Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Gäste, lieber Michael Kötz,
ich begrüße Sie herzlich im Namen von SIGNIS, der Katholischen Weltorganisation für Kommunikation, und von INTERFILM, der Internationalen kirchlichen Filmorganisation, die gemeinsam die Ökumenische Jury hier am Festival Mannheim-Heidelberg wie an zahlreichen anderen Festivals, in Berlin, Cannes, Karlovy Vary, Locarno, Montreal und anderswo tragen, um jeweils einen Ökumenischen Filmpreis zu verleihen. Wir machen nicht alles zusammen, aber doch vieles – in diesem Jahr unter anderem ein Seminar an der Universität in Edinburgh zur Frage des Beitrags der Filmkunst zur Friedensstiftung. Ich erwähne dieses Seminar, das in Nachbarschaft zum erst kürzlich beigelegten Nordirland-Konflikt stattfand, um an die unvermindert aktuelle Friedensbotschaft des Evangeliums zu erinnern. Unvermindert aktuell, das heißt, keineswegs überflüssig. Und längst nicht verwirklicht. Ökumenische Jurys wie die hier, in Mannheim, sind deshalb Hoffnungsträger, auch wenn man es im gegenwärtig so friedlichen Mitteleuropa fast schon vergessen hat.
Der Ökumenische Filmpreis wird an Filme verliehen, die sich sowohl durch ihre künstlerische Qualität wie durch ihre ethische Bedeutsamkeit auszeichnen. Man kann es auch einfacher sagen: die Ökumenische Jury achtet auf das Wie und genauso auf das Was. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben, jedenfalls nicht in der Kunst. Für das Wie ist ästhetisches Urteilsvermögen gefragt, das sich in der Auseinandersetzung mit dem Kino und seiner Geschichte bildet. Das Was ergibt sich für eine kirchliche Jury aus ihrer Herkunft: aus dem Bezug zum christlichen Glauben.
Aus einer langen Tradition und Überlieferung blickt sie auf das Neue, das gerade Entstandene, auf eine Gegenwart, die in einem Film Gestalt gewonnen hat. Als einen Dialog beschreiben deshalb die Kirchen ihr Verhältnis zu Film und Kino, und damit ist auch gemeint, dass sie damit rechnen, in Filmen sich und ihre Botschaft neu, verwandelt, manchmal sogar in einer Art Incognito zu erkennen und wiederzuerkennen. Philosophisch kann man diesen Prozess, der sich auf dem Weg zwischen Wahrnehmung und Erkennen abspielt, auch Horizontverschmelzung nennen, mit einem Begriff, den Hans-Georg Gadamer geprägt hat. Das klingt anspruchsvoll, und das ist es auch. Immerhin darf man aber bei Verschmelzung auch ein wenig an Sinnlichkeit und Glück denken. Im Film, im Kino und auch in der Kirche dürfen sie nicht fehlen.
Das Verhältnis von Gegenwart und Tradition, in dem die Kirchen stehen, gibt mir Gelegenheit, einen Bogen zurück, zum Anfang des Festivals zu schlagen. Michael Kötz hat in seiner Eröffnungsrede die zahlreichen Neuerungen des Festivals in diesem Jahr beschrieben und erklärt, weshalb es sich dabei trotzdem treu geblieben ist. Er hat dabei auch ein kleines Rätsel hinterlassen. „Es muss sich alles ändern, damit alles so bleibt, wie es ist,“ hat er aus einer ihm angeblich unbekannten Quelle zitiert. Gegen Ende des Festivals darf ich wohl die Quelle dieses Zitats verraten, an die Sie sich vermutlich schon längst erinnert haben. Es ist ein Satz des Fürsten Don Fabrizio Salina aus Luchino Viscontis „Der Leopard“, mit dem er seinem Jagdaufseher erklärt, warum er seinen Lieblingsneffen Tancredi mit der Tochter des neureichen Bürgermeisters Don Calogero Sedara verheiraten wird.
Burt Lancaster spricht diesen Satz, ein ehemaliger Zirkusartist, und es könnte durchaus sein, das Michael Kötz durch das neue Festivalzelt zu dieser Reminiszenz inspiriert worden ist. Früheste Kinogeschichte steckt in diesem Neuanfang eines Festivals, das sich ganz dem neuen, dem jungen Kino verschrieben hat. Und dabei die Maßstäbe einer Kunst, die in ihren Geschichten und Figuren immer wieder das Bild des Menschen umkreist, nicht vergessen und preisgeben will. Das Kino steht mit der Digitalisierung seines Materials vor dem vielleicht größten Bruch in seiner ja noch gar nicht sehr langen Geschichte, und manchmal frage ich mich, ob es sich dabei auch von seiner Bindung an den Menschen, seine Schicksale, seine Ängste und Hoffnungen losreißen wird. Anthropomorph hat Visconti das Kino genannt. Übersetzt: an die Gestalt des Menschen gebunden. Viel davon ist schon heute im Kino verschwunden. Wenn sich alles ändert – bleibt dann alles wirklich so, wie es ist? Ohne eigene Anstrengung, ohne Klugheit, ohne Einmischung sicher nicht.
Ich wünsche dem Festival herzlich, dass sich am Ende erweisen wird, dass der Neubeginn ein Erfolg gewesen ist. Ich bedanke mich für die großzügige Gastfreundschaft, die das Festival der Ökumenischen Jury und den Vertretern der kirchlichen Filmarbeit auch dieses Jahr wieder erwiesen hat. Und ich wünsche Ihnen allen, dass Sie im Film noch oft das Glück der Verschmelzung von Wahrnehmen und Erkennen, von Gegenwart und Geschichte erleben. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Karsten Visarius
Leiter des Filmkulturellen Zentrums im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik
Executive Director von INTERFILM