald Trump nicht zu karikieren, sondern ihn so nuanciert darzustellen, dass er streckenweise ganz menschlich wirkt. Charakterzüge, die im Zuge seines Erfolgs immer mehr verschwinden, bis nur noch ein zynischer Erfolgsmensch ohne Moral übrigbleibt.

Während George Miller uns durch eine abgasgeschwängerte Recyclingwelt nach der Klimakatastrophe führt, gerät Francis Ford Coppolas Verknüpfung von römischer Antike und modernem New York selbst zur filmischen Apokalypse. Der iranische Schwede Ali Abbasi schafft es mühelos, mit seinem Portrait des jungen Donald Trump die beiden Altmeister in den Schatten zu stellen.