Es ist eine der Formulierungen der politischen und gesellschaftlichen Gestaltungsfragen unserer Zeit: jene nach dem Verhältnis des Einzelnen und der Gemeinschaft und Gesellschaft und wie der Einzelne in deren Wirklichkeit leben kann. Das Kunstwerk von Zhong Su erzählt sie anhand des zeitgenössischen China als Suche des Einzelnen nach Erkenntnis und Transzendenz, indem es die ihm vorgegebene Wirklichkeit mit einem Kaleidoskop dreier synoptischer Perspektiven entfaltet. Es beginnt als „Landschaft“ der Gegenwart und der technischen, sozialen, sozialistisch kapitalistischen Wirklichkeit als Unterwasserwelt. Es setz sich fort in den „Leidenschaften“, die von gesellschaftlichen Sehnsüchten, Zielen und Dogmen erzählen, ehe die „Geschichte“ die Gemeinschaft durch die Zeiten und deren Zusammenhang in weitere wirkmächtige Bilder fasst. Verwoben sind beide, Gesellschaft und die einzelne Person, in ihrer inneren Bestimmung durch die großen, großartigen Obsessionen, die sie treiben. Als viertes Kapitel schließt Zhong Su mit der Deutung dieser Wirklichkeit unter dem Titel „Adaption“: formal basiert sie auf dem „Sandbuch“ von J.L. Borges, doch ebenso sehr bezieht sich sein Titel auf das Leben des Einzelnen in der Auseinandersetzung, Anpassung, Umarbeitung der ihm vorgegebenen Wirklichkeit durch die Suche nach deren Übersteigen. So findet er seine Obsession nicht in den überkommenen Schriftensammlungen, sondern in der unendlichen Kostbarkeit ihm neu begegnender Heiliger Schriften. Seine obsessive Suche nach Erfahrung seiner selbst in einer über die vorgegebene hinausweisenden Wirklichkeit wird zur mystischen Versenkung, in der ihm die Selbsterkenntnis begegnet. Doch führt sie ihn nicht über sich hinaus: In der obsessiven Selbsterkenntnis bleibt er sich selbst unentrinnbar. En episches Kurzfilmkunstwerk.
64. Internationale Kurzfilmtage Oberhausen
Bei den internationalen Kurzfilmtagen 2018 hat die Ökumenische Jury ihren mit 1500 € dotierten Preis an den chinesischen Film "Magnificent Obsession" vergeben. Sie hob außerdem zwei Filme mit Lobenden Erwähnungen hervor, "Erh Hao Chiu Yi" (Auf der Warteliste) aus Taiwan und "Caterpillarplasty" aus Kanada. Aus dem Kinder- und Jugendfilmwettbewerb wählte die Jury den deutschen Beitrag "Carlotta's Face" für eine Empfehlung zum Ankauf durch die kirchlichen Filmvertriebsorganisationen Matthias-Film und Katholisches Filmwerk (kfw).
Der Große Preis der Stadt Oberhausen ging an den litauischen Film "Dėmės ir įbrėžimai" (Flecken und Kratzer) von Deimantas Narkevičius, der hauptpreis an "Hirografo" (Manuskript) von Eva Stefani aus Griechenland. Die Jury der Internationalen Filmkritik (Fipresci) entschied sich für den russischen Film "Gimny Moscovii" (Die Hymnen Moskaus) von Dimitri Venkov.
Am 3. Mai wurden die Internationalen Kurzfilmtage 2018 eröffnet. Die Ökumenische Jury verleiht ihren Preis an einen Film des Internationalen Wettbewerbs und spricht eine Empfehlung für einen Film des Kinder- und Jugendfilmwettbewerbs aus. Das Festival programmiert außerdem drei weitere Festivalsektionen (deutscher Wettbewerb, Wettbewerb NRW und Wettbewerb für das beste Musikvideo MuVi).
Neben den Wettbewerben bietet das Festival zahlreiche weitere Programme. Das Diskussions- und Filmprogramm "Thema" beschäftigte sich unter dem Titel "Abschied vom Kino - Knokke, Hamburg, Oberhausen (1967-1971)" mit den Initiativen für eine alternative Filmkultur jenseits des etablierten Kinosystems. Die "Profile" porträtierten einzelne Filmemacher oder Filminstitutionen. Die Sektion "Archive" stellte Archive vor, die sich mit der Archivierung und Restaurierung des experimentellen Films befassen. Darin fand sich in diesem Jahr auch die neue Reihe "re-selected", die sich mit der Bedeutung und Überlieferung der einzelnen analogen Filmkopie als Zeugnis der Filmgeschichte beschäftigte. Dem analogen Film war auch die neu konzipierte Reihe "Labs" gewidmet, die kulturelle Gegenbewegungen zum umfassenden Prozess der Digitalisierung vorstellte.
Link: Festival-Website
Auszeichnungen
Der nie endende Weg des Erwachsenwerdens bedeutet, sich selbst zu entfalten. Der Warteraum des Lebens ist erfüllt von der Absicht, über sich selbst hinaus zu wachsen und in der Realität, mit den eigenen Limitierungen leben zu lernen – weder zu schaffen noch auszuhalten ohne die Erfahrung der Freundschaft als Vergleich, Stütze oder Quelle des Unglücklichseins. Erh Hao Chiu Yi ist ein intensives und gelungenes Portrait der Herausforderungen von Freundschaft, Zusammenhalt, Miteinander, Vergleich, Ehrgeiz, Mediokritäten und Talenten zweier junger Frauen auf diesem Weg.
Die Ver-Äußerung des Menschen meint so sehr den Verlust des Inneren wie billige Preisgabe der Individualität des Menschen. Der Zwang zur Selbstoptimierung unserer Zeit äußert sich deshalb in einem Zwang zur Perfektionierung als Standardisierung eines Schönheitsversprechens. Sie suggerieren sich in der Entpuppung ihrer eigentlichen Schönheit, doch ihre Schönheit verkommt so nur noch zur entpersönlichten glitschigen Glätte einer Selbstpersiflage. Caterpillarplasty ist in seiner meisterhaften Form wie seiner Intention ein düsteres, nasses, so faszinierendes wie glitschiges Hochglanzportrait dieser vorgeblichen Schönheit.
Carlottas Welt ist durch eine physische Einschränkung gekennzeichnet: Die animierten Bilder dieses Kurzfilms illustrieren in bezaubernder Weise die eindrucksvolle Geschichte einer gesichtsblinden Frau, ihren Weg durch Schule und Leben, und nimmt dabei ihre Perspektive auf ihre Welt ein. Die Meisterleistung dieses würdevollen und unbefangenen Kurzfilms besteht darin, in dieser kunstvoll animierten Perspektive zugleich deren Unmöglichkeit durch das fehlende physische Selbstbild hervortreten zu lassen und sie dabei eben doch gelungen und liebevoll zu portraitieren, ohne durch bloßes Mitleid zu reduzieren. So lässt der Film seine Protagonistin als starke Frau sichtbar werden, die pragmatische Wege zu sich und den anderen findet und wählt als ihr Bild eine Blume, deren Blüte an ihre Frisur im realen Leben und an ihr Ausgeliefertsein in vielen Lebenssituationen erinnert – wie auch an Schönheit, Zartheit, Verletzbarkeit. Ein berührender Film über die Herausforderungen und scheinbaren Selbstverständlichkeiten der Konstruktion von Identität, Selbstbild, sozialer Begegnungen und Beziehungen. Der Film ist ein Kleinod, als das er die Bedeutung des Gesichts für unsere Kultur über Sprachbildern und Handy-Selfies bis hin zu Bilderverboten und Gottesbildern dekonstruiert, um sie gemeinsam neu aufbauen zu können.