"L'histoire de Judas" von Rabah Ameur-Zaïmeche


Ein Mann trägt einen anderen auf seinem Rücken einen felsigen, kahlen Hügel hinab, im blendenden Licht einer südlichen Sonne. Judas trägt Jesus: so beginnt der vom Wortlaut der Evangelien souverän abweichende und ihnen auf andere Weise doch treu bleibende Film von Rabah Ameur-Zaïmeche, der Motive der überlieferten Geschichte Jesu aufgreift, umformt und um neue Elemente erweitert. Er stellt sie in eine gegenwärtige, von der Moderne unberührt gebliebene mediterrane Bauern- und Hirtenwelt. Nicht die Kostüm- und Ausstattungsfantasien à la Cecil B. de Mille, sondern der auf Körper und Gesten, Licht und Raum reduzierte, zeichenhafte Evangelienfilm Pasolinis ist sein Vorbild. Und statt auf die Suggestion einer in sich geschlossenen Geschichte setzt er auf die Kraft des Fragments: Lachende Kinder scharen sich um Jesus und vermehren seine Jünger, im Protest gegen Wechsler und Händler werden die Holzkäfige zerbrochen, in denen sie Kleintiere feilbieten, Pilatus, in den Ruinen eines römischen Palastes, verurteilt in Jesus einen charismatischen Rebellen.

Passion und Kreuzigung bleiben ausgespart, lange nach ihr reißt ein verzweifelter Narr die leeren Kreuze nieder. Und Judas? Judas, vom Regisseur selbst gespielt, zerstört die schriftlichen Aufzeichnungen über das Wirken Jesu und wird danach von dem Schreiber selbst fast ermordet. Verurteilung und Tod Jesu verpasst er im Genesungsschlaf. In dieser Wendung gegen den Wahn der Schriftbesessenheit liegt die moderne, politische Pointe des Films. Das Debüt des in Algerien geborenen und seit 1968 in Frankreich lebenden Regisseurs und Schauspielers, „Wesh wesh, qu’est-ce qui se passe?“ (2001) war ein semidokumentarisches Porträt der Gewalt in den französischen Banlieus, der ihrer Bewohner, aber auch der Polizei gegen sie: ein Teufelskreis. Jetzt hat er sich einer Figur der Hoffnung zugewandt, die ihn zu zerbrechen verspricht. Nicht in den Buchstaben, sondern in der Präsenz eines Anderen, in einer Spur, die wieder lebendig wird, liegt die Wahrheit der Geschichte, die Ameur-Zaïmeche uns neu erzählt.

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Festivals

Am 5. Februar 2015 wurden die 65. Berliner Filmfestspiele mit Isabelle Coixets "Nobody Wants the Night" eröffnet. Im Wettbwerb um den Goldenen und die Silbernen Bären standen 19 Filme. Die Internationale Jury unter Präsident Darren Aronofsky vergab den Goldenen Bären an "Taxi" von Jafar Panahi.