Die Moderatorin Désirée Nosbusch mit der Intendantin der Internationalen Filmfestspiele Berlin Tricia Tuttle bei der Eröffnung der Berlinale 2025 (© Sandra Weller / Berlinale 2025)


Im Vorfeld der Eröffnung der 75. Berlinale wurde viel über den Eklat bei der letztjährigen Preisverleihung debattiert. Was war damals geschehen? Der amerikanische Regisseur Ben Russell war mit einer Kuffiyah (vulgo Palästinensertuch) auf die Bühne gekommen und hatte den israelischen „Genozid“ in Gaza angeprangert. Der Palästinenser Basel Adra und der Israeli Yuval Abraham, Regisseure von „No Other Land“, der als bester Dokumentarfilm sowie mit dem Panorama Publikumspreis ausgezeichnet wurde und inzwischen für einen Oscar nominiert ist, kritisierten die „Apartheid“ in der israelischen Gesellschaft. Zwei Vokabeln, die in Deutschland tabu sind. Entsprechend groß war die Aufregung in der Politik und den Medien, wobei sich die israelische Botschaft besonders hervortat. Man war schockiert über diesen „Skandal“, empörte sich über „ekelhaften Israelhass“ und „bösartigen Antisemitismus“. Der Berliner Senat halbierte kurzerhand die Zuschüsse für das Festival. 

Die neue Festivalleiterin Tricia Tuttle, die lange das Londoner BFI Festival geleitet hat, ließ sich von all dem nicht einschüchtern und erklärte für die Berlinale das grundsätzliche Recht auf freie Meinungsäußerung. Mit nüchternem Blick von außen kritisierte sie die Antisemitismus-Resolution des Bundestags vom vergangenen November als ungeeigneten Versuch, Kritik am israelischen Vorgehen im Gaza Krieg zu delegitimieren. 

Tilda Swinton, die mit einem Goldenen Ehrenbären ausgezeichnet wurde, verurteilte in ihrer Dankesrede, die zu einer Art inoffiziellen Eröffnungsansprache wurde, unmissverständlich den „vom Staat verübte(n) und international ermöglichte(n) Massenmord“. 

All das stimmt hoffnungsvoll und lässt einen gelungenen Neuanfang für die Berlinale erwarten. Tricia Tuttle ist es außerdem gelungen, das Festival ökonomisch wiederzubeleben und neue Sponsoren zu gewinnen. Die diffuse Sektion Encounters, das Lieblingskind ihres Vorgängers Carlo Chatrian, hat sie abgeschafft und durch die Debütfilm-Reihe „Perspectives“ ersetzt. Insgesamt wurde die Zahl der Filme reduziert und überbordende Reihen wie „Panorama“ eingedampft.


Es werde Licht: Syrische Putzfrau heilt dysfunktionale biodeutsche Familie


Die Entscheidung, Tom Tykwers „Das Licht“ zur Eröffnung dieser 75. Berlinale auszuwählen, erscheint nahelegend. Tykwer ist seit „Lola rennt“ einer der international bekanntesten deutschen Regisseure und reüssierte zuletzt als Macher der Erfolgsserie „Babylon Berlin“. Mit seinem Film „Heaven“ hatte er schon 2002 die Berlinale eröffnet.

Falls es in diesem Jahr Auftritte und Ansprachen von Politikern gegeben hätte, so hätten sie an „Das Licht“ womöglich ihre Freude gehabt. So blieb es Tom Tykwer überlassen, einen cineastischen Beitrag zur aktuellen Migrationsdebatte zu liefern. Allerdings plädiert er nicht dafür, die Grenzen zu schließen und potenzielle Asylbewerber im Ausland abzufertigen. Im Gegenteil, er zeigt, wie Migranten den deutschen Alltag bereichern können. 


Vater Tim (Lars Eidinger) macht progressive Videospots, um Zuschauer für Klimaschutz und die Probleme der Welt zu sensibilisieren, Milena (Nicolette Krebitz) betreut ein kulturelles Entwicklungsprojekt in Kenia. Der Sohn Jon (Julius Gause), ein schüchterner Nerd, verbringt Tage und Nächte mit einem VR-Videogame, während seine Schwester Frieda (Elke Biesendorfer) Acid einwirft, mit ihren Freunden durch die Clubs der Hauptstadt zieht oder in Last Generation-Manier den Verkehr auf der Stadtautobahn lahmlegt. Man redet kaum miteinander, jeder macht sein eigenes Ding und niemand merkt, dass die polnische Putzfrau plötzlich tot in der Küche liegt.

Doch Hilfe naht. Farrah (Tala Al-Deen), eine ausgebildete Ärztin und Therapeutin, die in Deutschland keine Zulassung bekommt, nimmt in dieser dysfunktionalen Familie einen Job als Putzkraft an. Es dauert nicht lange, bis sie ihre Qualifikation als Gruppentherapeutin einbringt und sich der kommunikativ blockierten Familienmitglieder annimmt. Sie lässt sich das VR-Game des Sohns erklären, tröstet die Tochter nach einer Abtreibung. Und kümmert sich um die wechselseitigen Frustrationen von Mutter und Vater. Mit Hilfe einer flackernden LED Lampe hilft sie ihnen, ihre neuronalen Reserven zu aktivieren. Tala Al-Deen ist die schauspielerisch überzeugendste Figur in dieser Konstellation, muss aber als weise Frau aus dem Orient allzu oft therapeutische Binsenweisheiten verkünden.

Frank Griebes Kamera findet exquisite Bilder, landet aber immer wieder bei klischeehaften Szenerien, spätestens sobald der Dialog beginnt. Die sympathischen Migranten schlafen in ihrer Groß-WG im Plattenbau zu zweit in einem Zimmer und frühstücken gemeinsam, während die deutsche Familie in ihrer chaotischen Altbauwohnung beziehungslos nebeneinander lebt. Lars Eidinger spielt, comme d‘habitude, Lars Eidinger, fährt als klimabewusster Ökomensch mit dem Fahrrad durch den strömenden Regen (es regnet in Berlin ohne Ende im Film), um anschließend nackt durch die Wohnung zu laufen. Nicolette Krebitz hängt permanent am Telefon im Kampf mit der Ministerialbürokratie, die ihr engagiertes Theaterprojekt in einem Slum von Nairobi kippen will. Sex haben die beiden schon lange nicht mehr, ebenso wenig wie ihre 17jährigen Zwillinge. Das Drehbuch ist voller Sprechblasen und phrasenhafter Dialoge, wie man sie von urbanen Ökos und ihren pubertären Kindern erwartet.

Was an „Das Licht“ zusätzlich irritiert, ist die diffuse Mischung aus Familiendrama und einer Art von Magischem Realismus. Auf einmal schweben Figuren durch die Luft wie einem Marvel-Film, tanzen plötzlich auf der Straße oder verwandeln sich in Comic Figuren à la„Lola rennt“.

Im dramatischen Finale wird schließlich das Geheimnis der syrischen Migrantin und ihrer Familie enthüllt. Die deutsche Familie kann unter Farrahs Anleitung zur spirituellen Fremd- und Selbstheilung beitragen und geht mit neuem Elan in eine gemeinsame Zukunft. Nach knapp drei Stunden sichtlich erschöpft, gab es in der Pressevorführung spärlichen Beifall und Buhrufe des Publikums.

 

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